Steinmeier in der Türkei Diplomatie statt Demokratie

Erdogan und Steinmeier in Ankara: Ohne die Türkei kann das Flüchtlingsproblem nicht entschärft werden.
Foto: MURAT CETIN MUHURDAR/ AFPEs kommt nicht häufig vor, dass der Außenminister eines anderen Landes so gut Deutsch spricht, dass er Frank-Walter Steinmeiers Ausführungen ohne Simultan-Kopfhörer folgen kann. Der türkische Außenminister Feridun Sinirlioglu versteht nicht nur Deutsch, er hat sogar über Immanuel Kant promoviert, verrät Steinmeier bei der gemeinsamen Pressekonferenz im Außenministerium von Ankara und sagt: "Nichts brauchen wir in diesen Tagen so sehr wie praktische Vernunft."
Außenpolitisch mag der Besuch Steinmeiers an diesem Freitag vernünftig sein, innenpolitisch ist er durchaus heikel. In sechs Wochen wird in der Türkei gewählt, da ist es eigentlich unüblich, dass ein deutscher Regierungsvertreter so kurz vorher der amtierenden Regierung die Aufwartung macht.
Noch dazu vor einem derart umstrittenen Urnengang, schließlich verlor die konservativ-islamische AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan bei den regulären Wahlen am 7. Juni die absolute Mehrheit, was der lupenreine Demokrat Erdogan prompt einen "Fehler" nannte, den es bei den anstehenden Neuwahlen zu "korrigieren" gelte.
Dass Steinmeier sich mit seinem Besuch über manche Bedenken auch im eigenen Haus hinwegsetzte, zeigt, welch zentrale Rolle die deutsche Regierung der Türkei bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise und der Bekämpfung der Fluchtursachen zumisst. Und die Zeit für eine diplomatische Lösung rennt davon.
Warum die Zeit knapp wird
Russland rüstet den syrischen Diktator Baschar al-Assad auf, sogar den Einsatz von Bodentruppen erwägt Moskau. Dadurch könnte, so die Befürchtung im Auswärtigen Amt, Assads Bereitschaft sinken, an einer diplomatischen Lösung mitzuwirken.
"Es ist ein wichtiger Besuch und trotz einer Wahlsituation, glaube ich, der richtige Zeitpunkt, um hier zu sein", sagte Steinmeier bei einem Besuch einer Hilfsorganisation. Er sprach dort unter anderem mit einer irakischen Familie, die in den letzten zehn Jahren gleich mehrmals vertrieben wurde.

Flüchtlingskrise: Der Tag in Bildern
Während des Irak-Krieges floh sie nach Syrien, nach Beginn des Bürgerkriegs zurück in den Irak und rettete sich schließlich vor den Mörderbanden des "Islamischen Staates" in die Türkei. Den Flüchtlingen geht es in der Türkei den Umständen entsprechend gut, sie haben Zugang zu Gesundheitsversorgung und Schulen. Aber in letzter Zeit, berichtete Selin Unal vom Uno-Flüchtlingskomissariat UNHCR in Ankara, würden immer mehr Flüchtlinge den Wunsch äußern, nach Europa zu ziehen.
Je länger der Krieg dauere, desto weniger Flüchtlinge glaubten daran, "dass wir in den nächsten Jahren Bedingungen in Syrien herstellen, unter denen man tatsächlich zurückkehren kann", sagte Steinmeier. Der Minister achtete darauf, bei der Begegnung mit den Flüchtlingen keine Tumulte auszulösen.
Was die Türkei seit Jahren leistet
Die Zentrale der Hilfsorganisation betrat er durch die Hintertür, die irakische Familie traf er abgeschirmt in einem Büro im ersten Stock der Organisation. Steinmeier vermied es auch, nah ans Fenster zu treten, damit ihn die draußen wartenden Flüchtlinge, derzeit mehr als 1000 pro Tag, nicht erkennen konnten. Nicht auszudenken, wenn die Menschen plötzlich "Germany, Germany" gerufen hätten.
Bei der Begegnung mit dem Interims-Außenminister Feridun Sinirlioglu würdigte Steinmeier die Leistung der Türkei, in den vergangenen fünf Jahren allein mehr als zwei Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen zu haben. Sein Amtskollege Sinirlioglu berichtete, die Türkei habe rund sechs Milliarden US-Dollar ausgegeben. Trotzdem musste der Uno-Flüchtlingskommissar zuletzt seine Leistungen für die Flüchtlinge um 50 Prozent kürzen, weil Geld fehlte. Deutschland werde sich, versprach Steinmeier, als G7-Vorsitzender und auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass der UNHCR von den Geberländern mehr Geld bekomme.
Auch in den Gesprächen mit Präsident Erdogan und Ministerpräsident Ahmet Davutoglu wurden die Gemeinsamkeiten betont. Ankara und Berlin sehen sich in ihren jeweiligen Regionen in einer ähnlichen Lage: Beide Länder haben überproportional viele Flüchtlinge aufgenommen, was aber von den Nachbarn nicht unbedingt gewürdigt wird.
In den Gesprächen ging es auch um die Idee, Schutzzonen für die Zivilbevölkerung in Syrien und dem angrenzenden Irak einzurichten. Die Türkei hatte dies bereits früher vorgeschlagen.
Jetzt gewinnt die Idee mehr und mehr Anhänger: Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, sprach sich dafür aus, im aktuellen SPIEGEL stellt sich Österreichs Außenminister Sebastian Kurz hinter den Vorschlag. Im Auswärtigen Amt ist man eher skeptisch: Es brauche ein Mandat des Uno-Sicherheitsrats, außerdem müsste die syrische Opposition dazu befähigt werden, die Schutzzonen zu verteidigen - denn Bodentruppen will kein europäischer Staat in das Bürgerkriegsland entsenden.
Bleibt also nur die Diplomatie. Noch während Steinmeier in Ankara weilte, meldete das Pentagon, dass die Verteidigungsminister der USA und Russlands 50 Minuten über die Syrien-Krise telefoniert haben. Auch Erdogan, der die syrische Opposition unterstützt, und der russische Präsidenten Putin, der das Assad-Regime verteidigt, reden wieder miteinander. Das "Fenster der Gelegenheit", von dem Außenminister Steinmeier gerne spricht, scheint dieser Tage also mehr als eine Floskel zu sein.
Zusammengefasst: Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist trotz aller Bedenken angesichts der innenpolitischen Lage in der Türkei nach Ankara gereist und hat weitere Hilfe bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise angeboten. Er lobte den Nato-Partner für die Aufnahme von um die zwei Millionen Menschen allein aus Syrien. Wichtig sei es, eine "Rückkehr-Perspektive" zu ermöglichen. Ziel ist es zu verhindern, dass sich noch mehr Flüchtlinge auf den Weg nach Europa machen. Die Türkei hat mehr als 2,3 Millionen Menschen aufgenommen, auch aus dem Irak und Afghanistan. Viele wollen inzwischen weiter nach Europa.
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