Jan Fleischhauer

S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal Fracking für die Freiheit

Die Krim-Krise zwingt die deutsche Politik, die Energiewende zu überdenken: Entweder die Bundesregierung stellt ihre Drohungen gegen Putin ein, oder sie löst das Land aus der Abhängigkeit vom russischen Gas.
Bohrfeld in Niedersachsen: Umstrittene Methode der Gasförderung

Bohrfeld in Niedersachsen: Umstrittene Methode der Gasförderung

Foto: Ingo Wagner/ picture alliance / dpa

Es ist nicht besonders klug, sich von jemandem abhängig zu machen, den man für einen Despoten hält. Noch dümmer ist es, ihm zu drohen, wenn man ihm vorher die Möglichkeit verschafft hat, einem selber empfindlich zu schaden. Das ist die Situation, in der sich die deutsche Politik befindet. Wenn die Kanzlerin dem russischen Präsidenten mit Sanktionen droht, muss sie hoffen, dass dieser nicht seinerseits zum Boykott ausholt.

Putins Waffe ist unsere Energieabhängigkeit. Fast 40 Prozent der Erdgas-Importe beziehen wir aus dem Land, das wir jetzt gerne mit Strafandrohungen vom Schurkenstaat in eine gemäßigte Diktatur zurückverwandeln möchten. Bislang hieß es immer, die Russen würden nie wagen, uns das Gas zu sperren, weil sie sich einen Lieferstopp nicht erlauben könnten. Darauf wird man sich in Zukunft nicht mehr verlassen wollen. Dass Putin anders reagiert, als man das im Westen von einem Staatschef gewohnt ist, hat er in den vergangenen zwei Wochen hinlänglich unter Beweis gestellt.

Es ist müßig, darüber zu streiten, wie wir da hinein geraten sind. Erst haben sich die Sozialdemokraten in der Natur des neuen Partners im Osten getäuscht, dann hat die CDU mit dem Beschluss zur vorzeitigen Abschaltung aller Atomkraftwerke die Abhängigkeit noch vergrößert. Im Augenblick sind die Gasspeicher zu 60 Prozent gefüllt, das reicht über den Sommer. Wenn der Winter vor der Tür steht, halten wir damit nur einen Monat durch, danach wird es auch bei uns ziemlich kalt. Im Gegensatz zum Öl lässt sich bei Gas der Ausfall eines Lieferanten nicht so schnell und preiswert ersetzen.

Nach Lage der Dinge hat die Bundesregierung drei Möglichkeiten: Sie signalisiert dem russischen Präsidenten, dass sie es mit den Sanktionen nicht wirklich ernst meint. Sie lässt es auf einen Gaskrieg ankommen, in der Hoffnung, dass Putin als erster die Nerven verliert. Oder sie sieht sich nach Alternativen um.

Verwandlung in eine postindustrielle Gesellschaft

Deutschland ist in der glücklichen Situation, selber über Erdgas zu verfügen, und zwar in erstaunlicher Menge. Bis zu 2,3 Billionen Kubikmeter gewinnbares Schiefergas lagern nach Schätzungen im Untergrund, das meiste in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Die Menge würde reichen, um für rund 20 Jahre den Verbrauch der Bundesrepublik zu decken. Leider haben wir beschlossen, die Förderung auszusetzen, weil es wie bei jeder Technik auch bei der Gasgewinnung Risiken gibt.

In Niedersachsen wird seit 50 Jahren der Boden angebohrt, ohne dass es lange jemanden gestört hätte. Noch in den achtziger Jahren kam fast ein Viertel des in Deutschland verfeuerten Erdgases aus eigenen Quellen. Das Besondere am Fracking, wie es heute betrieben wird, ist ein Verfahren, das es erlaubt, Vorkommen in Gesteinsschichten zu erschließen, die so dicht sind, dass an eine Förderung vorher nicht zu denken war.

Viel ist im Zusammenhang mit der Schiefergasproduktion von den Chemikalien die Rede, die in die Erde gepresst werden, um den Boden durchlässig zu machen. Wer die einschlägigen Aufrufe der Fracking-Gegner liest, muss den Eindruck gewinnen, dass einem demnächst die Stichflamme aus dem Wasserhahn entgegenschlägt, wenn die Konzerne erst einmal mit ihrer unheilvollen Arbeit begonnen haben.

Tatsächlich besteht der "Chemie-Cocktail" zu über 90 Prozent aus Wasser. Wer mehr als drei bis vier Gläser der Flüssigkeit trinkt, erleidet keinen größeren Schaden als einen leichten Durchfall. Es macht zugegeben einen Unterschied, ob man ein paar Gläser oder mehrere Millionen Liter in ein Bohrloch pumpt. Aber Energiegewinnung ist für die Umwelt immer eine Belastung, wie die Ölproduktion oder die Kohleförderung zeigen. Selbst ein Windrad hinterlässt Spuren. In diesem Fall redet man nicht von verschmutzten Flüssen und Meeren, sondern, etwas vornehmer, von Landschaftsverbrauch.

Verschiedentlich war jetzt zu lesen, man müsse die Energiewende einfach noch schneller vorantreiben, um der Abhängigkeit von Russland zu entgehen. Nur Träumer (oder Mitglieder der grünen Bundestagsfraktion) können glauben, dass sich ein Industrieland wie Deutschland auf absehbare Zeit mit Sonne und Wind betreiben lässt. Aber vielleicht geht es ja genau darum: Die Verwandlung Deutschlands in eine postindustrielle Gesellschaft. Wenn man einmal so weit ist, braucht man in der Tat weder Gas, noch Kohle oder Atomkraft.

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