Ex-US-Außenministerin Rice Frau unter Bush-Kriegern

Ex-Außenministerin Rice, Ex-Präsident Bush: Witzeln über Gerhard Schröder
Foto: CHARLES DHARAPAK/ APGeorge W. Bush ist wieder im Kommen. Im Souvenirladen in der Pennsylvania Avenue, gleich um die Ecke vom Weißen Haus, ist der vielgescholtene Ex-Präsident als Plastikpuppe mit Wackelkopf zu erwerben. Zwar steht er zwei Regalreihen unter Barack Obama, etwa auf Kniehöhe des Besuchers; aber neulich mussten die Angestellten da unten sogar nachfüllen, weil die Touristen wieder zum Bush greifen.
Ein eigentümlich mildes Licht fällt plötzlich auf den 43. Präsidenten der USA, der sich nach Texas zurückgezogen hat. Wochentags lebt er in Dallas, am Wochenende auf der Ranch in Crawford.
Doch seine Hinterlassenschaften prägen das Land. Nach wie vor. Da ist die ökonomische Last zweier Kriege, die Trauer um all die Toten im Irak, in Afghanistan, und der weltweite Ansehensverlust des einstmals gütigen Hegemons; da ist - ausgelöst durch die Lehman-Pleite, die Bushs Regierung nicht verhinderte - eine Finanz- und Wirtschaftskrise, die Millionen Amerikaner den Job gekostet hat; da ist ein gigantischer Schuldenstand, durch Bushs Kriege und seine Steuergeschenke für die Reichen in acht Jahren Präsidentschaft nahezu verdoppelt. So bröckelt die Vormachtstellung der Vereinigten Staaten dahin.
Jetzt haftet Obama für Bushs Bilanz
Eine Bilanz zum Fürchten. Aber Bush? Der scheint mehr und mehr von dieser Stimmungslage abgekoppelt. Versuchten die Republikaner-Kandidaten im Wahlkampf 2008 noch jeden Kontakt mit ihm zu vermeiden, so tritt heute zumindest sein Double John C. Morgan bei Parteiveranstaltungen auf, empfiehlt den Texaner Rick Perry als Präsidentschaftskandidaten und nimmt 20 Dollar fürs gemeinsame Foto inklusive Bush-Grinsen. Sein Geschäft läuft nicht so schlecht derzeit.
Und Obama, der Bush-Nachfolger im Weißen Haus, muss jetzt plötzlich stets darauf hinweisen, dass die Wirtschaftskrise übrigens nicht erst mit seiner Amtsübernahme begonnen hat; sondern dass die Ursachen durchaus an anderer Stelle und in einer anderen Zeit zu suchen sind.
Doch das politische Gedächtnis ist nun mal ein Kurzzeitgedächtnis. Und so ist es wohl auch die beginnende Historisierung seiner acht Präsidentenjahre, die Bush plötzlich in einem besseren Licht dastehen lässt. Das liegt natürlich vor allem daran, wer diese Zeit erzählt, wer sie interpretiert. In den letzten zwölf Monaten ist das Land geradezu überflutet worden von den Memoiren der Bush-Krieger. Jener Kabinettsmitglieder, mit denen Bush in die Kriege gezogen ist. Geschichtsklitterung als Trend. Einer nach dem anderen sucht den großen Auftritt zwischen zwei Buchdeckeln.
Fast 3000 Seiten Selbstgewissheit
Das Ergebnis:
- 512 Seiten George W. Bush ("Decision Points"),
- 832 Seiten Ex-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ("Known and Unknown"),
- 576 Seiten Ex-Vizepräsident Dick Cheney ("In My Time")
- - und jetzt noch 766 Seiten Ex-Außenministerin Condoleezza Rice ("No Higher Honor").
Insgesamt 2.686 Seiten aus dem inneren Machtzirkel der Bush-Jahre. Profiteur all dieser Selbstbespiegelungen ist: Bush.
Denn einig sind sich alle Memoirenschreiber in ihrer Verteidigung des Ex-Präsidenten. Untereinander ist man dann weniger zimperlich. Cheney, genannt "Darth Vader", und "Rummy" Rumsfeld haben an mehreren Stellen mit "Condi" Rice abgerechnet. "Eine Akademikerin, Sie wissen schon", spöttelt Rumsfeld. Cheney lästert, Rice habe ihm unter Tränen darin zugestimmt, dass sich die Regierung nicht für Bushs Rede an die Nation 2003 entschuldigen müsse. Der Präsident hatte darin behauptet, der Irak habe versucht, sich Uran für Massenvernichtungswaffen zu beschaffen. Das stellte sich als falsch heraus. Rice ihrerseits wirft Rumsfeld vor, er habe schwere Fehler im Irak begangen (zu wenig Truppen) und sei nicht fähig gewesen, mit ihr "als einer Gleichberechtigten" umzugehen.
Dass der Irak-Krieg aber ein "dummer Krieg" war, wie es der amtierende Präsident Obama sagt, das will keiner der Bush-Schreiber eingestehen. Auch die Stanford-Professorin Rice nicht, die in diesem Reigen als die Bedächtigste gelten darf. Einen Angriff mit Massenvernichtungswaffen abzuwarten, sei nach der Erfahrung des 11. September 2001 "keine Option" gewesen, schreibt Rice. Iraks Diktator Saddam Hussein habe zuvor schon solche Waffen genutzt, warum sollte er sie also nicht künftig gegen die USA einsetzen oder an Terroristen weitergeben?
Dass der Diktator diese Waffen gar nicht besaß, ficht die damals Handelnden auch fast ein Jahrzehnt später nicht an. Über all die Lügen verliert Rice - anders als ihr Amtsvorgänger Colin Powell ("Schandfleck") - kein Wort.
Dafür aber haben sie und die anderen die Kritiker von damals nicht vergessen. Egal ob Bush, Rumsfeld oder Rice - alle nehmen sie sich noch einmal den deutschen Ex-Kanzler Gerhard Schröder vor. Der Präsident sei "geschockt" gewesen, als er von Schröders Anti-Kriegs-Position gehört habe. Der Deutsche habe ihn ja zuvor im Glauben gelassen, dass sein Land die USA gegen Saddam unterstütze, erinnert sich Rice, damals noch Bushs Nationale Sicherheitsberaterin.
Buhmann Schröder
Sie spielt auf jenen Schröder-Satz an, den Bush in seinen Memoiren zitiert: "Wenn Sie es schnell und entschieden erledigen, dann bin ich mit Ihnen", soll demnach der Kanzler dem Präsidenten versichert haben. Schröder hat das immer dementiert. Mehr als bei jedem anderen Allierten seien die Beziehungen zu Deutschland wegen der Irak-Frage beschädigt worden, meint Rice.
Sie erinnert sich an eine Pressekonferenz im Berliner Kanzleramt, während ihres ersten Deutschlandbesuchs als Außenministerin. Als sie einen Journalisten aufruft, obwohl eigentlich Schröder an der Reihe gewesen wäre, habe der "auf ungeschickte Weise dazwischengequäkt: 'Frauenpower!'" Rice ironisch: "Na klar, es war spaßig gemeint." Die Zeitungsfotos vom gemeinsamen Auftritt hätten dann aber eine sehr positive Stimmung übermittelt. Später im Flugzeug habe sie Bush angerufen: "Wir witzelten darüber, wie nah der Kanzler und ich uns schienen."
Mit Angela Merkel indes kamen Rice wie auch Bush später weit besser aus. "Ich kam nicht umhin zu denken: Wie anders wäre alles gelaufen, hätten wir das Problem Saddam Hussein mit Sarkozy angehen können, statt mit Chirac im Elysée oder mit Merkel anstelle von Schröder in Berlin", so Rice. Die 56-Jährige beschreibt einen besonderen Merkel-Moment während des Nato-Gipfels 2008 in Bukarest, als sie sich mit der Kanzlerin und den Osteuropäern einmal ohne Dolmetscher beriet: auf Russisch, weil dies die Sprache war, die sie alle beherrschten. Merkel, die Ex-DDR-Bürgerin; Rice, die frühere Sowjet-Expertin; und die Osteuropäer sowieso.
So ist das Buch der amerikanischen Ex-Außenministerin nur dort lesenswert, wo es um die Zwischentöne geht. Wenn sie Anekdoten erzählt, wenn sie ihr persönliches Erleben des 11. September schildert. Doch das Entscheidende fehlt bei ihr wie bei den anderen Memoirenschreibern: Selbstkritik.
Nur: Kann man das überhaupt erwarten von einer Autobiografie? Durchaus. "Wir haben uns schrecklich geirrt. Und wir sind künftigen Generationen eine Erklärung dafür schuldig, warum das so war." Das schrieb Ex-US-Verteidigungsminister Robert McNamara in seinem Lebensbericht über den Vietnam-Krieg, den er maßgeblich mitverschuldet hatte.
Bush, Cheney, Rice und Co. aber, sie alle sind selbstgewiss. So ganz anders als das verunsicherte Land, das sie hinterlassen haben.
Condoleezza Rice: "No Higher Honor. A Memoir of My Years in Washington", Crown Publishers New York, 35 Dollar.