Flucht nach Deutschland Die fatale EU-Richtlinie 2001/51/EG
Warum kommen Flüchtlinge aus Syrien nicht einfach per Flugzeug nach Europa?

Finanziell wäre die Flucht per Flugzeug vergleichsweise günstig. Flüge aus der Region nach Deutschland kosten ein paar Hundert Euro, einen Bruchteil dessen, was Flüchtlinge an Schlepper zahlen. Der Grund, weshalb Migranten diesen schnellen und sicheren Fluchtweg nicht nehmen können, ist die EU-Richtlinie 2001/51/EG: Fluggesellschaften haften demnach, wenn Passagiere im Zielland wegen fehlender Papiere abgewiesen werden. Das Unternehmen muss dann eine Strafe zahlen, den Rückflug organisieren und für Unterkunft und Verpflegung bis zur Rückreise aufkommen. (Lesen Sie mehr zur umstrittenen EU-Richtlinie im neuen SPIEGEL.)
Eigentlich hat die Richtlinie den Zweck, illegale Einwanderung zu verhindern. Für Asylsuchende gilt die Regelung nicht. De facto müssen Airline-Angestellte am Schalter prüfen, ob der Fluggast die Voraussetzungen für die Einreise erfüllt. Damit ist das Bodenpersonal aber überfordert. Weil jeder Fehler für die Fluglinie teuer werden kann, gehen die Angestellten in den meisten Fällen kein Risiko ein: Wer kein Visum hat, darf nicht an Bord. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl hat Richtlinie und Praxis gegenüber dem SPIEGEL kritisiert.
Warum beantragen nicht mehr Flüchtlinge ein Visum?

In Syrien ist schon lange kein Visum mehr zu bekommen. Die deutsche Botschaft in Damaskus ist geschlossen, die Webseite verweist auf die Kollegen im Libanon. Dort und inzwischen auch in den deutschen Visastellen in der Türkei können Syrer Visa beantragen. Doch in der Realität ist das eine schwierige Prozedur.
Denn die Vertretung in Beirut ist regelrecht umzingelt von syrischen Flüchtlingen. Die gigantische Schlange vor dem Gebäude wird über Absperrgitter gebändigt. Die Visastelle ist zuletzt ausgebaut worden, doch der Andrang ist immer noch nicht zu bewältigen. Über die elektronische Terminvergabe auf der Webseite der Botschaft ist bei einem Praxistest an diesem Montag bis Ende Januar kein Termin zu bekommen.
Die Webseite der deutschen Botschaft in Ankara verweist auf Wartezeiten bis zum Sommer 2016. Schneller geht es lediglich für jene Syrer, die im Rahmen des Familiennachzugs einem in Deutschland bereits anerkannten Flüchtling folgen. Auch für allein reisende Kinder, medizinische Notfälle und schwangere Frauen mit kleinen Kindern gibt es Sonderregelungen. Doch auch sie werden um Geduld gebeten.
Fliegen EU-Staaten und andere sichere Länder syrische Flüchtlinge direkt aus?
Hunderttausende Syrer sind auf der Flucht - aber für einen kleinen Teil der Flüchtlinge hat sich die internationale Gemeinschaft darauf geeinigt, sie direkt in sichere Länder zu bringen. Bei der sogenannten Ansiedlung - der englische Begriff ist "Resettlement" - werden die Flüchtlinge aus Auffanglagern in der Region in die Aufnahmeländer geflogen.
Meist werden dafür von den aufnehmenden Ländern Flugzeuge gechartert. Europäische Regierungen wie etwa Großbritannien haben sich für die Flüchtlingsaufnahme ausschließlich auf diesem Weg entschieden, um nicht indirekt Schlepperbanden zu unterstützen, die an der Flucht vieler Menschen verdienen.

Eine andere Praxis ist die Umverteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU. Dafür müssen sie allerdings selbst in einem EU-Staat ankommen und sich dort registrieren. Im Sommer hatten sich die 28 Staaten bereits auf die Umverteilung von 40.000 Menschen geeinigt. Nach einem Vorschlag von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sollen weitere 120.000 Flüchtlinge innerhalb Europas umverteilt werden, um Länder wie Griechenland, Italien und Ungarn zu entlasten. Dort kommen besonders viele Menschen zum ersten Mal auf europäischem Boden an. Dem Dublin-Verfahren zufolge müssen sie dort registriert werden und ihren Asylantrag stellen.
Wie viele Syrer hat Deutschland aus Flüchtlingslagern in Anrainerstaaten geholt?

Der Bund hat 2013 und 2014 drei Aufnahmeprogramme beschlossen. Darüber wurden insgesamt 20.000 syrische Flüchtlinge per Flugzeug nach Deutschland gebracht. Die Auswahl erfolgte unter humanitären Kriterien und der Frage, ob etwa bereits syrische Verwandte in Deutschland leben.
Auch die Bundesländer legten eigene Aufnahmeprogramme auf. Allerdings waren die Voraussetzungen für die Teilnahme streng: Wer kam, durfte den Staat nichts kosten. Es wurden nur solche Flüchtlinge aufgenommen, die von ausreichend vermögenden Verwandten in Deutschland unterstützt wurden. Laut dem Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sind das bisher 15.000 Menschen.
Und der Rest der EU?

Seit 2013 flogen die EU-Staaten im Rahmen des "Resettlement"-Programms des UNHCR 44.208 syrische Flüchtlinge direkt aus dem Krisengebiet aus. 35.000 von ihnen nahm Deutschland auf - dahinter liegen Schweden mit 2700 Flüchtlingen, Österreich mit 1500, Finnland mit 1150 und Frankreich mit 1000. Die übrigen EU-Länder konnten sich höchstens zur Aufnahme von Flüchtlingen im zwei- bis dreistelligen Bereich durchringen - manche auch gar nicht. Wobei einige Regierungen darauf verwiesen, dass bereits viele syrische Flüchtlinge im Land seien.
Andere Länder außerhalb der EU zeigten sich da im Rahmen des Programms großzügiger. So holten die USA laut UNHCR im Rahmen des Umsiedlungsprogramms knapp 16.000 syrische Flüchtlinge ins Land, Norwegen 9000, Australien 5600, die Schweiz 3500 und Kanada 11.300. Die Auswahl der Menschen, die auf diesem Weg die Flüchtlingslager in der Krisenregion verlassen durften, übernahm zu großen Teilen das Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Das Kriterium: besondere Schutzbedürftigkeit - also Kranke, allein reisende Kinder oder schwangere Frauen.
Werden weitere Menschen aus den Flüchtlingslagern geholt?
Ja. Im Juli dieses Jahres haben sich die 28 Innenminister der EU-Staaten auf ein neues "Resettlement" geeinigt, mit dem Menschen aus den Flüchtlingslagern rund um Syrien geholt werden sollen. 22.504 Flüchtlinge sollen davon profitieren. Frankreich will demnach 2371 Menschen auf dem direkten Weg aufnehmen, Großbritannien gab seine Zusage für 2200 Flüchtlinge, Italien für 1989. Deutschland holt 1600 Menschen. Laut UNHCR hat dieses neue Programm jedoch noch nicht begonnen.
Die vereinbarten Zahlen sind an bestimmte Voraussetzungen geknüpft: Wirtschaftskraft, Bevölkerungsgröße, Arbeitslosenquote und bisheriger Andrang von Asylbewerbern. Die zugesagten Kontingente sind allerdings freiwillig, wie viele Menschen tatsächlich aufgenommen werden, lässt sich noch nicht sagen. 10.000 Euro bekommen die Staaten für jeden Flüchtling, der aus einer Krisenregion in die EU geholt wird. Das Geld wird von der EU-Kommission jährlich ausbezahlt. Insgesamt will die Europäische Union in diesem und im kommenden Jahr weitere 50 Millionen Euro für die Neuansiedlung der Flüchtlinge bereitstellen.
Zusätzlich hat Großbritanniens Premier David Cameron nun angekündigt, 20.000 syrische Flüchtlinge aus Lagern an der syrischen Grenze aufnehmen zu wollen - allerdings über einen Zeitraum von fünf Jahren. Die britische Regierung weigert sich, Flüchtlinge aufzunehmen, die bereits das europäische Festland erreicht haben. Sie sieht das als Unterstützung von Schlepperbanden an. Seit dem Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 2011 bekamen nur rund 5000 Syrer in Großbritannien Asyl.