Folterdebatte in London Briten verschleppten Gefangenen zu Gaddafi

Tony Blair und Muammar al-Gaddafi (2004): Zusammenarbeit der Geheimdienste
Foto: Peer Grimm/ dpaDie Folterfrage lässt die britische Regierung nicht los. Nachdem die Welle der Enthüllungen zunächst abgeebbt schien, rücken Aktenfunde im befreiten Tripolis die Londoner Geheimdienste MI5 und MI6 erneut ins Rampenlicht - und werfen neue Fragen an die frühere Labour-Regierung von Tony Blair auf.
Ein Fax des US-Auslandsgeheimdiensts CIA, das am Wochenende bei Durchsuchungen in einem Büro des libyschen Auslandsgeheimdienstes aufgetaucht ist, deutet darauf hin, dass die Briten zusammen mit ihren libyschen Kollegen die Verschleppung eines Terrorverdächtigen eingefädelt haben. Ein Libyer namens Abu Munthir wurde demnach im März 2004 in einer britisch-libyschen Gemeinschaftsaktion von Hongkong nach Tripolis gebracht - ungeachtet des Risikos, dass ihm dort die Folter drohte.
Es ist nicht das erste Mal, dass britischen Agenten eine Verwicklung in die Verschleppung und Folter von Gefangenen vorgeworfen wird. Etliche frühere Guantanamo-Häftlinge beschuldigen MI5 und MI6 illegaler Praktiken. Die Klagen werden vor Gericht verhandelt. Mal soll ein Geheimdienstoffizier bei der Folter anwesend gewesen sein, mal nur Fragen eingereicht haben, die er beantwortet haben wollte. Im Fall des gefolterten Ex-Guantanamo-Häftlings Binyam Mohamed kamen zwei Richter des High Court 2009 nach Einsicht geheimer Regierungsakten zum Schluss, die Beteiligung britischer Agenten sei "über die Zuschauerrolle hinausgegangen".
Der Fall Abu Munthir deutet nun zum ersten Mal auch eine aktive Rolle der Briten beim Gefangenentransport, der so genannten "Rendition", an. Statt nur vom Verschleppungsprogramm der CIA zu profitieren, scheinen die Vertreter ihrer Majestät, im Fax nur als "die Briten" bezeichnet, in diesem Fall selbst tätig geworden zu sein.
Noch schwerer wiegen die Vorwürfe von Abdel Hakim Belhadsch. Der frühere islamistische Extremist war 2004 in Bangkok von der CIA festgenommen und nach Tripolis gebracht worden. Dort saß er nach eigenen Angaben sieben Jahre im berüchtigten Abu-Salim-Gefängnis, wurde gefoltert und auch von britischen Agenten des MI5 und MI6 verhört.
Das ist deshalb politisch brisant, weil Belhadsch inzwischen einer der führenden Kommandeure der libyschen Rebellen ist. Er hat gesagt, er erwäge eine Klage gegen die Regierungen der USA und Großbritanniens.
Die Vorwürfe erschienen schwer genug, dass der konservative Premier David Cameron am Montag durch seinen Sprecher mitteilen ließ, sie untersuchen lassen zu wollen. Bereits im Juli 2010 hatte Cameron eine Untersuchungskommission unter Leitung des früheren Richters Peter Gibson eingesetzt. Diese soll die seit Jahren im Raum stehenden Foltervorwürfe gegen MI5 und MI6 aufklären. So will Cameron einen Schlussstrich unter die Blair-Ära und den Krieg gegen den Terror ziehen.
Wer hat die Aktionen von MI5 und MI6 autorisiert?
Die Folter-Kommission wird ihre Arbeit jedoch erst aufnehmen, wenn sämtliche ausstehenden Klagen gegen die Regierung abgeschlossen sind. Der internationale Rechtsexperte Philippe Sands vom University College London sagte der BBC, die Kommission müsse vor allem herausfinden, wer die fraglichen Aktionen von MI5 und MI6 autorisiert habe. Nach damaliger Rechtslage hätten das nur der Innenminister, der Außenminister oder das Büro des Premierministers tun können. Die Augen richten sich also einmal mehr auf David Blunkett, Jack Straw und Tony Blair.
Fast schon erleichtert erklärte der konservative Außenminister William Hague, er habe das nicht zu kommentieren, schließlich sei er damals nicht zuständig gewesen. Doch sind die Enthüllungen auch peinlich für die amtierende Regierung, schließlich ging die enge Zusammenarbeit zwischen MI6 und Gaddafis Schergen weiter bis Anfang dieses Jahres.
Als im März der frühere libysche Geheimdienstchef und Gaddafi-Vertraute Mussa Kussa in London landete, war niemand überrascht. Kussa hatte stets ein besonders enges Verhältnis zum MI6. Gemeinsam mit dem früheren obersten Anti-Terror-Kämpfer der Briten, Mark Allen, verhandelte er 2003 den Verzicht Gaddafis auf sein Atomwaffenprogramm. Unklar ist auch bis heute, ob die britische Regierung bei der von Gaddafi gewünschten Auslieferung des Lockerbie-Attentäters al-Mikrahi aus einem schottischen Gefängnis nach Libyen vielleicht etwas nachgeholfen hat.
Die Erinnerung an die unrühmliche Vergangenheit ist auch deshalb so schmerzhaft, weil britische Spezialtruppen in diesen Tagen in Libyen nach dem flüchtigen Diktator suchen und Premier Cameron sich gern an der Seite des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy als Sieger über den Tyrannen von Tripolis feiern lässt.
Zu bereuen scheint Cameron die enge Kooperation mit dem libyschen Geheimdienst jedoch nicht. Jedenfalls ließ er seinen Sprecher ausrichten, man müsse nun mal auch mit Leuten zusammenarbeiten, deren Werte man nicht teile.