
Flüchtlinge in Ungarn Die Verzweifelten von Budapest

Chaotische Lage: Flüchtlinge campieren im Keleti-Bahnhof in Budapest
Foto: Zsolt Szigetvary/ dpa
Syrisches Flüchtlingskind in Budapest: Wann geht es weiter?
Foto: LASZLO BALOGH/ REUTERS"Deutschland! Deutschland!", "Germany, help us", "Wir wollen hier weg!" - seit Samstag protestieren verzweifelte Flüchtlinge mit Sprechchören und Parolen auf Pappschildern am Budapester Ostbahnhof. Sie versammeln sich auf der Treppe vor dem Bahnhofsgebäude, in Unterführungen oder auf dem weitläufigen Platz vor dem Bahnhof. Die Polizei treibt die Menschen immer wieder auseinander, später kommen sie dann wieder zusammen, um erneut zu protestieren.
Die ungarische Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán betreibt die härteste Anti-Flüchtlingspolitik der Europäischen Union - und hat damit ein Flüchtlingschaos im Land provoziert, so wie am Budapester Ostbahnhof.
Erst am Montagmittag änderte sich die Lage. Den ungarischen Behörden war die Situation so sehr über den Kopf gewachsen, dass Polizeirazzien in Zügen Richtung Österreich anscheinend ausgesetzt wurden. Das Nachrichtenportal "Origo" berichtete, am Morgen seien Hunderte Flüchtlinge ungehindert in Züge gestürmt. Dies bestätigt auch internationale Nachrichtenagenturen. Die Züge seien unter anderem nach Wien, München und Berlin gefahren.
Chaotische Lage: Flüchtlinge campieren im Keleti-Bahnhof in Budapest
Foto: Zsolt Szigetvary/ dpaSeit Tagen hatte die Polizei immer wieder Flüchtlinge mit gültigen Fahrkarten aus den Zügen nach Österreich geholt und sie so an der Weiterfahrt in Richtung Westen gehindert. Die Zahl der Flüchtlinge in einer sogenannten Transitzone auf dem Bahnhof wuchs daher stetig. Dort schlafen die Menschen auf dem Boden oder in Zelten, zum Waschen gibt es nur einige wenige Wasserhähne.
Getränke und Verpflegung werden lediglich von ehrenamtlichen privaten Helfern gebracht. Sie sind es auch, die eine medizinische Versorgung organisieren und beim Übersetzen helfen - denn Informationen ungarischer Behörden gibt es für Flüchtlinge nur in ungarischer Sprache. "Alles, was wir hier an den Budapester Bahnhöfen machen, wäre eigentlich Aufgabe des Staates", kritisiert András Léderer, ein ehrenamtlicher Helfer der Facebook-Gruppe Migration Aid.
Syrisches Flüchtlingskind in Budapest: Wann geht es weiter?
Foto: LASZLO BALOGH/ REUTERSDie Budapester Stadtverwaltung will in den kommenden Tagen beginnen, auf einem großen unbebauten Gelände neben dem Ostbahnhof eine besser ausgestattete Transitzone einzurichten. Dagegen protestierten inzwischen Aktivisten der rechtsextremen Jobbik-Partei - sie besetzten das Gelände am Montagvormittag und wollen notfalls auch mit Gewalt gegen die Einrichtung einer Transitzone vorgehen, kündigten sie an. Budapest dürfe sich nicht in ein Flüchtlingslager verwandeln, so der Budapester Jobbik-Politiker János Stummer.
Wer trägt die Verantwortung für die Zustände?
Die Schuld für das Chaos sieht die Regierung in Budapest offenbar vor allem in Deutschland. Sie hat Berlin daher aufgefordert, rechtliche Klarheit zu den Reisen von Flüchtlingen innerhalb der EU zu schaffen. "Um die intransparente und widersprüchliche Lage zu beenden, fordern wir Deutschland auf, die rechtliche Situation zu klären", sagte ein Sprecher der ungarischen Regierung der ungarischen Nachrichtenagentur MTI.
Nach den Regeln des Schengenraums dürften Flüchtlinge aus Ungarn nur mit gültigen Reisedokumenten und mit einem Visum des Ziellandes ausreisen. Dies habe dazu geführt, dass sich eine wachsende Zahl an Migranten, die in Ungarn als Asylbewerber registriert sind, aber nach Deutschland wollen, in den Bahnhöfen aufhalten.
In Budapest und Berlin machten am Montag Gerüchte die Runde, die Bundesregierung plane, syrische Kriegsflüchttlinge mit Sonderzügen von den Bahnhöfen in Budapest nach Deutschland zu bringen. Sowohl das Auswärtige Amt als auch das Bundesinnenministerum und Regierungssprecher Steffen Seibert dementierten dies. "An dem Gerücht ist absolut nichts dran", schrieb Seibert SPIEGEL ONLINE. Das Auswärtige Amt sprach auf Twitter von einer Ente. Seibert stellte klar: Wer nach Ungarn komme, müsse sich dort registrieren und sich dort einem Asylverfahren stellen.
Die Orbán-Regierung steht derzeit massiv in der Kritik. Sie versucht, mit einem 175 Kilometer langen Zaun an der Grenze zu Serbien Flüchtlinge abzuhalten. "Es ist eine Illusion zu glauben, mit derartigen Maßnahmen Flüchtlinge abzuhalten. Die werden Wege finden", sagte Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner am Montag. Zuvor hatte bereits Frankreich Ungarns Abschottungsversuche scharf kritisiert: Das Land respektiere europäische Werte nicht, sagte Außenminister Laurent Fabius. Ende Oktober soll der Zaun noch mit einem bis zu vier Meter hohen Maschendrahtzaun ergänzt werden.
Video: Wie Flüchtlinge in der Transitzone in Budapest ausharren
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Flüchtlinge vor dem Keleti-Bahnhof in Budapest: Die Menschen fordern, in Zügen nach Deutschland gebracht zu werden. Die Bundesregierung dementierte Gerüchte, wonach die Bundesrepublik Sonderzüge einsetzen wolle.
Ein syrisches Kind wartet auf dem Boden. Zuletzt holte die ungarische Polizei am Budapester Ostbahnhof immer wieder Migranten mit gültigen Fahrkarten aus den Zügen Richtung Westen. Immer mehr Menschen harren deshalb in der Transitzone des Bahnhofs aus und schlafen auf dem Boden.
Seit Samstag protestieren verzweifelte Flüchtlinge vor dem Bahnhof. Sie rufen "Deutschland! Deutschland!" oder "Wir wollen hier weg!" Am Montag schafften es offenbar Hunderte Menschen, tatsächlich in Züge gen Westen zu steigen.
Die Polizei treibt die Menschen auseinander, doch die Flüchtlinge kommen immer wieder zusammen: auf dem Platz vor dem Bahnhof, auf der Treppen zu dem Gebäude oder in Unterführungen.
Die Migranten protestieren gegen Ungarns Flüchtlingspolitik. Die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán steht wegen ihrer harten Haltung gegenüber den Asylbewerbern in der Kritik.
Ungarn versucht derzeit, mit einem 175 Kilometer langen Zaun an der Grenze zu Serbien Flüchtlinge abzuhalten.