Ausländische Presse zur Flüchtlingskrise Vorbild Deutschland
Comeback des guten Deutschen? Wurden in der Euro-Krise noch Nazi-Vergleiche gezogen, loben ausländische Kommentatoren nun den Umgang mit Flüchtlingen. Die Merkel-Regierung zeige vorbildhafte Menschlichkeit.
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Wie war das noch? Vor ein paar Monaten zeigte die griechische Presse die Bundeskanzlerin in Nazi-Uniform, hielten Demonstranten Plakate hoch mit der Aufschrift "Merkel raus". Die Bilder gingen um die Welt, auch Spanien, Portugal oder Zypern sahen in Angela Merkel und ihrem Finanzminister Wolfgang Schäuble die Hauptverantwortlichen für das europäische Spardiktat. Internationale Medien formten das Bild von Deutschland als Zuchtmeister, dem es an Empathie fehlt.
Nun aber sind ganz andere Töne aus dem Ausland zu vernehmen. Plötzlich gilt Angela Merkel als Vorbild in Sachen Menschlichkeit, Deutschland als ein Land, in dem Mitgefühl und Moral regieren.
Was ist passiert? Deutschland ist zur ersten Anlaufstelle für Flüchtlinge in Europa geworden. Während sich andere Länder um ihre Verantwortung drücken, werden hier überdurchschnittlich viele Asylbewerber aufgenommen. Und die Kanzlerin selbst hat deutliche Worte gefunden. Sie hat Fremdenhass scharf verurteilt und den Umgang mit den Hunderttausenden Migranten zur Chefsache gemacht.
"Angela Merkels menschliche Haltung zum Thema Einwanderung ist eine Lehre für uns alle", schreibt die britische Zeitung "Observer". Die Kanzlerin habe gesagt, die Deutschen sollten stolz darauf sein, dass so viele Syrer, Eritreer oder Nigerianer zu ihnen kommen wollten. Hätte das ein britischer Regierungschef gesagt, schreibt der Autor, "wäre die Hysterie überwältigend". Merkel habe recht und verdiene Unterstützung von allen Europäern - nicht David Camerons "kalte Schulter".
"Moralisch im Recht"
Der britische Premier macht vorwiegend Schlagzeilen mit seiner harten Gangart gegenüber Migranten. Gefängnisstrafen für illegale Einwanderer, Polizeihunde vor dem Eingang des Eurotunnels, ein neues Einwanderungsgesetz - der konservative Regierungschef tut alles, um die Zahl der Einwanderer zu reduzieren. Daher hat Großbritannien bisher nur einen Bruchteil der Flüchtlinge in der EU aufgenommen.
"Wir geben es nicht gerne zu, aber moralisch verhält sich Deutschland besser als wir", schreibt der britische "Independent". "Während Angela Merkel auf die Anti-Flüchtlings-Proteste antwortet, indem sie die hässlichen Instinkte ihrer Wähler infrage stellt, gibt David Cameron ihnen nach." Und während die Kanzlerin Asylsuchenden Respekt zusage, schaue Großbritannien weg. "So merken wir, dass wir nach Deutschland blicken müssen, um einen Grundkurs in Mitgefühl zu bekommen."
Respekt aus dem Ausland bekommt die Bundesregierung dafür, dass sie syrischen Flüchtlingen zusichert, sie nicht in jene EU-Staaten zurückzuschicken, in denen sie zuerst europäischen Boden betreten haben. Europa könne sich glücklich schätzen, dass jemand in der Flüchtlingskrise vorangehe, kommentiert der Schweizer "Corriere del Ticino". Merkels Haltung könne "die kontinentale Machtgeografie nachhaltig verändern". Auch das spanische Nachrichtenportal "El Diario" sieht beim Umgang mit den Flüchtlingen "beeindruckende Zeichen der Solidarität der Deutschen".
Nur Frankreichs Medien stimmen nicht ein
Lob kommt auch aus den USA: Präsident Barack Obama persönlich dankte Merkel vergangene Woche für ihre Führungsrolle in der Flüchtlingskrise, insbesondere für die Entscheidung, syrische Flüchtlinge nicht zurückzuschicken. Das sogenannte Dublin-Abkommen sei ein großer Teil des Problems, urteilte auch die "New York Times". Merkel habe deutlich gemacht, dass auch der Rest Europas seine Pflicht erfüllen müsse: "Etwas muss getan werden, nicht nur für die Flüchtlinge, sondern auch für die politische Stabilität der Europäischen Union."
Ist das Bild der eisernen Kanzlerin damit überholt? Bringt die Flüchtlingskrise das Comeback des guten Deutschen? Nicht überall in Europa will man Deutschland den Imagewandel zugestehen. Der französische "Figaro" etwa hält Merkel für naiv: "Es mag sein, dass es in Deutschland für Hunderttausende Migranten im Erwachsenenalter Beschäftigungsmöglichkeiten in der Industrie und im Dienstleistungsbereich gibt, doch in Italien, Spanien und Frankreich ist das nicht der Fall." Diese Länder könnten ihrer eigenen Jugend keine Jobs anbieten.
Im Appell Merkels, Hunderttausende Migranten zu integrieren, sieht auch das französische Internetportal "Mediapart" ein perfides Polit-Manöver der Kanzlerin, die sich einmal mehr als "Königin" Europas aufspiele: "Damit gibt sie nicht nur implizit den anderen europäischen Staaten den Befehl, es ihr gleichzutun." Merkel bevorzuge damit "die deutschen Industriellen", die von den billigen Arbeitskräften profitieren würden. Das neue Deutschland-Bild scheint sich in der französischen Presse bisher nicht durchzusetzen.
Zusammenfassung: Angela Merkels Kurs in der Flüchtlingspolitik und ihr klares Bekenntnis dazu, vor allem syrischen Asylbewerbern großzügig Hilfe zu gewähren, wird von der ausländischen Presse und auch vom US-Präsidenten gelobt. Nach den Negativschlagzeilen in der Griechenlandkrise könnte dies dazu beitragen, das Deutschland-Bild wieder nachhaltig zu verbessern.
Mitarbeit: Severin Weiland, Stefan Simons