
Kampf gegen Steuervermeidung Ronaldo ist nicht das Problem - die Politik versagt


Cristiano Ronaldo
Foto: JAVIER SORIANO/ AFPNach Luxemburg Leaks, Offshore Leaks und Panama Papers folgen nun die Football Leaks. Wieder wird uns vor Augen geführt, wie internationale Finanzströme und Steuerschlupflöcher von internationalen Konzernen und Superreichen genutzt werden, um die eigene Steuerquote auf ein derart niedriges Niveau zu drücken, dass jeder anständige Mittelständler und Angestellte entweder vor Neid erblasst oder vor Wut kocht.

Cem Özdemir, Jahrgang 1965, ist seit 2008 Bundesvorsitzender der Grünen. Seit 2013 sitzt er im Bundestag, dem er bereits von 1994 bis 2002 angehörte. Von 2004 bis 2009 war er Abgeordneter des Europaparlaments.
Für die kommende Bundestagswahl bewirbt sich Özdemir um die Spitzenkandidatur seiner Partei.
Ich will hier mit dem Finger nicht bloß auf Cristiano Ronaldo zeigen. Denn wenn die bisherigen Recherchen des SPIEGEL und des internationalen Redaktionsnetzwerks korrekt sind, dann hat der Weltfußballer auf 63,5 Millionen Euro, die er für seine Bild- und Lizenzrechte kassierte, zwar keinen Cent Steuern gezahlt - moralisch verwerflich, jedoch leider legal. So lange dies der Fall ist, kann man sich zwar empören. Daraus folgt aber noch lange kein gerechteres Steuersystem. Nicht bloß Ronaldos Steuermoral, sondern vor allem der Gesetzgeber ist das Problem.
Wer in Deutschland ein zu versteuerndes Einkommen in der Höhe von 54.000 Euro erzielt, zahlt auf jeden zusätzlich verdienten Euro 42 Prozent Steuern. Ab etwa 255.000 Euro sind es 45 Prozent. Auch in Spanien liegt der Spitzensteuersatz bei 45 Prozent. Diese Zahl ist für Cristiano Ronaldo nicht relevant, weil es Deutschland, die Europäische Union und die internationale Staatengemeinschaft nicht schaffen, aggressive Steuervermeidung wirksam zu bekämpfen.
Diese Ebenen tragen die Hauptverantwortung dafür, dass Steuerdumping wirksam bekämpft und gigantische Steuerschlupflöcher gestopft werden. Die Empörung über Ronaldo darf daher nicht verdecken, dass es sich hier in erster Linie um ein politisches Versagen handelt.
Besonders die Europäische Union steht in dieser Hinsicht unter Zugzwang. Die Eurokrise, die Wirtschafts- und Finanzkrise, der Aufstieg der Rechtspopulisten und der Brexit haben die EU geschwächt. Enthüllungen wie Football Leaks und Luxemburg Leaks kratzen erheblich am Gerechtigkeitsgefühl der Bevölkerung und schüren in den Mitgliedstaaten weiter Zweifel am Europäischen Projekt.
Cristiano Ronaldo wurde 2016 mit seinem Heimatland Portugal Fußballeuropameister. Er spielt für den spanischen Klub Real Madrid. Seine Einnahmen für Lizenzrechte verschiebt er über ein Unternehmen in Irland zu Briefkastenfirmen in der Karibik. Die genannten drei Länder - Portugal, Spanien und Irland - sind beziehungsweise waren alle sogenannte Programmländer. Alle mussten mit Milliardenbürgschaften aus den Euro-Rettungsprogrammen vor einer Staatspleite bewahrt werden.
Dazu bedurfte es zunächst der Solidarität in der EU und des Internationalen Währungsfonds. Diese Solidarität wurde auch Irland gewährt. Trotzdem hat sich das Land geweigert, seine extrem niedrigen Unternehmensteuersätze nach oben zu korrigieren, trotz Druck seitens der europäischen Partner.
Über einen höheren Steuersatz wird Ronaldo müde lächeln
Die Instabilität des Euros hatte damals längere Verhandlungen erschwert, die damalige irische Regierung konnte in diesem Wissen ihre Position behaupten. Sparmaßnahmen im Haushalt wurden stattdessen über den Abbau von Sozialleistungen vorgenommen. Auch die Mehrwertsteuer wurde erhöht. Die Bürgerinnen und Bürger zahlen also mehr beziehungsweise bekommen weniger, während Irland weiter als innereuropäischer Verschiebebahnhof für Milliardeneinnahmen internationaler Unternehmen dient.
Sowohl die irische Bevölkerung als auch die Menschen in Spanien und Portugal werden sich zu Recht die Frage stellen, warum Regierungen in Irland es möglich machen, dass superreiche und internationale Konzerne in Relation sehr viel weniger Steuern zahlen, als kleine und mittlere Unternehmen sowie normalverdienende Angestellte.
Über einen höheren Spitzensteuersatz oder höhere vermögensbezogene Steuern würde Cristiano Ronaldo wohl nur müde lächeln, solange er seine Einnahmen dahin verschieben kann, wo er davon möglichst wenig tangiert ist. Aber wenn ihm und vielen anderen die Möglichkeit genommen würde, diese Einnahmen über verschlungene Wege außer Landes in die Karibik zu schaffen, dann müsste er wie Normalverdiener seine gesamten Einnahmen voll versteuern.
Die Enthüllungsplattform Football Leaks sammelt vertrauliche Daten und E-Mails zu den Geldflüssen im Fußball. So deckt sie illegale Zahlungen an Spielerberater und Investoren ebenso auf wie die Versuche, Millionen an der Steuer vorbeizuschmuggeln dank Offshore-Geschäften. Football Leaks schweigt zu seinen Quellen, hat die Dokumente allerdings dem SPIEGEL und anderen Medien im Verbund der European Investigative Collaboration zur Verfügung gestellt. Mit einem Umfang von 1,9 Terabyte handelt es sich um den bisher größten Datensatz im Sport.
Solche und vergleichbare Steuermehreinnahmen von internationalen Konzernen würden südeuropäischen Staaten helfen, über Investitionen die wirtschaftliche Perspektive vor Ort zu verbessern. Durch den innereuropäischen Steuerwettbewerb entziehen Länder, die durch Steuerdumping Unternehmen anlocken, anderen Staaten in der EU Einnahmen, die sie dringend benötigen, um handlungsfähig zu bleiben und in die Infrastruktur zu investieren.
Schätzungen der Europäischen Kommission gehen davon aus, dass Steuergestaltung und aggressive Steuervermeidung die Haushalte der Mitgliedsländer rund eine Billion Euro kosten. Selbst wenn davon nur ein Teil in die Staatshaushalte fließen würde, wäre es eine enorme Summe, mit der die Staaten in soziale Gerechtigkeit und in die ökologische Modernisierung investieren könnten.
Im Fall von Spanien beispielsweise werden Einnahmen händeringend benötigt, um über sinnvolle Investitionen die sehr hohe Jugendarbeitslosigkeit von über 43 Prozent zu verringern. Für einen weiteren Abbau von Sozialleistungen ist dort schlichtweg kein Spielraum. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen wie in Teilen Europas eine verlorene Generation heranwächst, während wir es Privilegierten leicht machen, sich ihres fairen Beitrags zum Gemeinwesen zu entziehen.
Es geht um die Handlungsfähigkeit des Staates
Die Bekämpfung von aggressiver Steuervermeidung ist eine der größten Gerechtigkeitsfragen unserer Zeit. Es geht hier nicht nur um das Gerechtigkeitsgefühl in der Bevölkerung, sondern auch um die Frage, ob der Staat überhaupt handlungsfähig ist und Probleme lösen kann. Das gilt für die einzelnen Mitgliedstaaten ebenso wie für die Europäische Union.
Seit Jahren wird in Europa über eine Angleichung der Unternehmensteuer in den Mitgliedstaaten debattiert. Schon als ich von 2004 bis 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments war, gab es Pläne für eine gemeinsame konsolidierte Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer (GKKB). Gerade hier macht Harmonisierung sehr viel Sinn.
Auch ein angemessener Mindeststeuersatz bei den Unternehmensteuern würde verhindern, dass Mitgliedstaaten durch Sonderregeln und niedrige Steuersätze Dumping auf Kosten anderer EU-Mitgliedstaaten betreiben. Doch nationale Egoismen konnten bisher leider nicht überwunden werden. Es fehlt der Wille, es fehlt aber auch der Druck.
Die Hilfsorganisation Oxfam hat kürzlich eine Liste mit den 15 größten Steuersümpfen weltweit veröffentlicht. Darunter sind mit Irland, Luxemburg, den Niederlanden und Zypern auch vier Mitglieder der EU. Die Bereitschaft, steuerpolitisch hier mehr Harmonisierung und damit europäische Integration zu wagen, ist offensichtlich kaum vorhanden.
Hier ist gerade auch Jean-Claude Juncker gefordert, seine Vergangenheit hinter sich zu lassen. Als Premierminister und Finanzminister von Luxemburg war er für die illegalen Steuerabsprachen verantwortlich, die seine eigene Kommission teilweise als wettbewerbswidrig bewertet hat. Deswegen soll beispielsweise Apple 13 Milliarden Euro Steuern in Irland nachzahlen.
Es ist ein starkes Stück, dass der bayerische Finanzminister Markus Söder diese Steuerforderung kritisierte und mögliche Mehreinnahmen, die für Deutschland anfallen könnten, ablehnte. Er nimmt es hin, dass kleine und mittlere Unternehmen überproportional für die Infrastruktur zahlen und damit einen Wettbewerbsnachteil erleiden. Er schont tatsächlich einen Milliardenkonzern, der auf seine Auslandsumsätze mit einem Steuersatz von 0,005 Prozent kaum Steuern zahlt. Auf eine Million Euro Gewinn zahlt Apple demnach 50 Euro Steuern in Europa. Wie für Ronaldo ist Irland Apples Tor ins Steuerparadies.
Um diese Ungerechtigkeit zu verhindern, brauchen wir dringend einen Europäischen Steuerpakt gegen aggressive Steuervermeidung. Dazu braucht es mehr politischen und zivilgesellschaftlichen Druck. Auch in Deutschland kann mehr getan werden, damit es für internationale Großkonzerne erschwert wird, hier anfallende Gewinne in Niedrigsteuerländer zu transferieren.
So könnte beispielsweise eine Lizenzschranke eingeführt werden, um Steuervermeidung über Lizenzgebühren zu verhindern. Es ist eine elementare Frage der Gerechtigkeit, dass sich Steuern und damit der Beitrag zum Gemeinwesen nach der jeweiligen Leistungsfähigkeit richten. Auch daran wird sich eine kommende Bundesregierung messen lassen müssen. Die jetzige hat hier leider eindeutig zu wenig erreicht.