Frankreich Dritter Protesttag in Folge
Paris - Metallgitter und Mülleimer waren entfernt worden, die Anti-Aufruhr-Einheiten der Polizei kamen in ganzen Busladungen: Die erneuten Massendemonstrationen, die heute in zahlreichen französischen Städten stattfanden, sollten nicht wieder in gewalttätige Auseinandersetzungen umschlagen wie in den Vortagen. Trotz der Maßnahmen kam es aber in mehreren Städten zu Randale. Die Polizei nahm Dutzende Demonstranten fest. Mehrere Menschen wurden verletzt.
Hunderttausende waren am Samstag am dritten Tag in Folge auf die Straße gegangen, um die Regierung dazu zu bewegen, ein umstrittenes Gesetz zurückzunehmen, das es Arbeitgebern erlaubt, Arbeitnehmer bis 26 Jahre in den ersten zwei Jahren ohne Angabe von Gründen wieder zu entlassen. In Paris startete am Nachmittag ein Demonstrationszug unter starkem Polizeiaufgebot vom Platz Denfert-Rochereau. Zehntausende Studenten, Oberschüler und Angestellte wollten über die Seine zum Platz der Nation marschieren. Insgesamt gab es im ganzen Land mehr als 160 Kundgebungen, an denen rund 1,5 Millionen Menschen teilnahmen.
Der Präsident des Studentenverbandes Unef, Bruno Julliard, zeigte sich zufrieden: "Wir können heute sehen, dass die Mobilisierung stärker ist denn je", sagte er. "Entweder die Regierung hört auf die Stimme der Vernunft und zieht den Erstanstellungsvertrag (CPE) zurück oder sie wird nächste Woche dazu gezwungen sein - denn dann werden wir wieder auf die Straße gehen", warnte er.
Polizei setzt Tränengas gegen Randalierer ein
Gegen 14.45 Uhr machte sich der Demonstrationszug in Paris auf den Weg, an dem sämtliche Gewerkschaften sowie linke Parteien teilnahmen. Der Protestmarsch verlief zunächst friedlich, am Ende kam es jedoch erneut zu Randale und zu Zusammenstößen mit der Polizei. Einige junge Leute setzten ein Auto in Brand, warfen Fensterscheiben ein, verwüsteten eine Bushaltestelle und warfen mit Steinen und Golfbällen auf Polizisten. Die Beamten setzten Tränengas ein. Etwa ein Dutzend Demonstranten stürmten ein Fast-Food-Restaurant im Osten der Stadt, wo der Marsch endete. Sie zerbrachen Fensterscheiben, bevor sie vor den Sicherheitskräften flüchteten. Zwölf Demonstranten und vier Polizisten seien bei den Auseinandersetzungen verletzt worden, berichteten die Behörden.
An der Pariser Universität Sorbonne kam es vor Mitternacht erneut zu Zusammenstößen zwischen protestierenden Studenten und der Polizei. Die Sicherheitskräfte setzten Tränengas und Wasserwerfer gegen Studenten ein, die mit Flaschen und Müll auf die Polizisten warfen. Mehrere Demonstranten, einige von ihnen vermummt, rissen eine Sperre vor dem Universitätsgebäude nieder. In Lille wurde die Polizei mit Eiern und Pflastersteinen beworfen. An den Ausschreitungen waren etwa 200 Demonstranten beteiligt. Es gab mehrere Festnahmen. Die Polizei setzte ebenfalls Tränengas ein. Zusammenstöße der Polizei mit kleineren Gruppen von Krawallmachern gab es nach den Kundgebungen unter anderem auch in Bordeaux, Marseille sowie Clermont-Ferrand und Grenoble.
In den vergangenen Nächten hatte es mehrfach gewalttätige Zusammenstöße zwischen Demonstranten aus der links- und rechtsextremen Szene und Sicherheitskräften gegeben. Vor allem im Quartier Latin lieferten sie sich regelrechte Straßenschlachten; die Polizei setzte Tränengas und Wasserwerfer ein. Zahlreiche Menschen wurden verletzt, Dutzende festgenommen.
Droht jetzt ein Generalstreik?
"Ich riskiere es, für zwei Jahre umsonst zu arbeiten und dann einfach so gefeuert zu werden", beschrieb die Studentin Coralie Huvet, was das Gesetz für die bedeute. Organisatoren der Proteste bezeichneten das Gesetz als "Kleenex-Vertrag", weil es dazu führe, dass junge Arbeitnehmer "wie Taschentücher weggeworfen" werden könnten. Verschiedene Protestführer deuteten die Möglichkeit an, dass es auch zu einem groß angelegten Streik in Frankreich kommen könnte.
"Wenn sie nicht auf uns hören, werden wir darüber nachdenken müssen, einen Generalstreik im ganzen Land zu haben", erklärte Bernard Thibault, Chef der prokommunistischen Gewerkschaft CGT. "Wir können uns nicht raushalten, denn die Studentenbewegung wird weitermachen und es könnten Risiken entstehen", sagte der Führer der Lehrergewerkschaft, Gerard Aschieri. "Nächste Woche sollte es einen Streik geben." Die massenhaften, andauernden Proteste werden mittlerweile als bedrohlich für die Stabilität der Regierung eingeschätzt.
Premierminister Dominique de Villepin rief die Studenten dazu auf, die Besetzung der Universitäten zu beenden. "Wir wollen, dass die Studenten sich wieder ernsthaft auf ihre Prüfungen vorbereiten können und die Freiheit haben zu studieren", sagte Villepin bereits gestern Abend nach einem Treffen mit einer Delegation der Hochschulrektorenkonferenz in Paris. Auch die Rektoren forderten eine Aussetzung des umstrittenen Gesetzes.
yas/afp/rtr