Europäischer Rechtsruck
Auftritt der Anti-Euro-Krieger
Finnlands Rechtsaußen Timo Soini hat mit seinen "Wahren Finnen" 19 Prozent geholt und drängt in die Regierung. Der Erfolg ist kein Zufall, überall zwischen Nordkap und Palermo sind Scharfmacher auf dem Vormarsch. Ihr Feindbild: der Euro, die EU, der Islam. Ein Überblick über Europas Brandstifter.
Berlin/Hamburg - Mal ist es der Islam, mal die Europäische Union. Oder es ist gleich beides. Munter basteln Europas Rechtspopulisten zwischen Nordkap und Palermo an ihren Feindbildern. Jahr für Jahr haben sie damit mehr Erfolg. In immer mehr Ländern ziehen sie in die nationalen Parlamente ein, längst hat sich die politische Europa-Karte populistisch eingefärbt.
In Norwegen, Schweden, Dänemark, Lettland, Litauen, Österreich, Ungarn, der Slowakei, Slowenien, Bulgarien und Griechenland stellen sie Abgeordnete. In Frankreich feiert Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen ihr Umfragehoch. In Italien und der Schweiz sitzen die Rechten in der Regierung, in den Niederlanden tolerieren sie den Ministerpräsidenten und seine Mannschaft.
Junge männliche Wähler werden zur Gefahr für Europa
Nun wird es sich wohl ändern. Denn es gilt als ausgemacht, dass Soini in die neue Regierung einziehen wird. Der Mann wird damit eine Gefahr für den Zusammenhalt Europas und die Hoffnung der Rechtspopulisten aller Euro-Länder. Denn den neuen dauerhaften Euro-Krisenmechanismus hat Finnland bisher nicht ratifiziert. Stimmt das Nordland nicht zu, kann der Pakt nicht in Kraft treten. "Das wirtschaftliche Risiko in der Währungsunion wird durch das politische Risiko abgelöst", zitiert die "Berliner Zeitung" den Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer.
Der Erfolg der "Wahren Finnen" müsse die EU "aus ihrem Dornröschenschlaf wecken", fordert CSU-Europagruppenchef Markus Ferber. Politik aus Brüssel dürfe nicht dazu führen, dass rechtspopulistische Parteien mehr und mehr Aufwind bekommen und das europäisches Projekt in Gefahr gerate.
Doch genau dies geschieht gerade.
Es sind vor allem jüngere männliche Wähler, die sich gegen Europa entscheiden. Einfaches Bildungsniveau, geringes Einkommen. Das gilt nicht nur für Finnland. Auch die österreichische FPÖ sammelt seit Jahren Stimmen bei dieser Klientel. Mit 26 Prozent in einer aktuellen Umfrage liegt die Partei von Heinz-Christian Strache sogar nahezu gleichauf mit den regierenden Sozialdemokraten. "Die Kanzlerschaft eines Rechtsradikalen" rücke in greifbare Nähe, schreibt das Magazin "profil".
In Deutschland gibt es dieses Potential ebenfalls, was die Diskussion um den Bestseller von Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin im vergangenen Jahr zeigte. Nur fehlt bisher der Anführer. Und die Enttäuschten und Frustrierten, die in Österreich FPÖ wählen, werden hierzulande zu einem Teil von der Linkspartei gebunden.
Wer sind die europäischen Rechtspopulisten? Wo haben sie Einfluss? SPIEGEL ONLINE zeigt eine Auswahl und nennt ihre Agenda.
Frankreich - die rechte Madame überholt den Staatschef
Marine Le Pen: Den FN gesellschaftsfähig gemacht
Foto: MIGUEL MEDINA/ AFP
Das neue Gesicht von Frankreichs Rechtsextremisten ist nicht mehr hässlich, sondern ansprechend feminin: Marine Le Pen, 42, Tochter von Parteigründer Jean-Marie, der den " Front National" (FN) mit notorischem Antisemitismus in die Schlagzeilen brachte, setzt im Gegensatz zu Papa auf einen vermeintlich moderaten Kurs. Die gelernte Anwältin, die im Januar die Führung der Partei übernahm, bereinigte die Propaganda von den überalterten Hassparolen und unterzog die FN-Propaganda einer inhaltlichen Runderneuerung.
Das fremdenfeindliche Arsenal der Sprüche - wider Islam, Immigration und Unsicherheit - erweiterte sie um ein national-soziales Profil und jede Menge stramm anti-europäische Parolen, angereichert um ein paar anti-deutsche Ausfälle.
Das kommt an. Während Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy in den Umfragen immer neue Negativrekorde erreicht (nur noch 27 Prozent sind mit seiner Amtsführung zufrieden), hat die blonde FN-Chefin mit ihrem Richtungswechsel den richtigen Riecher gehabt und in einigen Umfragen gar schon den amtierenden Staatschef überholt: Nach einer Befragung der vergangenen Woche wünschen zwölf Prozent der Wähler, dass die Frau mit der rauen Stimme eines Volkstribuns 2012 in den Elysée-Palast einzieht; 33 Prozent ihrer Landsleute halten den Front National nach der Viavoice-Erhebung für die Zeitung "Libération" für eine "Partei wie jede andere, die Frankreich regieren könnte".
Dass der FN gesellschaftsfähig geworden ist, verdankt die Partei nicht nur dem Look der blonden alleinerziehenden Mutter dreier Kinder. Gewiss, Marine - dass man sie beim Vornahmen nennt, signalisiert politischen Kultstatus - gibt sich volksnah, aufgeklärt und modern. Vor allem aber hat die FN-Frau es verstanden, die Angst vor Jobverlust und sozialem Abstieg geschickt mit dem Thema Euro zu verknüpfen.
Arbeitslosigkeit, Produktionsverlagerung, Billigkonkurrenz - an allen ist Europas Einheitswährung schuld, sagt Le Pen und beruft sich dabei auf das Know-how von respektablen Sympathisanten der Wirtschaftselite. "Der Ausstieg aus dem Euro ist das einzige Mittel zum Weg des Wachstums zurückzufinden", tönt Madame Le Pen und will Frankreich dazu mit einem beinharten protektionistischen Programm aus der Krise führen. Und weil angesichts von fetten Prämien und astronomischen Managergehältern Seitenhiebe auf die Ultraliberalen angesagt sind, wettert Marine mit antikapitalistischer Verve gegen jene, die "den Zusammenbruch unseres sozialen Sicherungssystems wollen".
Für Le Pen sind natürlich auch die Deutschen Ursache der Misere. Sie würden "als einzige vom Euro einen Nutzen ziehen: Der Euro ist eine Euro-Mark gemacht von und für die Deutschen", wettert sie in einem Interview mit dem Fachblatt "Challenges". "Der Euro passt nicht zu unseren verschiedenen Wirtschaften, das ist so, als wollte man alle Kranken eines Hospitals mit derselben Medizin kurieren."
Italien - Krawallbrüder aus dem Norden drohen der EU
Umberto Bossi: Wüten gegen Europa und Italiens Süden
Foto: ? Alessandro Bianchi / Reuters/ REUTERS
Die Ausländer gingen den Italienern schon lange "auf die Eier" wütet Lega-Führer Umberto Bossi und fordert, "den Wasserhahn zu schließen und das Becken zu leeren". Die unfreundlichen Franzosen, die sich weigern, die in Italien bereits angelandeten Flüchtlinge zu übernehmen, sollte man mit einem Boykott ihrer Waren zur Räson bringen.
Parteifreund Roberto Calderoli, Senator und Minister im Kabinett des Koalitionspartners Silvio Berlusconi, ruft flankierend nach einer "totalen Blockade" der Mittelmeer-Passage nach Italien und knallt noch eine Breitseite Richtung Brüssel: Egoistisch sei dieses Europa, es gehe nur um Geld und nicht um Solidarität. Innenminister Roberto Maroni bindet den Parolenstrauß mit der Frage ab, "ob es überhaupt noch Sinn macht, in der EU zu bleiben".
Die Lega profiliert sich an drei Fronten: Gegen die Süditaliener, ein faules Pack, auf Kosten der fleißigen Norditaliener lebend, gegen die Ausländer, die Italien überschwemmen und den Einheimischen entweder die Arbeitsplätze oder das Ersparte rauben, und gegen die Europäische Union, die "nur mit Bankern und Finanzhaien" solidarisch ist, das schöne Italien dagegen entweder allein lässt oder in einen "europäischen Superstaat" verschmelzen will und einen ansonsten mit "Gutmenschenvorträgen" nervt, wie der Europaparlamentarier Mario Borghezio die konfuse Position seiner Partei zusammenfasst.
Mit Maschinengewehren gegen Flüchtlingsboote
Diese Lega war von Anfang an eine eher lächerliche Truppe. So schien es jedenfalls, als sich in den achtziger Jahren die ersten Gruppen im Veneto, in der Lombardei und anderen norditalienischen Regionen bildete. Ihre Aktivisten in grünen Hemden und grünen Schals beteten das Wasser des Po an, schwelgten in Erinnerungen an den Lombardenbund und besangen ihr Padanien, ein Land, das es historisch nie gegeben hat. Ihre Sprüche waren rüde, und das Ziel ihrer Attacken war immer gleich: der italienische Süden - "das diebische Rom" eingeschlossen - die EU und die illegalen Einwanderer.
Gegen diese empfahl schon der legendäre Lega-Bürgermeister von Treviso, Giancarlo Gentilini, genannt "der Sheriff", man solle sie "in Hasenkostüme stecken, damit die Jäger was zum Üben haben". Solche Sprüche aus den Anfangsjahren der europäischen Populisten (Gentilini über den Österreicher Jörg Haider: "Er ist mein Schüler") gehören bis heute zum Standardrepertoire. So empfahl Parteifürer Bossi schon vor Jahren, auf Flüchtlingsboote zu schießen. In diesen Tagen hat der Europarlamentarier Francesco Speroni den Einsatz von Maschinengewehren gegen die Flüchtlingsboote aus Tunesien gefordert.
Diese Polit-Truppe ist tatsächlich alles andere als lächerlich. Denn Italiens Bürger im Norden - dort, wo viel gearbeitet und gut verdient wird - wählen diese Krawallbrüder, die in Sprache und Kleidung gern wie Operetten-Prolos daherkommen. Aber sie besetzen inzwischen in vielen Städten, Provinzen und sogar in zwei Regionen (in etwa vergleichbar den deutschen Bundesländern) die Führungsämter. Die Partei ist in den Umfragen stabiler als alle anderen, und ohne die Stimmen der Lega könnte der andere große Populist in "Bella Italia", Silvio Berlusconi, keinen Tag länger regieren.
Großbritannien - Euro-Skeptiker inszenieren den Eklat
UKIP-Chef Nigel Farage: Kalkulierte Eklats in Brüssel
Foto: Toby Melville/ REUTERS
Nigel Farage bedient seit knapp 20 Jahren den nationalistischen rechten Rand in Großbritannien. Mit gezielten Pöbeleien gegen die EU hat er seine Unabhängigkeitspartei UKIP als Sammelbecken für Protestwähler etabliert. Bei den vergangenen beiden Europawahlen holte die Partei jeweils 16 Prozent der Stimmen.
Das Erfolgsrezept von UKIP ist simpel: Die Kernforderung - der Austritt Großbritanniens aus der EU - fällt im Land der Euroskeptiker auf fruchtbaren Boden. Durch kalkulierte Eklats in Brüssel, wo Farage seit 1999 als Europaabgeordneter arbeitet, sorgt der 47-jährige Frontmann für die nötige Aufmerksamkeit in der heimischen Presse.
Farage war 1992 aus Protest aus der konservativen Partei ausgetreten, nachdem die Tory-Regierung den Maastricht-Vertrag unterzeichnet hatte. Mit der Gründung der UKIP im folgenden Jahr wollte er rechtskonservativen Europa-Gegnern eine neue politische Heimat geben. Der Angriff von rechts hat dazu geführt, dass auch die Tories ihre Rhetorik gegen Europa wieder verschärft haben.
Der Durchbruch auf nationaler Ebene bleibt Farage bislang verwehrt. Die UKIP wird vor allem als Anti-EU-Partei wahrgenommen und kann nur bei Europawahlen reüssieren. Bei Unterhauswahlen hingegen wartet sie noch auf den ersten Sitz. Selbst bei der letzten Wahl im Mai 2010, als die Empörung über die etablierten Parteien nach dem Spesenskandal auf einem Höhepunkt war, verpasste sie den Einzug ins Parlament. Das zeigt das begrenzte Potential dieser Protestpartei.
Skandinavien - Angriff auf die Bastion der Sozialdemokraten
Jimmie Åkesson, Chef der Schwedendemokraten: Ressentiments und Vorurteile schüren
Foto: NIKLAS LARSSON/ ASSOCIATED PRESS
Einst dominierten die Sozialdemokraten die Parteienlandschaft im Norden Europas. Davon ist im Frühjahr 2011 nicht mehr viel geblieben. Überall in Skandinavien mischen jetzt Rechtspopulisten kräftig mit. Die 19-Prozent-Überraschung der "Wahren Finnen" des Timo Soini am vergangenen Sonntag in Helsinki ist der vorerst letzte Erfolg der Rechtsaußen bei der Eroberung sozialdemokratischen Stammlandes.
Allein im Nicht-EU-Land Norwegen regiert mit Jens Stoltenberg von der Arbeiterpartei noch ein Sozialdemokrat an der Spitze eines rot-grünen Bündnisses. Allerdings machten die Norweger die fremdenfeindliche Fortschrittspartei unter Siv Jensen bei der Wahl im Jahr 2009 mit rund 22 Prozent zur zweitstärksten Kraft hinter Stoltenbergs Partei.
In Schweden, dem einstigen sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat par excellence, erreichten die rechtspopulistischen Schwedendemokraten im vergangenen Jahr 5,7 Prozent und zogen damit erstmals in den Stockholmer Reichstag ein. Seitdem bilden sie das Zünglein an der Waage zwischen der regierenden Mitte-Rechts-Koalition unter dem konservativen Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt und dem Linksblock aus Sozialdemokraten, Linkspartei und Grünen.
Die Schwedendemokraten nutzen die mangelnde Bindungskraft der Sozialdemokraten bei Modernisierungsverlierern und die Ängste vor einem sozialen Abstieg bei den Anhängern der Bürgerlichen geschickt, indem sie unter dem Vorsitzenden Jimmie Åkesson mit fremdenfeindlichen Parolen vor allem gegen Muslime vorhandene Ressentiments und Vorurteile schüren.
Ähnlich sieht es in Dänemark aus. Dort sichert die rechtspopulistische dänische Volkspartei der Mitte-Rechts-Minderheitsregierung schon seit Jahren die parlamentarische Mehrheit.
PVV-Chef Geert Wilders: "Für uns die Arbeit, für sie Souvlaki"
Foto: ? POOL New / Reuters/ REUTERS
Ginge es nach Geert Wilders, dann wäre Europa ein Bollwerk gegen den Islam. "Europa muss aufstehen und der islamischen Welt mitteilen: Genug ist genug, wir werden uns wehren, mit demokratischen Mitteln", sagte der islamophobe Rechtspopulist, der mit seiner Partei PVV die niederländische Minderheitsregierung duldet, etwa im SPIEGEL-Gespräch Ende 2010. Bei der Gelegenheit machte Wilders auch gleich deutlich, was er von einer Erweiterung der EU hält: nichts.
Vehement wehrt sich der 47-Jährige gegen einen möglichen EU-Beitritt der Türkei. In dem Land würden ohne den Einfluss der Armee die Islamisten regieren, "wir hätten irgendwann ein Trojanisches Islamisches Pferd in der EU".
Aber auch EU-Partner können nicht auf die Freundschaft und Solidarität von Wilders setzen. So machte der PVV-Chef Stimmung gegen die finanziell angeschlagenen Länder Griechenland, Portugal und Spanien. Die Regierungen der drei Staaten hatten Finanzhilfen der EU und des Internationalen Währungsfonds (IWF) beantragt. "Für uns die Arbeit, für sie Souvlaki. Wir schuften, die sitzen beim Ouzo", sagte Wilders im Parlament und warf den Griechen damit Faulheit und selbstverschuldete Finanzprobleme vor. Seine Partei mache sich dafür stark, dass "kein Euro-Cent" nach Athen fließe. "Genauso wenig für die Portugiesen und die Spanier."
Wilders feierte mit seinem strammen Kurs zuletzt weitere Erfolge: Die PVV war bei den Provinzwahlen Anfang März einer der großen Gewinner - sie ist jetzt in allen Provinzregierungen vertreten. In der Hochburg Limburg ist die PVV sogar stärkste Kraft.
Auch die von Wilders unterstützte Regierung aus rechtsliberaler VVD und der christdemokratischen CDA ist tendenziell europakritisch. Ihr Argumentation: Das Land überweise zu viel Geld nach Brüssel. Wenn "der niederländische Steuerzahler dafür bezahlen muss, dass die Griechen weiter mit 52 Jahren in Rente gehen können, dann kann man das niemandem vermitteln", sagt etwa Wirtschaftsminister Maxime Verhagen. Im Koalitionsvertrag ist ein Ziel verankert, mit dem wohl auch Wilders gut leben kann: Die Niederlande wollen eine Milliarde Euro weniger an die EU überweisen.
Ungarn - rechtsnationalen gelingt der "Verfassungsputsch"
Ungarn-Premier Viktor Orbán: Rüge vom Uno-Chef
Foto: ? Bernadett Szabo / Reuters/ REUTERS
Viktor Orbán kann zufrieden sein: Das ungarische Parlament hat an diesem Montag die umstrittene neue Verfassung verabschiedet. Der Protest am vergangenen Wochenende blieb wirkungslos: Regierungschef Orbán und sein Parteienbündnis aus nationalkonservativer Fidesz und christlich-demokratischer Volkspartei (KDNP) strebe nach Alleinherrschaft, lautete der Vorwurf der Kritiker. Auch die Uno und die Europäische Union hatten sich besorgt gezeigt - ausgerechnet wegen des Landes, das seit Anfang des Jahres die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Orbán ließ sich nicht beeindrucken.
Das Vorgehen Orbáns und seiner rechtsnationalen Fidesz dürfte in Europa beispiellos sein: Für das von der Regierungsmehrheit abgesegnete Grundgesetz gab es zuvor keine verfassunggebende Versammlung, auch das Volk hatte keinen nennenswerten Einfluss.
Profiteur des Gesetzeswerks ist vor allem die Orbán-Regierung selbst. Der aus drei Orbán-Vertrauten bestehende Haushaltsrat der Zentralbank erhält das Recht, das Parlament aufzulösen, sofern der Haushalt nicht entsprechend der Normen der neuen Verfassung verabschiedet wurde. Orbán könnte damit das Parlament auflösen, auch wenn er bei den nächsten Wahlen 2014 verliert. Die Opposition spricht von einem "Verfassungsputsch". Auch die Kompetenzen des Verfassungsgerichts werden eingeschränkt, im Gegenzug kann die Regierung ihren Einfluss auf die Justiz ausweiten. Nichtregierungsorganisationen empörten sich zudem, dass die Verfassung von einer starken christlich-rechten Ideologie geprägt sei, die Atheisten, Homosexuelle und Alleinerziehende benachteilige.
Die EU hatte zuletzt schon einmal scharfe Kritik an der ungarischen Regierung geäußert. Damals ging es um ein umstrittenes Mediengesetz, mit dem sich Budapest den Vorwurf der Zensur einhandelte. Die EU-Kommission forderte Änderungen, europäisches Recht müsse beachtet und umgesetzt werden - es gab ein Ultimatum. Ungarn reagierte und entschärfte das Gesetz. Aber der Start der EU-Ratspräsidentschaft war überschattet.
Auch an diesem Montag stand Ungarn blamiert da: Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon warnte das Land unmittelbar vor der Parlamentsabstimmung zur Verfassung vor dem Bruch internationaler Vereinbarungen. Solche Mahnrufe wurden in Budapest überhört. Parlamentspräsident László Kövér sprach von einem "historischen Moment".
Heinz-Christian Strache wollte immer sein wie Jörg Haider. Nun könnte er den Verstorbenen sogar noch übertrumpfen. In der neuesten Umfrage kommen Straches Freiheitliche (FPÖ) auf 26 Prozent. Die Sozialdemokraten landen laut Meinungsforschungsinstitut Karmasin Motivforschung bei 27, die christsoziale Volkspartei (ÖVP) bei nur noch 23 Prozent. Das "Bündnis Zukunft Österreich", eine FPÖ-Abspaltung und Haiders letzte Partei, erreicht auch noch sechs Prozent.
Insgesamt 32 Prozent fürs Rechtsaußen-Lager: So viel Potential wie in Österreich haben die Rechtspopulisten derzeit nirgends in Europa. Möglich erscheint sogar eine FPÖ-Kanzlerschaft. Regulär gewählt wird zwar erst 2013, doch haben sich SPÖ und ÖVP in ihrer Großen Koalition schon jetzt nicht mehr allzu viel zu sagen.
Der 42-jährige Strache derweil inszeniert sich als jugendlich-vitaler Parteiführer. Mal gibt "HC" mit schwarzer Sonnenbrille und professionellem Musikvideo den Anti-EU-Rapper ("Volksvertreter statt Verräter, Abendland in Christenhand"), mal setzt er sich in Che-Guevara-Manier ein Barett aufs Haupt und schreibt sich "StraCHE". Sogar diverse "HC-Comics" hat die Partei publiziert. Mit Pop und Provokation zielen Strache und Co. insbesondere auf die Jungwähler.
Er bastelt an der Marke FPÖ. "Sie heißt: die soziale Heimatpartei - ein Spagat zwischen rechts und links, zwischen national und sozial", schreibt der Politikwissenschaftler Benedikt Narodoslawsky in seinem Buch "Blausprech - Wie die FPÖ ihre Wähler fängt". Den EU-Wahlkampf im Sommer 2009 inszenierte die FPÖ unter dem Motto "Österreich zuerst" und erklärte den Wahltermin zum "Tag der Abrechnung". Am Ende konnte sie ihr Ergebnis verdoppeln.
Die aktuelle Krise der Euro-Mitgliedsländer Griechenland, Irland und Portugal weiß Strache ähnlich wie der Finne Soini für sich zu nutzen und warnt vor "Massenenteignungen" der Österreicher, die durch die Hilfe für andere von der eigenen Regierung in eine "Schuldenkatastrophe" führen würden. Und Strache fragt: "Wie kommen die Österreicher, aber auch die Deutschen oder Niederländer dazu, dauernd die Zeche der südlichen Euro-Länder zu bezahlen?" Seine Forderung ist die Aufspaltung der Währungsunion in einen wirtschaftlich stärkeren und schwächeren Teil.
"Wahre Finnen"-Chef Timo Soini: "In diesem Sinne bin ich auch populistisch"
Foto: JONATHAN NACKSTRAND/ AFP
"Ich bin traditionalistisch finnisch, mehr nicht", sagte der Rechtspopulist Timo Soini vor jener Wahl am vergangenen Sonntag, die ihn und seine "Wahren Finnen" mit 19 Prozent ins finnische Parlament - und wohl auch in die Regierung - katapultiert hat. Der 48-Jährige liebt die Sauna, sein Sommerhaus und Trabrennen. "Jeder braucht seine Wurzeln", sagt er, "in diesem Sinne bin ich auch populistisch."
Die Partei Wahre Finnen schwören auf die "Sitten des Landes" wollen das "Finnischtum" fördern, sie lehnen die Homo-Ehe und die Abtreibung ab, sind gegen außerehelichen Sex und Frauen im Pfarramt. Und gegen Ausländer und die EU sind sie sowieso.
Ihnen kommt das ausgeprägte Nationalbewusstsein zugute, das viele Finnen teilen. Die sind nicht wirklich nationalistisch, wohl aber konservativ, traditionell und bodenständig - also ungefähr so, wie auch Parteichef Soini zu sein vorgibt. Er und seine Partei fordern laut Parteiprogramm eine rasche Ausweisung aller "Wirtschaftsflüchtlinge" und eine Kürzung der Sozialhilfe für Einwanderer. "Ein Ausländer ist eben etwas anderes als ein Finne", sagte einer von Soinis Stellvertretern.
Seit 42 Jahren lebt Soini in Espoo, der zweitgrößten Stadt des Landes, im selben Viertel, im selben Wohnblock, auf 90 Quadratmetern, so, "wie ich immer gelebt habe". Seine Frau ist Ärztin, die beiden haben zwei halbwüchsige Kinder. "Ich kenne die Vorstädte", sagt er, "das bedeutet mir viel."
Dass nun Soinis Rechtspopulisten von allen außer den Grünen als Partner einer künftigen Regierung akzeptiert werden, daran gibt es keinen Zweifel. In den meisten europäischen Ländern würden nach so einem Wahlabend Allianzen gegen die rechten Außenseiter geschmiedet. Nicht so in Finnland, das sich mehr noch als die anderen nordischen Nachbarn als Konsensgesellschaft definiert. Es ist Teil der politischen Kultur, einen De-Facto-Wahlgewinner nicht von der Machtteilhabe auszuschließen.
Ein Zusammengehen von Konservativen, Sozialdemokraten und Rechtspopulisten gilt deshalb als wahrscheinlichste Konstellation. "Die Regierungsbildung wird schwierig", glaubt Soini selbst, "aber interessant".
Timo Soini: Mit seinen "Wahren Finnen" holte der Rechtspopulist 19 Prozent bei den finnischen Parlamentswahlen im April. "Das Land wurde durcheinandergeschüttelt," jubelte der 48-Jährige am Wahlabend.
Foto: Martti Kainulainen/ AP
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Heinz-Christian Strache: Der Vorsitzende der österreichischen Freiheitlichen (FPÖ) punktet insbesondere bei Jungwählern mit provokativen Sprüchen gegen EU und Islam. In aktuellen Umfragen liefert sich die FPÖ ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Sozialdemokraten um den ersten Platz. Sogar eine Kanzlerschaft des 41-jährigen Rechtsaußen scheint möglich.
Foto: Helmut Fohringer/ picture alliance / dpa
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Geert Wilders: Er ist der Prototyp des Populisten mit antimuslimischer Agenda schlechthin. Für ihn gibt es nur eine Richtung - schnell zur nächsten Provokation. Der Islam sei keine Religion, sagt er, sondern eine faschistische Ideologie. Seine Hetze gegen Muslime kommt beim Wähler an - bei den Wahlen in den Niederlanden erreichte er 15,5 Prozent der Stimmen. Seitdem toleriert er die Mitte-Rechts-Minderheitsregierung.
Foto: ? POOL New / Reuters/ REUTERS
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Marine Le Pen: Sie ist das neue Gesicht der extremen Rechten in Frankreich. Im Januar 2011 übernahm die 42-Jährige den "Front National" von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen, bekannt für seinen notorischen Antisemitismus. Tochter Marine setzt dagegen auf einen scheinbar moderaten Kurs, was sich in Umfragen auszahlt: Einer aktuellen Umfrage zufolge wünschen sie sich zwölf Prozent der Wähler als Staatspräsidentin.
Foto: MIGUEL MEDINA/ AFP
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Jimmie Åkesson: Mit ihm zogen die rechtspopulistischen Schwedendemokraten im Jahr 2010 erstmals in den Stockholmer Reichstag ein. Zwar erreichte Åkesson nur 5,7 Prozent, doch kann er wegen eines Patts zwischen Mitte-Rechts-Regierung und linker Opposition im Parlament das Zünglein an der Waage spielen.
Foto: NIKLAS LARSSON/ ASSOCIATED PRESS
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Siv Jensen: Mit ihrer fremdenfeindlichen Fortschrittspartei brachte es die norwegische Rechtspopulistin im Jahr 2009 mit rund 22 Prozent zur zweitstärksten Kraft im Storting, dem Parlament in Oslo. Einfluss auf die Regierung kann sie allerdings nicht nehmen, denn Sozialdemokrat Jens Stoltenberg regiert mit einer rot-grünen Mehrheit.
Foto: REUTERS
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Nigel Farage: Der Brite sammelt die Unzufriedenen des Landes ein. Mit Anti-Islam-Politik lässt sich in Großbritannien zwar nicht ordentlich punkten - dafür aber mit der Ablehnung Europas und seiner Institutionen. Auf diese Art gewann der EU-Hasser Farage 16 Prozent der Stimmen bei den Europawahlen 2009.
Foto: Toby Melville/ REUTERS
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Viktor Orbán: Er ist nicht nur der Ministerpräsident Ungarns, sondern seit Januar 2011 auch der EU-Ratspräsident. Der national-konservative Orbán hat mit seiner großen Mehrheit im Parlament gerade eine neue Verfassung verabschiedet. Die Opposition spricht von "Verfassungsputsch", Uno und EU zeigten sich besorgt.
Foto: ? Bernadett Szabo / Reuters/ REUTERS
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Umberto Bossi: Der Chef der Lega Nord ist Koalitionspartner von Ministerpräsident Silvio Berlusconi - und auf Krawall gebürstet. Ausländer gingen den Italienern schon lange "auf die Eier", wütete er jüngst. Parteifreund Roberto Maroni, Italiens Innenminister, sorgte für Aufsehen, als er die Frage stellte, "ob es überhaupt noch Sinn macht, in der EU zu bleiben".
Foto: ? Alessandro Bianchi / Reuters/ REUTERS
"Wahre Finnen"-Chef Timo Soini: "In diesem Sinne bin ich auch populistisch"