

Wenn Kibomango trainiert, knirscht der rote Sand unter seinen Füßen, Fäuste zischen durch die Luft, der graue Sandsack leidet. Einen Boxring gibt es nicht in Goma, im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo. Eigentlich gibt es nicht einmal einen richtigen Boxclub. Stattdessen schwitzen Kibomango und seine Jungs in einem winzigen Raum in den Katakomben des Fußballstadions. Die jungen Männer folgen dem Weg seiner Fäuste mit den Augen. Viele von ihnen haben in ihrem früheren Leben als Kindersoldaten getötet. Kibomango will verhindern, dass sie es wieder tun.
Unter seiner Haut spannen die Muskeln, er hat ein breites Kreuz. Kibomango braucht es, denn die Aufgabe ist gewaltig: Wenn der 35-Jährige zum Training kommt, sieht er an der Straße vor seinem Boxclub die Rekrutierer der Rebellen. Sie flüstern den Jungen ein: Komm zu uns. Wir zahlen dir Sold. Wir haben Frauen. Mancher wird schwach und verschwindet mit ihnen im Dschungel. Obwohl er weiß, was ihn dort erwartet.
Goma ist so etwas wie die Rebellenhauptstadt des Kongo. In den Wäldern rund um den Ort marodieren die Milizen, im Dezember 2012 hatte die M23-Gruppe die Stadt für zwölf Tage besetzt. Auch wenn es derzeit ruhig bleibt: Weit sind die Rebellen in Goma nie. Die Armut der Slums treibt nicht nur frische Rekruten, sondern auch Veteranen zurück in die Arme der Rebellen.
Francesca Tosarelli hat Kibomango besucht, sogar mit ihm trainiert. Die italienische Fotografin ist Anfang 2013 in das Krisengebiet im Ostkongo gereist. Dort fotografierte sie weibliche Kämpfer der Rebellengruppen (siehe Bildergalerie unten) - und verbrachte Zeit mit Kibomango und seinen Jüngern. "Für die jungen Männer ist er eine Vaterfigur, sie blicken zu ihm auf", sagt Tosarelli. "Alle sind wütend und verzweifelt. Beim Boxen können sie alles rauslassen."
Bombensplitter nahm Kibomango ein Auge
"Friendship Club" nennt Kibomango seine Gruppe, die sich jeden Morgen um sechs Uhr zum Training trifft. Dem US-Radiosender NPR sagte er: "Wenn ich junge Leute so an sich arbeiten sehe, macht mich das sehr froh. Nach allem, was wir durchgemacht haben."
Denn Kibomango weiß genau, welches Grauen viele seiner Kämpfer erlebt und verbreitet haben. Sein linkes Auge fehlt, Narbengewebe bedeckt die Augenhöhle. Beim Boxen hat er sich diese schreckliche Verletzung nicht zugezogen. Kibomango - geboren als Balezi Bagunda, aber jeder in Goma nennt ihn bei seinem Ringnamen - streifte mit den Milizen durch den Kongo, kämpfte und mordete. Irgendwann erwischte ihn ein Bombensplitter im Gesicht. Für den Dienst an der Waffe taugte er danach nicht mehr.
Trotz der Behinderung steigt er weiter in den Ring. Heute nennt er sich kongolesischer Box-Meister, auch wenn die genauen Umstände des Titelgewinns undurchsichtig sind. Finanziell nützt ihm der Titel ohnehin nichts, mit dem Boxen verdient er kein Geld. Stattdessen bringt Kibomango seine Großfamilie als Automechaniker durch.
Boxer und Mechaniker in den Straßen von Goma
Jeden Tag schuftet er auf den Straßen von Goma in oder unter irgendwelchen Fahrzeugen. Er bringt jedes Auto zum Laufen, sagt er. Auch diese Fähigkeiten gibt Kibomango an seine jungen Boxer weiter. Ein bezahlter Job ist ein gutes Mittel gegen die Offerten der Rebellen, das weiß er.
Vor dem Tagwerk steht jedoch die Trainingsstunde unter dem Fußballstadion. Der Sport hilft den Jungen, ihre Wut auszuleben. Zugleich bläut ihnen Kibomango ein, dass es beim Boxen nicht nur um rohe Gewalt geht. Technik, Geduld und Selbstkontrolle machen einen guten Kämpfer aus, so seine Botschaft. Diese Werte sollen seine Schüler weitertragen. Er will sie zu Multiplikatoren machen. Sie selbst sollen verhindern, dass andere junge Leute in die Falle der Rebellen gehen.
Natürlich weiß er, dass er in eine aussichtslose Schlacht zieht. Zu viele junge Menschen lungern auf den Straßen des Kongo. Zu verführerisch klingen die Lockangebote der Menschenfänger. Doch im Ring hat sich Kibomango noch nie gedrückt, auch nicht vor vermeintlich übermächtigen Gegnern. Deshalb steht er jeden Morgen um sechs Uhr in dem kleinen Boxstall vor seinen Schülern und vertrimmt den Sandsack. Er kämpft für seine Vision des Kongo. Für ein Land, in dem nur noch Fäuste fliegen - und keine Granaten mehr.
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Harte Jungs: Kibomango (hintere Reihe, Mitte) mit seinen Kämpfern. In der kongolesischen Stadt Goma hat der 35-Jährige seinen eigenen Boxstall aufgemacht. Hier drillt er seine Schützlinge bis zur Erschöpfung.
Aufwärmen im ersten Licht des Tages: Um sechs Uhr trifft sich der "Friendship Club", jeden Morgen. Kibomango ist für die jungen Boxer in einer Person Trainer, Mentor und Vaterfigur.
Kein Mangel an Bewerbern: Anwärter für den "Friendship Club" gibt es genug. So wie diese jungen Männer, die beim Training zuschauen, wären viele gerne Teil des Teams. Die Boxer üben in einem kleinen Raum in den Katakomben des Fußballstadions. Ein eigenes Gebäude - oder gar einen echten Boxring - hat der Club nicht.
Vorbereitung für den Drill: Fabrice und Claude helfen sich gegenseitig beim Anziehen der Handschuhe. Wie die beiden sind alle Mitglieder des Clubs ehemalige Kindersoldaten. Unter Kibomangos Führung sollen sie das Grauen vergessen, das sie im Kongo gesehen und vielleicht auch angerichtet haben.
Kibomango kennt das Leiden seiner Schüler: Auch er stand jahrelang in den Reihen der Milizen. Erst nach seinem Ausscheiden entdeckte er das Boxen wieder. Diese Aufnahme zeigt ihn vor einem Re-Match gegen Saidi Kanyalire (vordere Reihe im grünen Outfit). Bei dem Kampf im Jahr 2009 kam der Herausforderer ums Leben. Die genauen Umstände sind unklar, Todesursache soll jedoch ein Herzinfarkt gewesen sein.
Großfamilie: Obwohl er sich kongolesischer Meister nennt, verdient Kibomango mit dem Sport kein Geld. Seine Frau und die sechs Kinder (hier die zweijährige Jenny und die vierjährige Jessica) muss er mit seinem Job als Automechaniker durchbringen.
Mit den Kindern und Ehefrau Nadine lebt Kibomango in den Slums von Goma. Trotz der Armut steht der Trainer jeden Morgen unentgeltlich um sechs Uhr in seinem Boxstall und lässt seine Schüler schwitzen.
Das "Stadion" von Goma: Hier ist der der "Friendship Club" zu Hause. Im Vordergrund brennt ein Müllhaufen. Die Armut in Goma macht die Stadt zu einem Zentrum der Rekrutierer aus den Rebellengruppen. Ständig versuchen diese, junge Männer mit allerlei Versprechungen an die Waffe zu locken.
Kibomango will seinen Schülern ein Vorbild sein: Deshalb hält er sich in bestechender Form, die allermeisten Trainingseinheiten macht er mit vollem Einsatz mit.
Das linke Auge fehlt: Ein Bombensplitter beendete Kibomangos Laufbahn als Rebellenkämpfer. Danach entdeckte er das Boxen wieder.
Schüler Amadi erholt sich von einer harten Sparring-Session. Beim Boxen sollen die jungen Kriegsveteranen ihre Aggressionen abbauen und ihr Trauma vergessen. Doch der Coach bleibt streng: Erst Technik, Geduld und Selbstkontrolle machen einen guten Kämpfer aus.
Ein stiller Moment: Kibomango spielt mit seinen Kindern in seinem Auto. Als Mechaniker bekommt er jedes Fahrzeug fit, sagt er. Nur das eigene nicht.
Alltag in Goma: Die Werber der unterschiedlichen Busunternehmen buhlen um ihre Kunden. Dabei geht es oft handfest zu, Schlägereien brechen aus. Kibomango (links) greift manchmal schlichtend ein. Der Respekt, den er in der Gemeinde genießt, erlaubt ihm dies und sichert auch seinen Ruf als hervorragender Boxer.
Im Sessel in Kampfmontur: Colonel Fanette Umuraza posiert in der M23-Zentrale in Rumangabo, Nord-Kivu. Die Rebellengruppe kontrolliert Teile des kongolesischen Grenzgebiets mit Uganda und Ruanda. In den Reihen der M23 finden sich auch immer wieder weibliche Kämpfer - so hoch aufgestiegen wie Umuraza ist jedoch keine andere.
Rechte Hand mit lila Nägeln: Die 32-Jährige untersteht direkt dem M23-Oberkommandeur Sultani Makenga - und gehört damit dem engsten Machtzirkel der Rebellengruppe an, die sich in der Region immer wieder Gefechte mit den Regierungstruppen liefert. Für ihren Einsatz in den Reihen von M23 hat sie eine besondere Begründung: Sie will die Rolle der Frau in der Demokratischen Republik Kongo revolutionieren. Frauen dürften nicht länger nur Opfer sein, so Colonel Umuraza.
Abendessen im Rebellenhaushalt: Auch Major Mathilde Samba dient der M23-Bewegung. Mit ihren 31 Jahren hat sie eine lange Militärkarriere hinter sich. 13 Jahre diente Samba der kongolesischen Armee, im November 2012 wechselte sie die Seiten.
Seitdem kämpft sie zusammen mit ihrem Ehemann Jean-Marie Labila, 49, in den Reihen von M23.
Mutter mit Maschinengewehr: Die gemeinsamen Töchter hat das Paar in die Hauptstadt Kinschasa geschickt - in Sicherheit, weit weg von den Kämpfen im Osten des Landes. Samba glaubt, nur durch ihren Krieg mit M23 die Geschichte des Kongo beeinflussen zu können.
Impression aus einem Offiziersheim der M23: Die Bewegung verbirgt sich in der Wildnis des östlichen Kongo. Mit entsprechend einfachen Bedingungen müssen sich die Rebellen arrangieren. Die wenigen Matratzen auf dem Boden des Gebäudes reichen längst nicht für alle 20 hochrangigen Militärs die dort logieren. Einige von ihnen übernachten in dem Autowrack auf dem Grundstück.
Major Masika Ngheleza Queen ist eine Überläuferin: Erst kämpfte sie für die Rebellengruppe Mai Mai Shetani. Dann schloss sich die 26-Jährige der M23-Bewegung an. Die Vergeltungsaktion kam prompt: Im Oktober 2012 wurde sie von Mai-Mai-Einheiten überfallen und verprügelt. Seitdem trägt sie Narben im Gesicht und schläft aus Angst vor neuen Übergriffen in einem M23-Gebäude.
Erinnerung an zu Hause: Im Zimmer der Soldatin hängen Damenschuhe und ein Bild der Schwester. Vor ihrem Leben als Rebellin betrieb Major Masika Ngheleza Queen ein Geschäft, sie hat einen Abschluss als Buchhalterin in der Tasche. Trotzdem hat sie sich entschieden, zu kämpfen.
Kämpferinnen der Mai Mai Shetani im Dschungel des Ostkongo. Fotografin Francesca Tosarelli wollte in der gefährlichen, unzugänglichen Region vor allem zwei Fragen klären: Welche Rolle spielen weibliche Kämpfer in den Rebellengruppen? Und was treibt sie dazu, sich den berüchtigten Gruppierungen anzuschließen? Sind es Zwang, Verzweiflung oder Idealismus.
Patroullie im hohen Gras: Kanieremervè Uivin and Major Francine Kanier durchstreifen das von ihrer Rebellengruppe Mai Mai Shetani kontrollierte Gebiet in Nord-Kivu. Die Shetani sind eine von vielen regionalen Milizen in der Region. Ihr Name ("Wasser Wasser") geht zurück auf traditionelle Zeremonien, in denen Krieger mit vermeintlich geheiligtem Wasser unverwundbar gemacht werden.
Rehema Rahijya: Das Mädchen, sein Alter kann oder will sie nicht nennen, schloss sich 2012 den Mai Mai Shetani-Rebellen an. Zuvor hatten andere Kämpfer ihre Schwester vergewaltigt und das Vieh der Familie gestohlen. Anders als Major Samba, kämpft sie als Fußsoldatin. Heiraten wird sie nie, da ist sie sich sicher. Einen anderen Job finden auch nicht. Wer will schon eine Mörderin?
Leben in der Hütte und von der Beute der Raubzüge: Liliane Katiwa steht vor ihrer Unterkunft auf der Buramba-Militärbasis. Seit sechs Monaten steht sie in Reihen der Mai-Mai-Shentai-Miliz. Eigentlich, so sagt sie, träumt die junge Frau von einem normalen Leben, einem normalen Job. Arbeit habe sie jedoch keine finden können.
Mit 16 ist Kanieremervè Uivin das älteste Kind in ihrer Familie: Ihr Vater wurde von einer rivalisierenden Miliz getötet, die Tante vergewaltigt. Da habe sie sich zum Beitritt zu Mai Mai Shentai entschieden. Am liebsten jedoch würde sie zurück nach Goma gehen und die Schule beenden. Auf die Frage, ob ihr Beitritt wirklich freiwillig war, will sie nicht antworten.
Hauptmotiv Rache: Auch Marimakile Kiakimuakisubua berichtet von Übergriffen gegen ihre Familie. Gezielt setzen viele Rebellengruppen Vergewaltigung als Kriegsmittel ein - auch die Mai Mai Shetani, für die Kiakimuakisubua seit der Attacke auf ihre Angehörigen kämpft.
Ein Gruppe von Kämpfern der Mai Mai Shetani in Nord-Kivu: Wie viele Frauen insgesamt in den Reihen der Rebellen kämpfen, ist unbekannt. Klar ist jedoch, dass sich längst nicht alle von ihnen freiwillig den Milizen anschließen. Immer wieder kommt es zu Entführungen. Männliche Kinder werden zum Dienst an der Waffe gezwungen, Mädchen nicht selten als Sklaven oder Prostituierte gehalten.
Undurchdringliche Wildnis: Dieses Areal ganz im Osten der Demokratischen Republik Kongo wird von Mai Mai Shetani kontrolliert. Die Gegend ist reich an Bodenschätzen, nicht zuletzt deshalb aber auch ständig umkämpft. Die Hügel im Hintergrund gehören bereits zum Nachbarland Uganda.
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