Europäischer Gerichtshof Generalanwalt hält Zwangspensionierung polnischer Richter für rechtswidrig

Es untergrabe die Unabhängigkeit der Justiz und diskriminiere aufgrund des Geschlechts: Das polnische Pensionsgesetz für Richter verstößt laut dem Generalanwalt am EuGH gegen europäisches Recht.
Europäischer Gerichtshof in Luxemburg

Europäischer Gerichtshof in Luxemburg

Foto: DPA

Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtsof (EuGH) in Luxemburg, Evgeni Tanchev, hält die Justizreform der polnischen Regierung für unvereinbar mit Unionsrecht. Die neuen Regeln zur Herabsetzung des Ruhestandsalters aller ordentlichen Richter verstoße gegen das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und die Grundsätze der Unabsetzbarkeit von Richtern und der richterlichen Unabhängigkeit, erklärte Tanchev in seinen Schlussanträgen zu dem Verfahren. Der EuGH ist daran nicht gebunden, folgt den Gutachten aber meist. (Az: C-192/18)

Die nationalkonservative Regierung in Warschau hatte 2017 das Ruhestandsalter für Richter an den ordentlichen Gerichten, Staatsanwälte und Richter am Obersten Gericht auf 60 Jahre für Frauen und 65 Jahre für Männer abgesenkt. Dies wurde genutzt, um etliche Richter in den Ruhestand zu schicken, darunter auch die Präsidentin des Obersten Gerichts, die sich weigerte, ihren Posten aufzugeben. Darüber hinaus wurde dem Justizminister die Befugnis eingeräumt, die Dienstzeit einzelner Richter an den ordentlichen Gerichten über die Altersgrenze hinaus zu verlängern. Die EU-Kommission zog dagegen vor den EuGH.

Nach Ansicht des Generalanwalts verstoßen die Gesetzte trotz kleinerer Änderungen im vergangenen Jahr gegen europäisches Recht, wie der Gerichtshof mitteilte. Das Argument der polnischen Regierung einer "positiven Diskriminierung" wies Tanchev zurück. Regelungen, die die "herkömmliche Rollenverteilung in die Zukunft fortschreiben", sollten nicht als "Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung" betrachtet werden.

Die EU geht wegen mehrerer Justizreformen gegen Polen vor

Zudem müsse die Senkung des Ruhestandsalters von Richtern "durch Schutzmaßnahmen flankiert werden", um zu gewährleisten, dass ein Richter nicht de facto abgesetzt werde. Tanchev kommt daher zu dem Schluss, "dass Polen mit der Absenkung des Ruhestandsalters für Richter an den ordentlichen Gerichten in Verbindung damit, dass dem Justizminister das Ermessen eingeräumt werde, die aktive Dienstzeit dieser Richter zu verlängern, gegen seine Verpflichtungen aus dem Unionsrecht verstoßen habe".

Tanchev hatte bereits in einem ersten Gutachten im April die Justizreform speziell zum Obersten Gericht für rechtswidrig erklärt. Am kommenden Montag wird ein Urteil des EuGH zur Herabsetzung des Ruhestandsalters für die Richter am Obersten Gericht auf 65 Jahre erwartet. Nach Eilentscheidungen im Oktober und Dezember setzte Polen die Reform der Pensionsregelung bis zum abschließenden Urteil vorläufig außer Kraft. Daneben sind am EuGH auch noch Verfahren zum neuen Disziplinarsystem anhängig, in denen polnische Gerichte den Gerichtshof in Luxemburg anriefen.

Die EU-Kommission geht seit Anfang 2016 wegen mehrerer Justizreformen gegen Polen vor. Sie wirft der nationalkonservativen Regierung in Warschau vor, die Unabhängigkeit der Justiz zu beschneiden und die Gewaltenteilung zu untergraben. In Polen war es wiederholt zu Massenprotesten gegen die Justizreform gekommen.

asa/AFP
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