Nach Salah Abdeslams Festnahme Die Jagd geht weiter

Nach Salah Abdeslams Festnahme: Die Jagd geht weiter
Foto: DSK/ AFPIn der Brüsseler Islamistenhochburg Molenbeek ist es ein bekannter Anblick: Die Straßen sind mit Polizeiautos zugestellt. In der Nähe des Ortes, an dem Salah Abdeslam und weitere Verdächtige am Freitagnachmittag festgenommen wurden, drängen sich Kamerateams aus aller Welt. Geheul von Polizeisirenen, am Nachmittag waren auch Hubschrauber im Einsatz, ein Stadtteil unter Belagerung. In gerade mal sechs Kilometer Entfernung endet gerade der EU-Gipfel mit der Türkei.
Schwer bewaffnete Polizisten haben in der Rue de Quatre Vents Stellung bezogen, an der Ecke gegenüber sitzen die Leute vor der Kneipe und schauen dem Treiben zu. Ein paar Meter weiter liegt das Hauptquartier der örtlichen Sozialisten. Nachbarn plaudern miteinander, ein katholischer Priester mischt sich darunter und auch ein muslimischer Geistlicher. Die Leute treibt die Sorge, dass ihr Stadtteil wieder und wieder in die Schlagzeilen gerät - als "Terrornest", "Dschihad Central", oder, wie der US-Präsidentschaftsbewerber Donald Trump gleich ganz Brüssel beschimpfte, als "hellhole". Das Stigma der Islamisten-Hochburg hindert die Jugendlichen in Molenbeek längst genauso daran, Jobs zu finden, wie fehlende Sprachkenntnisse oder Uniabschlüsse.

Belgien: Die Jagd auf die mutmaßlichen Paris-Attentäter
Salah Abdeslam, 26, in Marokko geboren, war einer von ihnen. Der meistgesuchte Terrorist Europas soll sich hier schleichend radikalisiert haben. Leute, die ihn kennen, beschrieben ihn schon nach den Anschlägen in Paris als gewöhnlichen Jungen, einer, der gern Fußball spielte und mit Mädchen flirtete. Kein auffälliger Typ - aber er soll eine zentrale Rolle bei den Anschlägen vom 13. November gespielt haben.
Jeder Tag in Freiheit eine Demütigung für die Polizei
Nach bisherigen Erkenntnissen der Ermittler hat Abdeslam Mietautos und Zimmer für die Killerkommandos organisiert und war auch direkt an der Ausführung der Anschläge beteiligt: Er soll drei seiner Komplizen mit dem Auto vor dem Bataclan abgesetzt haben. Die Männer stürmten den Konzertsaal mit Kalaschnikows und massakrierten 89 Menschen. Möglicherweise sollte Abdeslam auch selbst einen Selbstmordanschlag verüben. Doch anders als sein Bruder Brahim zündete er seinen Sprengstoffgürtel nicht, sondern warf ihn im Pariser Vorort Montrouge in einen Mülleimer.
Anschließend floh Abdeslam mit der Unterstützung von zwei Helfern nach Belgien. Dabei gingen sie der Polizei bereits kurzzeitig ins Netz: In Cambrai wurden sie bei einer Verkehrskontrolle gestoppt - durften aber weiterfahren. Wenig später tauchte Abdeslam in Molenbeek unter.
Jeder Tag, den er nach den Anschlägen in Freiheit blieb, war ein Schlag ins Gesicht der belgischen Sicherheitsbehörden. Die sind seit geraumer Zeit unter Druck. Der Vorwurf: Sie hätten die Sicherheitslage in ihrem Land nicht im Griff, und das nicht erst seit den Morden von Paris. Der Vorwurf wird nun bleiben, trotz der Festnahme. Zum einen, weil Frankreichs Staatspräsident François Hollande und Belgiens Premierminister Charles Michel am Freitagabend klar machten, dass sie noch mit weiteren Verhaftungen in einem weitverzweigten Netzwerk rechnen. Vor allem aber, weil sich die Frage stellt, wie Abdeslam sich mehr als 120 Tage lang mitten in Brüssel verstecken konnte - trotz ständiger Suchaktionen der belgischen Sicherheitsbehörden.
Fingerabdrücke führten Ermittler auf Abdeslams Spur
Eine konkrete Spur wurde erst vor Kurzem entdeckt. Am Dienstag kam es bei einer Wohnungsdurchsuchung im Brüsseler Stadtteil Forest zu einer Schießerei, bei der ein Mann getötet wurde. In der Wohnung wurden Fingerabdrücke und DNA-Spuren von Abdeslam gefunden, wie am Freitag bekannt wurde. Nach Angaben des belgischen Fernsehsenders RTBF sei es "mehr als wahrscheinlich", dass Abdeslam zu den beiden Männern gehörte, denen die Flucht über die Dächer gelang.
Die Wohnung, in der er sich danach versteckte, soll nach Informationen der belgischen Zeitung "Le Soir" der Mutter eines Freundes von Abdeslam gehören. Bei der Razzia am Freitag wurden außer Abdeslam auch drei seiner Familienmitglieder und ein weiterer Verdächtiger festgenommen. Doch der Kreis von Abdeslams Unterstützern ist offenbar noch weit größer. Die Ereignisse der letzten Tage hätten gezeigt, dass die Zahl derjenigen, die die Anschläge vom 13. November "zugelassen, organisiert und ermöglicht" hätten, sehr viel höher sei als angenommen, sagte Hollande nach den Festnahmen. "Wir sind mit einem extrem großen Netzwerk konfrontiert."
Laut Südwestrundfunk soll sich Abdeslam im vergangenen Herbst kurzzeitig in Ulm aufgehalten und dort mögliche Komplizen abgeholt haben. Demnach fuhr er in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 2015 mit einem auf seinen Namen angemieteten Wagen nach Ulm und offenbar nach nur rund einer Stunde wieder zurück. Bei dem Abstecher nach Ulm könnte er dem SWR-Bericht zufolge drei Männer, die sich als Syrer ausgegeben hatten, aus einer Flüchtlingsunterkunft abgeholt haben, in deren Nähe er geparkt hatte. Die drei Männer fehlten dort seither. Ihre Identität werde vom Bundeskriminalamt gemeinsam mit französischen und belgischen Sicherheitsbehörden geprüft, hieß es. Die deutschen Behörden wollten sich demnach nicht zu dem Vorgang äußern.
"Die belgischen Geheimdienste sind Nullen"
Abdeslam soll nun so schnell wie möglichnach Frankreich ausgeliefert werden. Doch die Arbeit der Ermittler, so viel scheint klar, ist noch lange nicht beendet - und die Festnahme Abdeslams dürfte den Druck bestenfalls kurzzeitig mindern. Die belgische Zeitung "De Standaard" etwa bezeichnete es als "beunruhigend", dass Abdeslam so lange unentdeckt bleiben konnte. "Es wäre weniger peinlich für die Fahnder gewesen, wenn Abdeslam in Syrien aufgetaucht wäre", kommentierte das Blatt.
Noch deutlicher wurde der französische Abgeordnete und ehemalige Anti-Terror-Richter Alain Marsaud. Dass Abdeslam sich so lange versteckt halten konnte, sei "kein großer Erfolg für die belgischen Geheimdienste", so Marsaud. "Entweder war Salah Abdeslam sehr schlau, oder die belgischen Dienste sind Nullen - was wahrscheinlicher ist." Mit Blick auf Molenbeek sagte Marsaud, die Belgier hätten sich naiv verhalten und zugelassen, dass sich "ein terroristisches Vipernnest" in ihrem Land entwickelt habe - "obwohl sie die Gefahr kannten".
Zusammengefasst: Der mutmaßliche Terrorist Salah Abdeslam wurde in der Brüsseler Gemeinde Molenbeek festgenommen, wo er sich nach den Anschlägen von Paris mehr als 120 Tage lang versteckt halten konnte. Das wirft zahlreiche Fragen auf - und deutet auf ein weitverzweigtes Unterstützer-Netzwerk hin.