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Folteropfer Käsemann: Urteil nach 34 Jahren

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Folteropfer Elisabeth Käsemann Argentiniens Richter urteilen über die Sadisten von "El Vesubio"

Sie war jung, kämpfte für ihre Ideale und wurde grausam gefoltert: Vor 34 Jahren starb die Deutsche Elisabeth Käsemann in Argentinien. Nun fällt das Urteil gegen die mutmaßlichen Täter. Die Bundesrepublik beteiligt sich als Nebenkläger im Prozess - ein historischer Schritt.

Seine Opfer beschreiben ihn als Sadisten. Als einen Menschen, der eiskalt den Tod anderer befahl. Der mit Elektroschocks folterte. Der schwangere Frauen vergewaltigte. Gemeint ist Pedro Durán Saenz, ehemaliger Chef des einstigen Folterzentrums "El Vesubio" in der argentinischen Provinz Buenos Aires.

Mehr als 30 Jahre hat es gedauert, bis Durán Saenz und seine Komplizen in Argentinien wegen der Vorwürfe angeklagt wurden. Das Urteil soll in den kommenden Tagen fallen. Lebenslang, forderten Staatsanwalt und Nebenklage für ihn und zwei Mittäter. Insgesamt sind acht Männer angeklagt. Doch seine Verurteilung wird Durán Saenz nicht mehr erleben. Er starb im Juni mit 76 Jahren an Herzversagen.

Es war ein Schock, auch für den Anwalt Pablo Jacoby, der im Prozess die Interessen Deutschlands vertritt. Denn die Bundesrepublik ist als Nebenkläger an dem Verfahren beteiligt: Durán Saenz war auch für den Tod der Tübingerin Elisabeth Käsemann verantwortlich.

Bis heute gelten 30.000 Menschen als verschwunden

Er herrschte über "El Vesubio", als die junge Frau 1977 in das Lager gebracht wurde. Käsemann galt als "subversiv", wie so viele andere Oppositionelle, Intellektuelle, Gewerkschafter und Studenten. Sie war 1968 nach Argentinien gekommen, arbeitete in den Armenvierteln von Buenos Aires und schloss sich einer Untergrundgruppe an.

Jene, die Elisabeth Käsemann kannten, beschreiben sie als reisefreudig, belesen und politisch interessiert. Am 8. März 1977 wollte sie sich mit einer amerikanischen Freundin zum Frühstück treffen, berichtete diese später. Elisabeth kam nicht. Sie verschwand, wie so viele angebliche Gegner des Regimes.

30.000 Menschen gelten bis heute als "desaparecido", als "verschwunden". Sie wurden während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 verschleppt, ermordet und in namenlosen Massengräbern verscharrt oder über dem Río de la Plata aus Flugzeugen abgeworfen. In geheimen Zentren wie "El Vesubio" wurden sie gefoltert.

Auch die amerikanische Freundin von Elisabeth Käsemann wurde entführt. Als sie verhört wurde, hörte sie deren Stimme und Schreie im Nebenzimmer. Die Freundin wurde entlassen, Elisabeth Käsemann nicht. Sie wurde in das Lager "El Vesubio" gebracht, in dem Durán Saenz Chef war.

Mangelnde Hilfsbereitschaft seitens der deutschen Diplomatie

Was sie dort erlitten haben muss, schilderten Überlebende in dem jetzigen Prozess. Die Inhaftierten wurden geschlagen, mit Elektroschocks gefoltert, viele Frauen vergewaltigt. Einige mussten sehen, wie ihr Partner vor ihren Augen misshandelt wurde. Es habe nach Angst, verbranntem Fleisch und Erbrochenem gerochen.

Unter solchen Bedingungen erlebte Elisabeth Käsemann ihren 30. Geburtstag. Jene, die sie in dem Lager "El Vesubio" erlebt haben, beschreiben sie als sehr dünn, von der tagelangen Folter schwer verletzt. Eine Gefangene erinnerte sich später, wie sie der Deutschen begegnete. Käsemann flüsterte ihr die Adresse ihrer Eltern zu, fast tonlos. Eine andere Gefangene will gesehen haben, wie sie in der Nacht zum 23. Mai 1977 gefesselt und, mit einer Kapuze über dem Kopf, in die Küche des Lagers gebracht wurde. Das war das letzte Mal, dass sie die Deutsche sah.

Wochenlang hatte ihre Familie da bereits mit Hilfe der Evangelischen Kirche Druck ausgeübt. Sie hatte auch an das Auswärtige Amt appelliert. "Alle Bemühungen der Eltern wurden ignoriert und mit Gleichgültigkeit behandelt", schrieb das Nürnberger Menschenrechtszentrum später. Die deutsche Diplomatie habe im Fall Käsemann "versagt".

Verbittert bemerkte ihr Vater, der bekannte Theologe Ernst Käsemann, über die mangelnde Hilfsbereitschaft des Auswärtigen Amtes: "Ein verkaufter Mercedes wiegt zweifellos mehr als ein Leben." Denn Argentinien und Deutschland machten damals gute Geschäfte. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes etwa verhandelte in Buenos Aires über den Verkauf eines deutschen Atomkraftwerkes für drei Milliarden Mark. Und Bonns Botschafter vor Ort befand zu jener Zeit, Argentinien befinde sich als "Folge der internationalen Terrorsituation" in einem "Ausnahmezustand". Die Militärs würden nur ein Ziel verfolgen, "nämlich die Macht wieder in die Hände der Zivilisten zurücklegen zu können".

Beitrag zur Aufarbeitung der Vergangenheit

Zwar versicherten Diplomaten später, der argentinische Botschafter in Bonn sei mehrmals wegen Käsemann in das Auswärtige Amt berufen worden. Die Vorwürfe wiegen dennoch schwer. Im jetzigen Prozess sagte auch der argentinische Intellektuelle Osvaldo Bayer aus, der heute in Deutschland lebt und einen Film und Artikel über Käsemann veröffentlicht hat: "Die deutsche Regierung hat damals wenig demokratisch gehandelt."

Während Ernst Käsemann im Frühjahr 1977 noch für die Freilassung seiner Tochter kämpfte, wurde sie ermordet. Mit 15 anderen wurde sie in jener Nacht des 23. Mai abgeholt und in den Morgenstunden des folgenden Tages getötet. Die offizielle Version: eine Schießerei mit Guerilleros in dem Ort Monte Grande. Die Zeitung "Clarín" überschrieb ihren Artikel später mit den Worten: "16 Aufrührer in Monte Grande erschossen, bei einem Treffen überrascht." Später stellte ein Mediziner fest, dass die deutsche Sozialarbeiterin durch Schüsse aus nächster Nähe in den Rücken getötet wurde. Familie Käsemann musste sogar für die Überstellung der Leiche kämpfen - und 22.000 Dollar zahlen.

Nicht wenige bezeichnen das Verhalten der deutschen Regierung damals als unrühmlich. Eine Vorhaltung, die sich das Auswärtige Amt heute nicht mehr machen lassen will. Als erstes europäisches Land ist Deutschland Nebenkläger in einem Verfahren gegen die Täter des "schmutzigen Krieges" der argentinischen Militärdiktatur. Ein historischer Schritt, meint Anwalt Pablo Jacoby. "Deutschland macht heute deutlich mehr als andere Staaten." Das Interesse sei groß: Es seien schon Bundestagsabgeordnete gekommen, um sich bei ihm über den Fall zu informieren.

Der Prozess sei besonders wichtig, sagt ein Sprecher des Auswärtigen Amts, "weil wir damit einen Beitrag zur Aufarbeitung der Vergangenheit leisten möchten". Ist es auch ein Versuch der Wiedergutmachung im Fall von Elisabeth Käsemann? Zu den historischen Vorgängen wolle man nichts sagen, lautet die Antwort aus dem Auswärtigen Amt. "Diese müssen von Historikern bewertet werden."

An das Lager erinnern heute nur noch wenige Steinplatten

2003 erließ die deutsche Justiz Haftbefehle gegen führende Mitglieder der argentinischen Militärdiktatur, darunter der ehemalige Junta-Chef Jorge Videla - wegen Beteiligung an der Ermordung von Käsemann und des Münchner Studenten Manfred Zieschank. Deutschland drängte in den folgenden Jahren auf die Auslieferung. Auch Pedro Durán Sáenz sollte sich vor einem deutschen Gericht verantworten.

In allen Fällen entschied die argentinische Justiz jedoch, selbst Anklage zu erheben. Videla wurde im Dezember vergangenen Jahres zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Prozess zum Folterzentrum "El Vesubio" begann im Februar 2010.

An das Lager, in dem Duran Saenz wehrlose Gefangene quälte und in dem er sogar lebte, erinnern heute nur noch einige wenige Steinplatten. Die Militärs zerstörten "El Vesubio" im Jahr 1978, als Argentinien die Fußball-Weltmeisterschaft ausrichtete. Sie wollten ihre Spuren tilgen, als eine Menschenrechtskommission nach Argentinien kam. Die Natur überwucherte die Reste.

Doch die Opfer haben nicht vergessen - jene, die freikamen, an Tote wie Elisabeth Käsemann erinnern und Täter wie Durán Saenz beschuldigen können. Auch dank der Überlebenden gibt es jetzt den Prozess und ein Urteil. Auch wenn einer der Hauptverantwortlichen es nicht mehr erleben wird.

Mitarbeit: Maria Marquart
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