
Flüchtlinge auf Kos Schawarma für alle
Atis Tzanis, 19, ist ein geschäftstüchtiger junger Mann. Dem Teenager gehört das Fast-Food-Restaurant "Smiley's" auf der griechischen Insel Kos. Auf dem Gehweg vor der Restaurant-Terrasse werden die Schawarmas auf zwei Schildern beworben: englisch- und arabischsprachig.
"Seit ich das arabische Schild aufgestellt habe, ist mein Restaurant mittags immer voll", sagt Tzanis. Sein Restaurant liegt direkt an der Strandpromenade, wo sich ein Flüchtlingszelt mit Syrern, aber auch Pakistanern, Afghanen und Iranern ans nächste reiht.
Auf der griechischen Insel Kos kommen derzeit pro Tag mehrere Hundert Flüchtlinge an. Das ist auch auf anderen griechischen Inseln nahe der türkischen Küste so. Allerdings gibt es vor allem auf Kos größere Probleme: Die Registrierung der Flüchtlinge lief dort viel schleppender ab, bis Kos in den vergangenen Tagen aufs Tempo drückte. Zudem gibt es dort keine Unterkunft für die Flüchtlinge. Nun sollen zumindest die Syrer ab Samstagnacht auf einer Fähre unterkommen, damit die Zeltstadt an der Strandpromenade wieder verschwindet.
Für die Einheimischen ist die Zeltstadt ein Albtraum: Die Insel lebt vom Tourismus. Erst das Aufflammen der Eurokrise direkt vor Beginn der Hochsaison und nun Obdachlose am Strand. Was, wenn nun die ganzen Europäer ausbleiben, weil sie im Urlaub kein Elend sehen wollen?
Wenn die Europäer kommen, sind die Syrer in Zelten
Viele Hotelbesitzer und Restaurantbetreiber auf Kos lehnen die Flüchtlinge als Kunden ab. Sie fürchten, dass diese die europäischen Touristen abschrecken könnten. Laut machen sie ihre Verachtung kund: Die Flüchtlinge würden stinken und alles dreckig machen. Die Geflohenen selbst würden auch gern sich und ihre Kleidung waschen können und nicht im Freien hausen, nur haben sie keine andere Wahl.
Atis Tzanis sieht die Sache pragmatisch. Seine Tür steht für Syrer offen. "Das sind Menschen, die zum Essen kommen" sagt er. Auf seinem T-Shirt steht: "Break the rules". Drei Angestellte arbeiten für den Teenager. Sie stehen hinter dem Tresen und kochen. Der junge Geschäftsführer kann als einziger Englisch. Seine Kunden bedient er selbst.
Es ist 15 Uhr, eine Gruppe Syrer kommt ins Restaurant und setzt sich. Die Syrer nehmen am Nachmittag ihre Hauptmahlzeit ein. Abends gibt es bloß ein kleines Vesper. Tzanis bringt ihnen Cola-Flaschen und nimmt die weitere Bestellung auf. "Schawarma?", fragt er, eine mit Hähnchenfleisch gefüllte Brotrolle, die es auch in Syrien gibt. "Six", bekommt er als Antwort.
Während die sechs Syrer auf ihr Essen warten, dürfen sie an zwei Steckdosen im Restaurant ihre Handys aufladen und am Waschbecken der Toilette ihr Gesicht waschen. Es gibt an der Strandpromenade keine einzige sanitäre Anlage für Flüchtlinge. Die nächste ist ein drei Kilometer entferntes Dixie-Klo im Garten eines vor Jahren geschlossenen Hotels, in dem nun Dutzende Flüchtlinge in katastrophalen Zuständen hausen.
"Die Europäer kommen immer so gegen 19 Uhr zum Essen", sagt Tzanis. Da sitzen die Syrer wieder in ihren Zelten.
"Mein Vater wollte eine bessere Zukunft für uns"
Tzanis erzählt, dass das arabischsprachige Schild die Idee eines neuen Freundes war, den er vor ein paar Monaten kennengelernt hatte: Ein gleichaltriger Syrer, englischsprachig, der ins Restaurant kam und fragte, ob er ein Schawarma kaufen könne. Die beiden jungen Männer kamen ins Gespräch. "Ich unterhalte mich gern mit Leuten", sagt Tzanis. "Ich habe ihn gefragt, wie es in Syrien gerade ist, und er hat es mir erzählt."
Der junge Syrer schlug Tzanis vor, die Gerichte zu übersetzen. Er schrieb das Schild. Zehn Tage blieb er auf der Insel, bevor seine Registrierung abgeschlossen war. Dann konnte er weiter mit der Fähre nach Athen, über den Balkan nach Westeuropa. Inzwischen lebt er in Deutschland. Die beiden bleiben über Facebook in Kontakt.
Tzanis weiß, wie es ist, ein Fremder zu sein. Seine Familie kam aus Albanien nach Griechenland, als er zwei Jahre alt war. "Mein Vater wollte eine bessere Zukunft für uns", erzählt er. Der Vater betreibt erfolgreich nebenan eines der größeren Restaurants. Als Tzanis volljährig wurde, fragte der Vater ihn, was er wolle: ein eigenes Auto oder ein kleines Geschäft? Tzanis machte "Smiley's" auf. Von seinem eigenen Restaurant hatte er schon immer geträumt.
Videokommentar von der Insel Kos: