Sicherheitsberater des Irak "Es kommt mir so vor, als wäre die ganze Erzählung der Amerikaner falsch"

Irakische Sicherheitskräfte im Kampf gegen den IS nahe der Stadt Tikrit (Archivbild)
Foto: AP/dpaFalih al-Fayadh, ist Berater des Nationalen Sicherheitsrats des Irak, war langjähriger Anführer der Haschd-al-Schaabi-Milizen und ist Gründer der Ataa-Bewegung. 1956 In Bagdad geboren studierte er in den Siebzigerjahren Elektrotechnik.
SPIEGEL ONLINE: Die US-Regierung behauptet, der Sieg gegen die Kämpfer des "Islamischen Staats" sei nur noch eine Frage "von Stunden". Können Sie das bestätigen?
Al-Fayad: Nein, es ist nicht möglich, einen solchen Sieg zu erklären. Wir haben bei unserem Vorgehen gegen den IS immer wieder die Erfahrung gemacht, dass wir die Terroristen nur vertreiben, nicht im eigentlichen Sinn besiegen.
SPIEGEL ONLINE: Wie ist das zu verstehen?
Al Fayad: Wir sind zum Beispiel an einem Abschnitt der irakisch-syrischen Grenze in der Anbar-Wüste gegen IS-Kämpfer vorgerückt. Aus der Region dort sind damals 20.000 Menschen geflohen. Ich bin überzeugt davon, dass unter diesen 20.000 auch viele IS-Leute waren, die sich einfach in andere Gebiete zurückgezogen haben. Bei anderen großen Operationen, in Mossul etwa, fanden wir am Ende von Gefechten manchmal nur sehr wenige getötete Feinde vor, die anderen müssen in andere Gegenden geflohen sein.
SPIEGEL ONLINE: Aber gibt es denn in Syrien noch nennenswerte Rückzugsorte für IS-Leute?
Al Fayad: Ja, die gibt es weiterhin. Die Stadt Idlib ist voll von IS-Kämpfern, die noch immer die ganze Region dort beherrschen. Sie sind außerdem in anderen syrischen Städten, in kleineren Orten, das ist nicht kontrollierbar. In Idlib sind jetzt alle ausländischen IS-Kämpfer, die noch übrig sind, all die, die aus Deutschland, Frankreich oder Großbritannien kamen.
SPIEGEL ONLINE: Was wird, ohne die Aussicht auf einen "Islamischen Staat", aus diesen Kämpfern?
Al Fayad: Wir fürchten, dass Leute des IS die nächste Generation einer neuen Al-Qaida-Bewegung werden könnten. Nach unseren Erkenntnissen ist eine neue Untergrundbewegung im Entstehen, dafür gibt es viele Indizien und Indikatoren. Das wird eine neue Gefahr für die ganze Welt, auch für Deutschland.
SPIEGEL ONLINE: Wie wirkt es auf Sie, wenn der US-Vizepräsident Mike Pence auf der Münchener Sicherheitskonferenz Ihr Nachbarland Iran als Hort des Terrors brandmarkt?
Al Fayad: Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wovon dann die Rede ist. Irak und Iran sind durch ihre Geschichte und die religiösen Stätten bei uns im Land tief verbunden. Als Nachbarn müssen wir an freundschaftlichen Beziehungen arbeiten. Iran war auch das einzige Land, das uns geholfen hat, als der IS bei uns auftauchte. Es kommt mir so vor, als wäre die ganze Erzählung der Amerikaner falsch. In unserer Region jedenfalls, glauben nur wenige daran. Ich habe den Eindruck, dass die Europäer den Amerikanern auch nicht folgen.
SPIEGEL ONLINE: Verfügt der heutige Irak über einen ausreichenden Sicherheitsapparat, um der chronischen Sicherheitsprobleme Herr zu werden?
Al Fayad: Ja, das ist so. Es ist noch nicht alles perfekt, aber es ist gelungen, Polizei und Militär ordentlich aufzustellen und die Milizen unter das Dach des Staates zu führen. Ich habe außerdem eine schlechte Nachricht an alle Dschihadisten: Sie finden bei uns keine Gesellschaft mehr vor, die sie willkommen hieße. Und wir werden uns auch nie wieder in ethnisch-religiöse Konflikte hineintreiben lassen. Das ist für immer vorbei.