
Migration durch die Sahara Europas tödlicher Wall aus Sand

Gräber für verdurstete Flüchtlinge in Niger (Archivbild aus 2013)
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Flüchtlingsroute von Niger durch die Sahara
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Europäer verurteilen gerne Donald Trumps Idee, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu errichten, um damit Einwanderer von den USA fernzuhalten.
Europas Regierungen brauchen keine eigene Mauer. Sie haben das Mittelmeer und dahinter, weiter südlich, 3000 Kilometer Wüste. Eine Art riesiger Abwehrwall gegen Menschen aus dem südlichen Afrika. Dort - im Meer und in der Sahara - verschwanden 2016 geschätzt 20.000 Menschen. Die meisten dürften verdurstet sein.
Gräber für verdurstete Flüchtlinge in Niger (Archivbild aus 2013)
Foto: AP/dpaEuropa verstärkt diesen Wall aus Wasser und Sand seit Jahrzehnten: Mit modernen Zäunen und Kameras in den spanischen Afrika-Exklaven Ceuta und Melilla. Mit Küstenwachtbooten und Helikoptern zwischen Westafrika und den spanischen Kanaren. Durch einen fragwürdigen Flüchtlingsdeal mit der Türkei, einschließlich einer türkischen Grenzmauer zu Syrien. Und neuerdings mit sogenannten Migrationspartnerschaften mit afrikanischen Transitstaaten, in denen Polizei- und Grenzschutzkräfte gegen Schlepper gerüstet werden.
2017 sieht es so aus, als wirkten die neuen Maßnahmen. Derzeit sinkt die Zahl der Einwanderer, die Europa über das Mittelmeer erreichen. Bis Ende August 2016 kamen gut 280.000 Menschen auf Booten in die EU. Seit Januar 2017 sind es bislang 120.000.
Bei der Frage nach den Gründen lauten gängige Antworten: Italien habe genug von dem Zustrom, und gängele darum private Flüchtlingsretter auf dem Mittelmeer. An der libyschen Küste werde auf Druck der EU mehr auf Schmugglerbekämpfung geachtet, die Küstenwache greife härter durch. Zuletzt war auch von einer fragwürdigen Brigade zu lesen, die in der libyschen Küstenstadt Sabrata Schlepper bekämpfen soll.
Aktuelle Zahlen der Internationalen Organisation für Migration aus dem Haupttransitland Niger südlich der Sahara zeigen einen weiteren - womöglich entscheidenden - Grund: Die Zahl der erfassten Migranten, die Niger auf der Route durch die Sahara nach Libyen verlassen möchten, sinkt dramatisch.
2016 zogen noch mehr als 300.000 Menschen von dort mit dem Ziel Europa weiter, in diesem Jahr sind es bislang lediglich knapp 40.000. Im Monatsdurchschnitt sank ihre Zahl um gut 86 Prozent.
Auf Nachfrage des SPIEGEL schildert die Internationale Organisation für Migration (IOM) in der nigrischen Hauptstadt Niamey mögliche Gründe:
Die Schmugglerabwehr, die Deutschland und seine EU-Partner im Rahmen der Europäischen Migrationsagenda organisieren, scheint zu wirken. Auf Druck der EU haben nigrische Polizei und Militär Kontrollpunkte an Wasserstellen und in Ortschaften entlang der wichtigsten Routen Richtung Libyen eingerichtet.
"Konvois mit 40 Lastwagen, das gibt es nicht mehr"
Illegal ist Schlepperei in Niger seit 2015. Um Kontrollen zu garantieren, setzt die EU neuerdings Kontaktbeamte aus anderen afrikanischen Ländern ein, welche die Arbeit der nigrischen Kollegen eng begleiten. Das Ziel: Schlepper festnehmen und ihre Fahrzeuge konfiszieren. Seit Juli 2016 sind weit mehr als 100 Menschenschmuggler verhaftet und ungleich mehr Lastwagen und Pick-ups beschlagnahmt worden. Die Migranten kehren um oder warten auf ihre nächste Chance. Sie bleiben unbehelligt, denn alle Staaten im westafrikanischen Wirtschaftsraum haben Freizügigkeit vereinbart.
Allerdings betont die IOM: Schmuggler und Migranten lernen schnell und weichen aus.
Flüchtlingsroute von Niger durch die Sahara
Foto: SPIEGEL ONLINEAn zwei Messstationen, an denen die IOM die Durchreisenden zählt, lauern auch die EU-unterstützten Sicherheitskräfte den Schleppern auf. Wegen der EU-Kontrollen nehmen die Schmuggler mit ihrer menschlichen Fracht nun weniger befahrene und damit noch gefährlichere Routen. (Lesen Sie hier eine SPIEGEL-Reportage aus Niger.)
Schon früher galt, dass Schlepper ihre menschliche Fracht mitunter im Nirgendwo zurückließen. Wer von der Ladefläche fällt, stirbt in der Wüste. Die IOM schätzt, dass 15.000 Menschen im Jahr in der Sahara verschwanden - dreimal so viele, wie im Mittelmeer verloren gingen und mutmaßlich ertrunken sind.
Richtig sei aber auch: "Es gehen definitiv weniger Menschen nach Norden als früher. Die Ausreisen in Richtung Libyen gehen zurück", sagt Alberto Preato, IOM-Projektleiter in Niger. "Vor einem Jahr noch fuhren Konvois mit um die 40 Lastwagen nach Norden, das gibt es nicht mehr."
"Das wäre ein enormer Pull-Faktor"
Ein wichtiger Grund: Es habe sich herumgesprochen, wie entsetzlich die Verhältnisse in Libyen und der Weg dorthin für die Migranten sind. Rückkehrer berichten von Folter, Sklavenmärkten und den Gefahren des Trecks durch die Wüste, das schrecke offenbar mehr Menschen ab, sagt Preato.
Daran ist auch die IOM beteiligt. Sie hält niemanden auf, ihr offizielles Mandat lautet: Möglichst vielen Migranten die Weiterreise nach Norden ausreden und bei der Rückkehr in die Heimat zu helfen. Im laufenden Jahr habe man 4000 Migranten die Rückreise erleichtert. Trotzdem sei der Weg über Niger weiter die dominierende Route nach Libyen und "noch immer das wichtigste Transitland nach Norden".
Nun wollen die EU-Staaten eine neue Idee umsetzen: Menschen sollen bereits in Afrika für den europäischen Arbeitsmarkt selektiert und Migrantenlager in Niger gebaut werden. Diejenigen mit gefragten Fähigkeiten und die mit Aussicht auf Asyl dürften nach Europa. Alle anderen: zurück nach Hause. So wünschten es sich Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zuletzt beim jüngsten EU-Migrationsgipfel in Paris.
Bei der IOM in Niamey sorgt das für Skepsis. "Die Idee, EU-Asylanträge in Niger zu bearbeiten, ist mir noch nicht bekannt", so Preato. Er vermutet, eine Vorauswahl für den Arbeitsmarkt wäre sogar kontraproduktiv: "Das wäre ein enormer Pull-Faktor, der für mehr Migration in der Region sorgen würde." Wenn sich herumspricht, dass in Niger Arbeitskräfte für Europa gesucht würden, entstünde ein noch größerer Migrantenzuzug als ohnehin schon. Asyl sei in Niger außerdem kein großes Thema. Die Menschen, die hier durchreisten, seien Migranten auf der Suche nach einem besseren Leben. Einen Asylgrund hätten die meisten nicht.
Niger:Die stille TragödieIn der Sahara sterben mehr afrikanische Migranten als im Mittelmeer. Überlebende klagen nun die EU an - sie zwinge die Flüchtlinge, immer gefährlichere Routen zu nehmen.
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Ein Truck nahe Agadez: Der Ort in Niger ist das Tor zur Sahara für Migranten aus dem südlichen Afrika, die nach Libyen und weiter nach Italien wollen - doch die Zahl der registrierten Flüchtlinge ist dramatisch gesunken.
Auf Lkw und Pick-ups bringen die Menschenschmuggler die Migranten in die Wüste, viele kehren nicht zurück.
Die IOM schätzt, dass dreimal so viele Menschen in der Wüste sterben, wie im Mittelmeer vermisst werden. Stimmt die Annahme, fanden im vergangenen Jahr 15.000 Menschen in der Sahara den Tod, weil ihre Konvois stecken blieben oder die Schmuggler sie zurückließen.
Spuren im Sand sind das Einzige, was von vielen der Migranten bleibt. Hier ein Paar Schlappen, zurückgelassen an der Grenze zwischen Algerien und Libyen, den Hauptzielländern der Menschen, die durch Niger nach Norden ziehen.
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