Europäische Verteidigung Gipfel der Leisetreter
Brüssel - Die Wunden in den europäisch-amerikanischen Beziehungen sind tief. Und der Vierergipfel der schärfsten Gegner des Irak-Krieges zum Aufbau einer neuen europäischen Verteidigungspolitik drohte das transatlantische Verhältnis weiter zu belasten. Doch statt neuer Konfrontation stand Beschwichtigung auf dem Programm.
Im Tanzsaal der Brüsseler Dependance der US-Hotelkette Hilton unterstrichen die Gipfelteilnehmer gleich mehrfach, ihr Unternehmen werde die transatlantische Allianz stärken und nicht etwa schwächen. "Die USA sind ein Partner, auch wenn es gelegentlich Meinungsverschiedenheiten gibt."
Schröders Credo auf dem Mini-Gipfel lautete: "Wir haben innerhalb der Nato nicht zu viel Amerika, wir haben zu wenig Europa." Der Kanzler sprach von einer Stärkung des europäischen Pfeilers des westlichen Bündnisses. Sein "Freund Jacques" stieß ins gleiche Horn: "Wir tragen selbstverständlich zu einer stärkeren atlantischen Allianz bei." Gastgeber Guy Verhofstadt, der um seine Wiederwahl kämpfende belgische Regierungschef, sagte: "Das ist nicht feindlich. Wir stehen nicht im Wettstreit mit der Nato."
Die Beteuerungen sind offenbar Folge deutlicher Kritik vor allem aus Spanien und Italien. Den drei Ländern, die gegen den Irak-Krieg aufgetreten waren, wurden vor dem Brüsseler Gipfel Spaltungsabsichten unterstellt.
Doch die "Viererbande" der europäischen Kernländer will nach dem Streit über die Irak-Politik offenbar Ernst machen mit einer neuen europäischen Verteidigungspolitik. Wichtigster Beschluss des Treffens: Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg wollen ihre Verteidigungspolitik bündeln und dazu bis Sommer 2004 mit dem Aufbau eines Planungs- und Führungsstabes beginnen.
Bisher gab es eine europäische Verteidigungspolitik bestenfalls in Ansätzen. Seit März leitet die EU in Mazedonien erstmals in ihrer Geschichte eine Militäraktion, auch wenn diese von der Nato übernommene Mission mit 350 Soldaten einen sehr beschränkten Umfang hat. Ein Friedenseinsatz in Bosnien-Herzegowina soll in absehbarer Zeit folgen.
Chirac, Schröder, Verhofstadt und Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker versuchten bei einer Pressekonferenz dem Eindruck entgegenzutreten, Partner in der EU und der Nato würden ausgegrenzt. Schröder betonte, die Vorschläge zu einer verstärkten Verteidigungspolitik sollten schon am nächsten Wochenende im Kreise der EU-Außenminister und dann beim EU-Gipfel in Thessaloniki am 20. Juni debattiert werden: "Ich gehe fest davon aus, dass alle 25 daran interessiert sind", sagte er. Er meinte damit die 15 derzeitigen EU-Mitglieder und die zehn Neuen, die am 1. Mai 2004 der Union beitreten werden.
Ob die versöhnlichen Töne in Richtung Bush-Regierung anschlagen werden, wird sich in den kommenden Wochen und Monaten zeigen. Ebenso, ob die Europäer in ihrem Autonomiebestreben vorankommen werden. Vor allem von französischer Seite wird immer wieder betont, dass es ohne Großbritannien auf Dauer keine europäische Verteidigung geben wird. London und Paris hatten dieses ehrgeizige Vorhaben gemeinsam 1998 in St. Malo angeschoben, allerdings hat es seitdem auch manchen Streit gegeben. Auch jetzt pflichtete Chirac der Feststellung Tony Blairs nicht bei, die Welt brauche nur einen Machtpol - die USA. "Eine multipolare Welt ist unvermeidlich", sagte der Chef des Elysée-Palasts. Neben den USA würden Indien, China, Südamerika und auch Europa eine Rolle spielen.
Opposition kritisiert Brüsseler Vierer-Gipfel
Die deutschen Oppositionsparteien haben den Brüsseler Vierergipfel zur Verteidigungspolitik scharf kritisiert. Der europapolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Wolfgang Schäuble, und FDP-Chef Guido Westerwelle warnten am Dienstag vor einer Vertiefung der Spaltung in der Europäischen Union und der Nato. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Hans-Martin Bury, rechtfertigte das Treffen dagegen. Die vier Staaten wollten eine Vorreiterrolle bei der Schaffung einer europäischen Verteidigungsunion einnehmen. Bury sagte im Deutschlandfunk: "Die europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion, die uns vorschwebt, ist in der Tat keine Konkurrenz zur Nato, erst recht kein Ersatz." Es solle ein starker europäischer Pfeiler einer transatlantischen Partnerschaft aufgebaut werden. Innerhalb der EU starte ein Kern von Mitgliedstaaten den Aufbauprozess - "nicht mit dem Ziel, andere auszuschließen, sondern mit dem Ziel, Europa insgesamt voranzubringen".
Schäuble dagegen hält den Gipfel für "die falsche Initiative zum falschen Zeitpunkt, weil sie Europa eher spaltet und die Nato auch eher spaltet". Der Vizepräsident des Europaparlaments, Ingo Friedrich (CSU), warf Schröder, Chirac und den Ministerpräsidenten Belgiens und Luxemburgs vor, die Anti-Amerika-Koalition aus den Vormonaten des Golfkriegs zu erneuern. "Der Pralinen-Gipfel hat einen ranzigen Geschmack", sagte Friedrich.
FDP-Chef Westerwelle erklärte: "Die gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik wird durch dieses Treffen geschwächt, nicht gestärkt." Nach dem Petersburger Separatgipfel zwischen Schröder, Chirac und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sei das Brüsseler Treffen der zweite deutsche Anlauf zur Achsenbildung. FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt forderte: "Wir müssen jetzt Brücken bauen, anstatt den Graben noch weiter zu vertiefen." Europa bekomme kein Gewicht, wenn es sich teile.