Folter-Verhöre "Jeder hat eine dunkle Seite"
SPIEGEL ONLINE: US-Präsident George W. Bush hat mehrfach betont, die USA würden "nicht foltern". Für Ihren Dokumentarfilm "Taxi to the Dark Side" haben Sie beim Militär recherchiert und viele Verhörführer interviewt ...
Gibney: ... nur wenn man Folter umdefiniert, kann man dem amerikanischen Volk ins Auge schauen und behaupten, die USA würden nicht foltern. Die US-Regierung hat Überstunden geschoben, um die Definition für Folter umzuschreiben.
SPIEGEL ONLINE: Dabei ist Folter seit Jahrzehnten juristisch definiert.
Gibney: Sensorischer Entzug, psychologischer Druck - dies sind Dinge, deretwegen wir schon die Deutschen bei den Nürnberger Prozessen nach dem Zweiten Weltkrieg angeklagt haben.
SPIEGEL ONLINE: Waren sich dessen jene Soldaten bewusst, mit denen Sie gesprochen haben und die die Schmutzarbeit leisteten?
Gibney: Sie hatten keine Ahnung. Ihnen wurde gesagt, dass das, was sie taten, generell in Ordnung sei. Nach dem 11. September 2001 geschahen in den USA drei Dinge: Erstens verwischte die Regierung die Grenzen der Verhaltensregeln. Zweitens gab es enormen Druck auf die Verhörführer, auf die Schnelle Informationen zu beschaffen. Drittens wurden nur sehr wenig Leute für die Verhöre ausgebildet.
SPIEGEL ONLINE: Wer ist also verantwortlich?
Gibney: Ich glaube schon, dass ein Folterer ein gewisses Maß an Verantwortung dafür trägt, was er tut. Die weit größere Verantwortung aber ist die sogenannte Befehlsverantwortung - die haben die befehlshabenden Offiziere und die Regierung. Dies ist das, was wir nach dem Zweiten Weltkrieg in Nürnberg strafrechtlich verfolgt haben. Irgendwann müssen die Leute, die dafür verantwortlich sind, juristisch zur Rechenschaft gezogen werden. Doch dazu bedarf es mehr als Courage im Kongress. Wir, das US-Volk, muss in aller Deutlichkeit klarstellen, dass wir Folter ablehnen.
SPIEGEL ONLINE: Warum ist das noch nicht geschehen?
Gibney: Immer wenn es Beweise für neue Foltervorwürfe gibt, versucht die Regierung diese zu entkräften. Dann werden neue Definitionen gesucht, um die Grenzen zu umgehen, die Supreme Court und Kongress setzen.
SPIEGEL ONLINE: Hat sich die öffentliche Meinung nach dem Abu-Ghureib-Skandal verändert?
Gibney: Nach Abu Ghureib herrschte anfängliche Empörung. Die Leute waren entsetzt. Doch die Regierung hat sie sehr erfolgreich davon überzeugt, dass dies ein Einzelfall war, keine Methode.
SPIEGEL ONLINE: Haben sich die Amerikaner also mit der Vorstellung abgefunden, dass Folter ein notwendiges Übel ist?
Gibney: Das ist ein enormes Problem. Die Amerikaner sehen Folter als ein Problem von ein paar schwarzen Schafen, die gelegentlich durch die Schranken brechen - wie in Abu Ghureib.
SPIEGEL ONLINE: Der Kolumnist Frank Rich verglich diese Einstellung in der "New York Times" mit den "guten Deutschen", die nach dem Krieg behaupteten, nichts vom Holocaust gewusst zu haben. Ist das nicht überzogen?
Gibney: Ich sehe die Parallele - auch wenn das eine außerordentlich unangenehme Vorstellung ist, vor allem angesichts unserer Geschichte. Wir waren nach dem Zweiten Weltkrieg sehr schnell dabei, die Deutschen anzuklagen, und doch scheinen wir jetzt nicht in der Lage, das auf uns selbst zu übertragen.
"Jeder hat eine dunkle Seite"
SPIEGEL ONLINE: Sehen Sie bei den Demokraten jemanden, der das Thema anpacken könnte?
Gibney: Leider ist das bis jetzt ein Thema, das die Demokraten nicht anfassen wollen. In Fragen der nationalen Sicherheit gelten sie traditionell als soft. Aber die Demokraten spüren, dass die Leute immer noch Angst haben - und Führungspersönlichkeiten wollen, die tun, was immer in Kriegszeiten notwendig ist.
SPIEGEL ONLINE: Wer kann das Eis brechen?
Gibney: Ironischerweise ist der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain (der als Kriegsgefangener während des Vietnamkriegs gefoltert wurde, Anm. d. Red.) der Beste in dieser Frage. Er hat es geschafft, dass viele Senatoren 2006 für sein Detainee Treatment Amendment stimmten. (Das Amendment verbietet Folter, doch Bush hat es mit einem "Signing Statement" belegt, was heißt, dass er es anders interpretieren oder ganz ignorieren kann, Anm. d. Red.)
SPIEGEL ONLINE: Ihr Film spricht die "dark side" an, die dunkle Seite in uns allen.
Gibney: Ich glaube, dass jeder eine dunkle Seite hat. Deshalb widerspreche ich der These von den schwarzen Schafen auch so energisch. Denn bis zu einem gewissen Grade sind wir alle schwarze Schafe.
SPIEGEL ONLINE: Dabei bestätigen doch auch Ihre Interviews mit den Soldaten, dass Informationen wertlos sind, die durch Folter erzwungen wurden.
Gibney: Ja. Was erreichst du mit Folter? Du erreichst, dass dir das Opfer genau das sagt, was du hören willst.
SPIEGEL ONLINE: Warum wird Folter dann überhaupt noch angewendet?
Gibney: Ich glaube nicht, dass irgendjemand in der US-Regierung sich die Geschichte dieser Methoden angeschaut hat. Wer die Fachliteratur liest, sieht, dass erfahrene Verhörführer die Methoden ablehnen.
SPIEGEL ONLINE: Welche Verantwortung tragen die US-Medien?
Gibney: Das Fernsehen hat in dieser Frage weitgehend versagt. Allerdings gab es außerordentlich viele, sehr gute investigative Presseberichte dazu - in der "New York Times", der "Washington Post", dem "New Yorker". Man kann also nicht behaupten, dass es keine Informationen gab.
SPIEGEL ONLINE: Was muss geschehen, damit sich etwas ändert?
Gibney: Es obliegt dem Volk, sich zu empören und die Politiker zum Handeln aufzufordern. Wir müssen diejenigen zur Verantwortung ziehen, die uns auf die dunkle Seite gebracht haben. Es geht um so viel mehr als Abu Ghureib. Folterverhöre korrumpieren den Geist, die Rechtsstaatlichkeit und schaden unseren Soldaten. Letztendlich sind unsere Werte, unsere Gesellschaft in Gefahr.
Das Interview führte Marc Pitzke