Fotostrecke

Steinmeier: Visite im Gazastreifen

Foto: Jens Büttner/ dpa

Außenminister in Gaza Steinmeier im Sperrgebiet

Im Gazastreifen lässt sich Frank-Walter Steinmeier von Palästinensern die Folgen des Krieges schildern. Der Außenminister fordert ein Ende der Blockade - warnt aber auch vor neuen Angriffen auf Israel.

Frank-Walter Steinmeier atmet durch. Als wollte er sagen: Was für ein Termin. In einem Raum der Schule Asma Prep Girls A&B haben ihm Menschen aus dem Gazastreifen von ihren Schicksalen erzählt. Es sind emotionale Momente, die auch einen erfahrenen Minister nicht kaltlassen.

Da ist der 49-jährige Chemieprofessor Mazen Hamada, er studierte einst in Kiel, spricht fließend Deutsch. Der Vater von vier Kindern hat im vergangenen Jahr, als der Gaza-Krieg 51 Tage andauerte, durch einen israelischen Angriff sein Haus verloren. Er bedankt sich beim deutschen Außenminister für dessen Besuch. "Das passiert nicht jeden Tag", sagt er und lächelt hinter seinen Brillengläsern.

Hamada erzählt, wie er im vergangenen Juli nach zehnminütiger israelischer Vorwarnzeit sein Haus verlassen musste, bevor es zerstört wurde. Dass seine Familie seit einem Jahr um die Existenz kämpfe und jetzt zur Miete in einer kleinen Wohnung lebe. Er habe alle seine Bücher verloren, alles neu kaufen und Schulden machen müssen, obwohl er als Universitätsprofessor doch besser verdient als viele im Gaza. "Eine hochangesehene Familie war plötzlich obdachlos", sagt er.

Dann ergreift eine seiner beiden Töchter, die neben der Mutter Mona mit im Raum sitzen, das Wort. Kurz darauf bricht die junge Frau unter ihrem Kopftuch in Tränen aus. "Wir haben in wenigen Sekunden alles verloren, unsere Träume, unsere Sicherheit", erzählt sie. Das Mädchen leidet noch immer an den Folgen des Krieges. Ihr Vater habe sie seit dem Krieg mehrmals wegen Herzbeschwerden ins Krankenhaus bringen müssen. "Mein Vater lächelt, wenn er vor den Studenten steht. Aber ich weiß, wie es in seinem Inneren aussieht", übersetzt die Dolmetscherin ins Englische.

Berge von Müll an den Straßen

Der Vater reibt sich die Augen, ringt um Fassung. Im Raum ist es mucksmäuschenstill - bei den Betroffenen, den Dolmetschern, der deutschen Delegation, den Uno-Vertretern, auch den deutschen Journalisten, die bei diesem Termin dabei sein dürfen. Dann spricht auch die Mutter der Familie und sagt einen Satz, der haften bleibt: "Ich habe in Deutschland die besten Jahre meines Lebens gelebt."

Dass ein deutscher Außenminister in den von Israel blockierten Gazastreifen kommt, ist ein politisches Signal. Der Sozialdemokrat Steinmeier war zuletzt im Januar 2009 am Übergang Rafah an der Grenze zu Ägypten. Damals schlugen in 500 Metern Entfernung Raketen ein. Im November 2010 war sein Nachfolger Guido Westerwelle im Gaza, auch Entwicklungsminister Dirk Niebel war zweimal während der schwarz-gelben Koalition in Berlin hier.

Die Reise nach Gaza ist ein Abstecher in eine andere Welt: Steinmeiers Kolonne fährt am israelischen Checkpoint Erez hinein. Meterhohe Betonwände, dann geht es weiter. Entlang der Strecke sammelt sich der Müll. Dahinter stehen Häuser und Fabrikanlagen. Immer wieder Esel, spielende Kinder, ausgebrannte Autos sowie Männer, die arbeitslos an der Straße hocken - am frühen Morgen.

Manche Häuser sind zerstört. Zusammengepresst liegen sie da, als hätte eine große Hand sie niedergedrückt. Je näher die Kolonne an Gaza-Stadt herankommt, desto weniger Gebäude scheinen betroffen zu sein.

Rund 1,8 Millionen Menschen leben im Gazastreifen. Nur das Notwendigste zum Leben wird von Israel in das Gebiet gelassen. Der Handel ist zusammengebrochen, seit 2007 existiert die Blockade. Robert Turner, der Uno-Direktor für den Gazastreifen, bedankt sich für die großzügige Hilfe aus Deutschland. Seit dem letzten Gaza-Krieg hat Deutschland 80 Millionen Euro zusätzlich gegeben, die Schule wurde mit deutschen Geldern der Kreditanstalt für Wiederaufbau finanziert. Doch für den September, erzählt Turner, fehle das Geld zur Bezahlung der Lehrkräfte.

Turner ist so etwas wie die offizielle Stimme des Gazastreifens: Er erzählt von einer zerstrittenen, fehlenden palästinensischen Verwaltung. Er erkennt an, dass sich auf israelischer Seite seit dem Krieg eine positive Veränderung abzeichne - aber das sei nicht genug: "1,8 Millionen Menschen können nicht heraus."

Gefahr einer neuen Eskalation

Die Realität in Gaza ist komplex wie der Konflikt im Nahen Osten. Am Hafen von Gaza-Stadt speist Steinmeier mit seiner Delegation und Gästen im Hotel "Roots". Eigentlich ein malerischer Ort: Fischerboote, Netze. Es könnte auch ein Restaurant irgendwo an einem Touristenort am Mittelmeer sein - sauber, hell und freundlich.

Dann wiederum: An einer der Straßen zum Hafen, durch die die Kolonne fährt, hängt ein übergroßes Plakat - es verherrlicht die Soldaten und ihre Raketenwerfer. Im Gazastreifen dominiert die radikalislamische Hamas, die von der EU als Terrororganisation geführt wird. Die Raketenangriffe auf Israel, die im vergangenen Sommer die Luftangriffe der Israelis zur Folge hatten, gehen auf ihr Konto. Die Lage bleibt angespannt, in den vergangenen Wochen gab es wieder Raketenangriffe und israelische Gegenmaßnahmen. Ein erneuter Gaza-Krieg ist daraus bis jetzt nicht geworden, doch die Gefahr einer erneuten Eskalation existiert.

Steinmeier ist nach Israel, in die palästinensischen Autonomiegebiete und für fünf Stunden nach Gaza gereist, um nach Zeichen der Hoffnung in einer verfahren Situation zu suchen. Man könne nicht warten mit der Verbesserung der Lebensverhältnisse im Gazastreifen, bis die Gespräche über eine Zwei-Staaten-Lösung wieder in Gang kommen, sagt er der Familie Hamada und den anderen Angehörigen in der Schule. Es müsse "dringend etwas geschehen". Die Menschen wollten nicht auf Dauer von humanitärer Hilfe leben, sie bräuchten eine Perspektive.

"Im Nahen Osten ist nichts einfach"

Am Hafen von Gaza-Stadt ist der Andrang der Medien so groß, dass die palästinensischen und deutschen Sicherheitskräfte Mühe haben, Steinmeier den Weg zu bahnen. Er wird von Palästinensern angesprochen, die lange in Deutschland gelebt haben. "Herr Steinmeier, Herr Steinmeier", ruft ein junger, bulliger Mann. Unter einem Zelt am von Müll übersäten Strand, hinter einem Fischerhaus, gibt Steinmeier ein weiteres Statement ab. "Wir müssen dafür sorgen, dass aus den Trümmern des Krieges kein neuer Krieg entsteht", sagt er.

Der Status Quo schaffe für keine Seite wirkliche Sicherheit. Steinmeier appelliert an die Israelis, die Autonomiebehörde und an jene, die in Gaza "Einfluss" hätten (womit er indirekt die Hamas anspricht), ihrer Verantwortung für die Menschen gerecht zu werden. "Das kann und darf so nicht bleiben", beschreibt er seine Eindrücke von der Lage.

Am Hafen von Gaza, vor den zumeist palästinensischen Journalisten, hat sich Steinmeier eine wichtige Botschaft noch aufgespart. Hier, vor einem Wald von TV-Kameras, spricht er Israels Bedürfnisse an. Der Gazastreifen dürfe keine "Startrampe" für neue Raketenangriffe sein. Sicherheit für Israel, mahnt er die Verantwortlichen in Gaza an, müsse die Gegenleistung sein für eine Verbesserung der Lage für die Menschen.

Ob seine Worte Gehör finden? "Hier im Nahen Osten ist nichts einfach", sagt der deutsche Außenminister. "Gleichwohl müssen wir es versuchen."

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren