Frankreich vor der Fußball-EM Die Ausnahme wird zur Regel

Elitepolizisten bei Übung in Frankreich
Foto: Miguel Medina/ dpaSoldaten mit Maschinenpistole vor dem Eiffelturm, Polizisten im Tarnanzug auf dem Montmartre, Legionäre in der Metro, auf Bahnhöfen und Flughäfen: Die martialisch ausgestatteten Beamten gehören seit den Anschlägen im vergangenen November zum Straßenbild, die Franzosen haben sich an die allgegenwärtige Präsenz gewöhnt.
In der Rue Saint Honoré in Paris, wo Soldaten vor der Privatwohnung einer "hochgestellten Persönlichkeit" aufgezogen sind, bekommen die Männer in Kampfausrüstung und schusssicheren Westen vom gegenüberliegenden Bistro einen Kaffee gereicht. "Wir sind dankbar für ihre Arbeit", sagt eine ältere Dame zu den Uniformierten, "das beruhigt."
Der Ausnahmezustand ist zur Regel geworden: Die Notmaßnahme, die Präsident François Hollande nach den Attentaten verhängte, ist Mitte Februar von der Nationalversammlung ohne Widerspruch verlängert worden. Die Terrorgefahr "ist so hoch wie nie", warnte Innenminister Bernard Cazeneuve.
Juristen befürchten ein Abgleiten in den "Polizeistaat"
Bei der Kabinettssitzung am Mittwoch will Cazeneuve die bis 26. Mai gültige Sonderregelung, noch einmal bis zum Ende der Fußball-EM im Juli verlängern. "Die Europameisterschaft soll unter sicheren Bedingungen stattfinden", begründete Premier Manuel Valls bei Radio France-Info die Entscheidung.
Das Sportereignis mit riesigen Menschenansammlungen in den Stadien, vor öffentlichen TV-Schirmen, mit anreisenden Fans und EM-Touristen - für Experten des Anti-Terroreinsatzes ein Alptraum. Laut Valls ist eine weitere Verlängerung des Ausnahmezustands zwingend geboten damit die "Euro" auch eine "Party" wird.
Das bedeutet aber auch: Hausarrest für verdächtige Personen oder ihre Aussperrung von bestimmten Orten, Wohnungsdurchsuchungen ohne richterliche Anordnung - fundamentale Grundrechte der V. Republik werden weiterhin für Monate außer Kraft gesetzt. Demonstrationen und Kundgebungen bleiben freilich verschont - wie etwa die seit Wochen andauernden Versammlungen der Bewegung "Nuit debout".
Kritiker des Ausnahmezustandes rügen nicht nur die Sondervollmachten von Justiz und Polizei oder Übergriffe der Sicherheitskräfte. Amnesty International nannte Frankreichs Reaktion auf die Anschläge in seinem Jahresbericht "freiheitsbedrohend". Linke Politiker wie Juristen befürchten ein Abgleiten in den "Polizeistaat" und fragen nach der Wirksamkeit der massiven Eingriffe, zumal die Ergebnisse der Maßnahmen durchaus gemischt sind.
Denn selbst die Bilanz des Innenministeriums, vorgelegt Ende Februar, ist wenig überzeugend: Bei 3397 Durchsuchungen wurden zwar 344 Personen unter Polizeigewahrsam gestellt, aber die zuständige Staatsanwaltschaft in Paris eröffnete ganze fünf Anti-Terror-Verfahren. Sichergestellt wurden 586 Waffen, darunter 42 Kriegswaffen sowie ein japanischer Säbel. Immerhin fanden die Behörden auch 254 Mal Drogen. Unter Hausarrest standen Ende Februar 274 Personen, davon sind rund hundert noch wirksam.
Allgegenwart der Militärs vor öffentlichen Gebäuden
Einige der zu Unrecht unter Hausarrest gestellten Personen haben Klage erhoben wegen "Angriffs auf die individuelle Freiheit". Auch Frankreichs Ombudsmann für Bürgerrechte bewertet den Ausnahmezustand mit Skepsis. Jacques Toubon befürchtet eine Behördenpraxis, "die allein auf einem Verdacht beruht". Er warnt vor einer "Herrschaft der Polizeiverwaltungen, die das vorhergehende Eingreifen eines Richters begrenzen, die Freiheiten beschneiden und die rechtlichen Garantien einschränken".
Als Reaktion auf diese Kritik könnte das Parlament bei der anstehenden Beratung über die Verlängerung des Ausnahmezustands die konkreten Maßnahmen per Votum auf ein Mindestmaß herunterfahren. An der Allgegenwart der Militärs vor öffentlichen Gebäuden, vor Schulen oder Synagogen wird sich hingegen wenig ändern. Nach den Anschlägen von Brüssel hatte Innenminister Cazeneuve deren Kontingent landesweit noch einmal um 1600 Mann verstärkt.
Zugleich sollen beim Kampf gegen Terroristen die verschiedenen, bisweilen rivalisierenden Elite-Kommandos von Polizei und Gendarmerie künftig besser verknüpft und dezentral aufgestellt werden. Das Ziel ist, binnen 20 Minuten auf jeden Terrorangriff zu regieren, egal wo in Frankreich . "Die Zeit für Rivalitäten ist vorbei", mahnte der Innenminister, "jetzt ist Geschlossenheit angesagt."
Video: Anti-Terror-Übung der französischen Polizei
Zusammengefasst: Wenn im Juni und Juli die Fußball-EM in Frankreich stattfindet, herrscht im Land weiterhin Ausnahmezustand. Die Regierung in Paris verlängert die Sondermaßnahmen, die seit den Anschlägen vom 13. November gelten. Bürgerrechtler kritisieren die Entscheidung. Sie zweifeln an der Wirksamkeit und warnen vor Willkür.