Verteilung von Flüchtlingen Das Versagen der Osteuropäer

Flüchtlinge am ungarischen Grenzzaun: Die EU bietet ein trauriges Bild
Foto: BERNADETT SZABO/ REUTERSAn diesem Freitag kommt der neue polnische Staatspräsident Andrzej Duda nach Berlin. Militärischer Empfang durch Joachim Gauck im Schloss Bellevue, danach ein Gespräch mit Angela Merkel im Kanzleramt. In normalen Zeiten wäre es ein Routinebesuch, die deutsch-polnischen Beziehungen haben sich prächtig entwickelt.
Doch der Besuch kommt in Zeiten, die einem europäischen Ausnahmezustand ähneln: Täglich überqueren Tausende Flüchtlinge die südosteuropäischen Grenzen. Die Menschen drängen nach Norden, vor allem nach Österreich, nach Deutschland, in die skandinavischen Länder. Dort, wo sie Wohlstand erhoffen, wo Landsleute wohnen, wo es Netzwerke gibt. Angesichts der Lage wird die Forderung im Norden nach einer "fairen Verteilung" von Flüchtlingen immer stärker, wie es am Donnerstag auf der Westbalkan-Konferenz in Wien der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier einmal mehr verlangt hat.
Der Ruf verhallt bislang ungehört. Eine verpflichtende Quote wollen die Osteuropäer nicht, die tschechische Regierung etwa erklärte sich lediglich bereit, 1500 Flüchtlinge freiwillig zu übernehmen. Nach wie vor gilt: Die osteuropäischen Regierungen sperren sich, winden sich.
Die EU bietet ein trauriges Bild: Erst im Mai hatte die Kommission vorgeschlagen, 40.000 syrische Kriegsflüchtlinge in Europa zu verteilen. Sie scheiterte damit. Im Osten reagierte die politischen Klasse in Teilen mit Nationalismus und Chauvinismus, in der Slowakei wurde kurzfristig darüber nachgedacht, nur christliche Syrer aufzunehmen. Und manch hochrangiger ungarischer Gesprächspartner hat in Berlin den Hinweis hinterlassen, wenn die EU die Flüchtlinge zu ihnen zurückschicke, gebe es eine noch rechtere Regierung in Budapest. An Ausflüchten herrscht kein Mangel. Auch der polnische Präsident Duda machte deutlich, dass sein Land vor allem ukrainische Flüchtlinge aufnimmt, und fügte hinzu, es gebe im Falle einer Eskalation des Ukrainekonflikts "Hinweise, dass mehrere Hunderttausend Ukrainer zu uns flüchten wollen".
Auf diese Art wird der europäische Gedanke der Solidarität untergraben. Von Regierungen im Osten, die Milliarden aus westlichen und südlichen Staaten der EU zum Aufbau der Infrastruktur in ihren Staaten erhalten haben.
Ende der Vorwürfe
Zur Wahrheit gehört zwar auch, dass der wohlhabende Norden lange in der Flüchtlingsfrage den ärmeren Süden der EU - Italien, Griechenland und Ungarn - weitgehend sich selbst überlassen hat. Mit dem Grundsatz des Dublin-Abkommens - wo der Flüchtling zuerst ankommt, bleibt er auch - hofften und hoffen sich die Nordländer die Zuwanderer vom eigenen Staatsgebiet fernzuhalten. Das Schwarzer-Peter-Spiel aber bringt keinen weiter.
Niemand konnte ahnen, welche Dynamik in diesem Sommer folgen würde: Die Flüchtlinge setzen sich massenhaft in Bewegung und schaffen Tatsachen, die Politik muss reagieren. Deutschland hat im Falle der Syrer längst Konsequenzen aus dem Dublin-Abkommen gezogen - und die Rückführung in jene Länder, in denen sie zunächst Asyl beantragten, ausgesetzt. Das ist praktische Solidarität.
Merkel hat jüngst erklärt, drei oder vier von 28 EU-Ländern könnten nicht die ganze Last tragen. Das ist ein schlichter, wahrer Satz. Doch was folgt daraus?
Die Führungen in Osteuropa müssen sich bewegen, notfalls mit Druck und Hilfe aus der EU-Kasse. Eine "faire Lastenverteilung", das heißt eben auch, muslimische Einwanderer in bislang fast homogenen katholischen Ländern aufzunehmen und ihnen dort ein würdiges Unterkommen zu ermöglichen. Das alles wird in Gesellschaften, in denen Xenophobie weit verbreitet ist, nicht einfach funktionieren, das ist klar. Doch so wie Westeuropa wird auch Osteuropa lernen müssen, dass sich moderne Gesellschaften nicht abschotten können.
Das ist Solidarität. Ein Begriff übrigens, der einst 1980 in Polen hoch im Kurs stand - als die oppositionelle Gewerkschaftsbewegung "Solidarnosc" sich gründete, die einen maßgeblichen Anteil daran hat, dass die Geschichte einen anderen Verlauf nahm, als im Realsozialismus vorgesehen war. Am Ende des Weges stand die Freiheit, die nach einem längeren Weg auch viele osteuropäische Staaten in die EU führte.