Flüchtlingskrise Das andere Osteuropa

Osteuropäische Regierungen schotten sich ab und wollen keine Flüchtlinge ins Land lassen. Das Volk feiert sie dafür, doch zunehmend wenden sich Prominente, Intellektuelle und engagierte Bürger gegen die hartherzige Politik.
Slowakischer Präsident Kiska mit Flüchtlingen aus Afghanistan: "Menschen in Not helfen"

Slowakischer Präsident Kiska mit Flüchtlingen aus Afghanistan: "Menschen in Not helfen"

Foto: imago/ CTK

Im Präsidentenpalast von Bratislava fand ein eher ungewöhnliches Treffen statt: Der slowakische Staatschef Andrej Kiska empfing am vergangenen Donnerstag keinen hochrangigen Gast, sondern hatte Menschen aus dem Irak, Somalia und Afghanistan eingeladen - ehemalige Flüchtlinge, die seit Längerem in der Slowakei leben. "Ich bin überzeugt davon, dass wir als Staat in der Lage sind, Menschen in Not zu helfen", sagte er.

Es war bereits die zweite Gelegenheit, bei der Kiska sich von der flüchtlingsfeindlichen Position der links-populistischen Regierung unter Robert Fico abgrenzte. In der Woche zuvor hatte er eine bewegende Ansprache gehalten. "Wenn wir schweigen, dann gewinnen die Extremisten und dann dulden wir die Weiße-Slowakei-Parolen", hatte Kiska in seiner Rede in Bratislava gesagt und dabei zu mehr Solidarität mit Flüchtlingen aufgerufen.

Der slowakische Staatspräsident stellt sich damit auch gegen eine Mehrheit der slowakischen Bürger, die laut aktuellen Umfragen lieber keine Fremden im Land haben will. Kiska hat nicht vergessen, dass er einst selbst Emigrant war: Nach dem Sturz der kommunistischen Diktatur in der Tschechoslowakei ging er für einige Jahre in die USA und schlug sich dort als Hilfsarbeiter durch. Danach kehrte er in die Slowakei zurück, wurde als Geschäftsmann zum Millionär und steckte sein Vermögen dann in eine Stiftung, die armen Menschen hilft.

Jenseits flüchtlingsfeindlicher osteuropäischer Regierungen gibt es noch ein anderes, ein menschliches Osteuropa - eines, in dem Politiker, Prominente, Intellektuelle und viele tausend namenlose Aktivisten der offiziellen Abschottungspolitik Gesten und Taten der Solidarität mit Flüchtlingen entgegensetzen.

Da ist zum Beispiel der ehemalige polnische Staatschef Lech Walesa, der sonst überwiegend mit erzkonservativen Sprüchen auffällt. Er sagte Anfang September, er würde bei sich zu Hause durchaus Flüchtlinge aufnehmen, und zwar nicht nur christliche, schließlich gehe es doch einfach um Menschen. Das war ein Seitenhieb gegen die amtierende polnische Regierung, die sich zu der Zeit konsequent gegen Flüchtlingsquoten aussprach und zugleich mit zynischer Großzügigkeit verkündete, Polen sei bereit, freiwillig christliche syrische Familien aufzunehmen.

"Vor nicht langer Zeit haben wir die an die Tore Europas geklopft"

Vergangene Woche unterzeichneten knapp einhundert osteuropäische Persönlichkeiten einen Aufruf, in dem sie ihre Regierungen zu mehr Solidarität mit Flüchtlingen aufforderten und daran erinnerten, dass "vor nicht langer Zeit wir es gewesen sind, die an die Tore Europas klopften". Unterschrieben haben den Aufruf unter anderem Polens ehemalige Staatspräsidenten Bronislaw Komorowski und Aleksander Kwasniewski, die Ex-Regierungschefs von Tschechien und Ungarn Petr Pithart und Gordon Bajnai sowie viele andere ehemalige osteuropäische Minister, Diplomaten und Intellektuelle.

Foto: SPIEGEL ONLINE

Zwar ergeben Meinungsumfragen in osteuropäischen Ländern nahezu durchweg das Bild, dass eine Mehrheit gegen eine Aufnahme von Flüchtlingen in größerer Zahl in ihren Ländern ist und dass osteuropäische Regierungen somit Rückhalt für ihre Abschottungspolitik finden. Zugleich jedoch wächst die Zahl derer, die das aktuelle Image des hartherzigen Osteuropas nicht auf sich sitzen lassen wollen. Vom Baltikum bis Bulgarien gibt es Willkommensinitiativen für Flüchtlinge, demonstrieren Menschen gegen Xenophobie von oben.

Beispiel Ungarn: Unter dem Motto "Nicht in unserem Namen!" protestierten Tausende Menschen in den vergangenen Wochen mehrfach gegen die flüchtlingsfeindliche Politik der Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán. Seit Monaten organisieren Hunderte Freiwillige, die sich zumeist über Facebook-Initiativen zusammenfinden, die Notversorgung von Flüchtlingen in Grenzregionen. Denn der ungarische Staat lehnt jegliche Versorgung außerhalb von Aufnahmelagern explizit ab.

"Schämt Euch!"

Mit Blick auf derartige Haltungen osteuropäischer Regierungen sagt die rumänische Politologin Alina Mungiu-Pippidi: "Wir haben die Chance verpasst, solidarisch zu sein und etwas von der Großzügigkeit, die wir einst selbst erfahren haben, zurückzugeben." Besonders enttäuscht ist sie von der Haltung des deutschstämmigen Staatspräsidenten Klaus Johannis, der "ausgerechnet als Angehöriger einer Minderheit", so Mungiu-Pippidi, gegen die Aufnahme von zu vielen Flüchtlingen sei und populistische Parolen ausrufe.

Vor Kurzem schrieb sie einen in Rumänien vielbeachteten Text über den Umgang mit den Flüchtlingen in ihrer Heimat. "Schämt Euch!", rief sie der Führung ihres Landes zu. "Wir sollten so viele Menschen aufnehmen wie nötig!" Sie bekam Hunderte Zuschriften. Neben Beschimpfungen war auch viel Anerkennung dabei. "Respekt!", schrieben viele Leser. "Auf solche Worte haben wir gewartet!"

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