Griechenland empört über Kritik aus Österreich "Sollen wir die Flüchtlingsboote vielleicht versenken?"

Griechenlands Marine könnte viel mehr gegen den Flüchtlingszuzug tun, fordert die österreichische Innenministerin. Athen reagiert fassungslos: Wenn man ein Boot auf See sichte, gebe es nur eine Handlungsoption.
Flüchtlinge im Schlauchboot vor der Insel Lesbos: "Was für ein Haufen Blödsinn"

Flüchtlinge im Schlauchboot vor der Insel Lesbos: "Was für ein Haufen Blödsinn"

Foto: ARIS MESSINIS/ AFP

Mehr Kontrollen an den Grenzen, weniger Asylverfahren, höhere Zäune - Österreichs Innenministerin ist mit Vorschlägen in der Flüchtlingskrise immer wieder rasch bei der Hand. Doch was Johanna Mikl-Leitner nun beim Treffen mit ihren EU-Kollegen in Amsterdam vorbrachte, sorgt zumindest in Griechenland für einige Verstimmung. Es sei ein "Mythos", so die konservative Politikerin, dass die Grenzen des Landes nicht zu schützen seien. Solle man doch einfach die Marine losschicken, immerhin eine der "größten Europas".

"Was für ein Haufen Blödsinn", sagte ein griechischer Marineoffizier SPIEGEL ONLINE. "Was sollen wir denn machen? Vielleicht die Boote versenken? Oder gleich in türkischen Gewässern operieren?" Aus Marinekreisen ist weiter zu hören, dass es genau eine Handlungsoption gibt, wenn ein Flüchtlingsboot auf See gesichtet wird: Hilfe bei der sicheren Passage in den nächsten griechischen Hafen. Die Menschen zurück in türkisches Hoheitsgebiet zu zwingen, sei so gefährlich wie illegal.

Diese jüngste Forderung dürfte viele Griechen in ihrem Gefühl bestätigen: In der Flüchtlingsfrage - wie schon in der Finanzkrise - fühlt man sich ausgesondert. Immer wieder, ja täglich, müsse man sich mit Drohungen auseinandersetzen, klagen Regierungsvertreter. Das gehe bis zum Ausschluss aus dem Schengenraum.

Zahlreiche Maßnahmen sind noch nicht umgesetzt

Und dann gibt es da ja noch diesen neuen Vorschlag, in Amsterdam vorgebracht von der belgischen Delegation. Nachgedacht wird über ein riesiges Flüchtlingscamp bei Athen. Kapazität: 400.000 Menschen. Die Angst geht nun um, Griechenland könnte zum primären Auffangbecken für Flüchtlinge werden.

Allerdings haben die Griechen auch einiges getan, um den Unmut der europäischen Partner zu rechtfertigen. Beziehungsweise: einiges versäumt. Noch immer sind zahlreiche zugesagte Maßnahmen nicht umgesetzt. Von den fünf versprochenen Hotspots etwa, zentralen Registrierungseinrichtungen, arbeitet gerade einmal der auf der Insel Lesbos halbwegs verlässlich. Die Unterbringung und Versorgung der Menschen sind in vielen Fällen nicht gegeben.

Auch deshalb läuft es weiter nach dem alten Muster ab: Flüchtlinge landen auf den griechischen Inseln, reisen per Fähre auf das Festland weiter und machen sich dann auf nach Norden, zur mazedonischen Grenze. Von dort versuchen sie, weiterzukommen, Deutschland ist eines der beliebtesten Ziele. Seit Anfang Januar haben laut griechischen Angaben rund 50.000 Menschen diese Route gewählt.

Vorstoß aus Österreich stößt in Athen auf Unverständnis

Trotz des Drucks aus Europa - die neue Forderung von Johanna Mikl-Leitner stößt in Athen auf Unverständnis. Der Sprecher des Außenministeriums empfahl der Österreicherin, "ihre Worte weise zu wählen" und "mehr über den europäischen Geist als über Machtpolitik in Wien nachzudenken". Nikos Xydakis, stellvertretender griechischer Außenminister, stellte klar: "Unser Land schützt seine eigenen und die europäischen Grenzen. Boote mit Flüchtlingen zu versenken, gehört nicht zu dieser Aufgabe."

Eine wie auch immer geartete Ausweitung des Marineeinsatzes könnte schließlich schon an den Kosten scheitern. Die Finanzkrise belastet auch das Budget der Streitkräfte erheblich, bereits jetzt können die Treibstoffkosten kaum gedeckt werden. Dabei blickt man durchaus neidisch auf den Nachbarn im Osten. "Ankara bekommt drei Milliarden Euro, bei uns kommen kaum die zugesagten paar Dutzend Millionen Euro an", sagte Verteidigungsminister Panos Kammenos am Dienstag im griechischen Fernsehen. Außenminister Nikos Kotzias rechnete vor, dass sein Land bereits zwei Milliarden Euro für Unterbringung, Versorgung und Transport der Flüchtlinge ausgegeben habe.

Wie auch immer eine mögliche europäische Lösung des Flüchtlingsproblems aussehen könnte, in einem ist man sich in Athen sicher: In der kompletten Abriegelung von 18.000 Kilometern griechischer Küste liegt sie sicher nicht.


Zusammengefasst: Von Österreich muss sich Athen schwere Vorwürfe anhören: Griechenland tue nicht genug, um die Weiterreise von Flüchtlingen in die EU zu unterbinden. In Athen sorgt diese Klage für Fassungslosigkeit. Eine 18.000 Kilometer lange Küste sei nicht abzuriegeln, und wenn die griechische Marine auf See Boote mit Flüchtlingen sichte, gebe es sowieso nur eine Handlungsoption: die Menschen sicher in den nächsten Hafen zu geleiten. Auf Unverständnis stößt in Griechenland zudem der Umstand, dass die Türkei drei Milliarden Euro an Hilfen erhält, Athen aber nur einen zweistelligen Millionenbetrag.

Forum

Liebe Leserinnen und Leser,
im Unterschied zu vielen anderen Artikeln auf SPIEGEL ONLINE finden Sie unter diesem Text kein Forum. Leider erreichen uns zum Thema Flüchtlinge so viele unangemessene, beleidigende oder justiziable Forumsbeiträge, dass eine gewissenhafte Moderation nach den Regeln unserer Netiquette kaum mehr möglich ist. Deshalb gibt es nur unter ausgewählten Artikeln zu diesem Thema ein Forum. Wir bitten um Verständnis.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten