Georg Blume

Macron in Nöten Superstar in Gefahr

Emmanuel Macron trifft heute in New York Donald Trump. Nur der französische Präsident kann derzeit im Westen seinem US-Kollegen an Starpower noch das Wasser reichen. Doch in Frankreich steht Macron zunehmend in der Kritik.
Französischer Präsident Emmanuel Macron

Französischer Präsident Emmanuel Macron

Foto: CHRISTOF STACHE/ AFP

Ein ranghoher deutscher Diplomat in Paris stellt angesichts der sich überschlagenden Regierungskrisen in Berlin nüchtern fest: "Eigentlich ist hier nichts passiert". Oh doch! Der im Trump-Zeitalter bisher von aller Welt als Beweis für die Erneuerungsfähigkeit der westlichen Demokratien gefeierte Emmanuel Macron befindet sich nämlich seit dem Sommer im freien Fall auf der Beliebtheitsskala der Franzosen.

Nicht etwa, dass seine Minister meutern. Sie treten brav zurück, wenn sie anderer Meinung sind. Doch auch ohne Regierungskrisen wie in Berlin ist Macron heute laut Umfragen bei seinen Wählern unbeliebter als die scheinbar so wacklige Kanzlerin in Berlin. Mit unabsehbaren Konsequenzen: Macron könnte schnell seinen inoffiziellen Status als Vorzeigepolitiker des Westens verlieren. Europa hätte Trump, den er heute in New York trifft, noch weniger entgegenzusetzen.

Schuld sind die Franzosen. Sie haben seit Jahrzehnten jeden neugewählten Präsidenten im zweiten Jahr seiner Amtszeit mit miesen Umfragewerten abgestraft. Sie sind einfach nicht die Sorte Mensch, die sich gerne von oben etwas sagen lässt. Sie feiern zwar ihre Helden, wie in diesem Sommer die Fußballer, aber wer es im Alltag mit ihnen aufnimmt, bekommt Kontra. Auch der Senkrechtstarter Macron.

Kaum einer hat das Wesen der Franzosen für ein breites Publikum, daheim und im Ausland, treffender dargestellt als der Schöpfer von Asterix und dem kleinen Nick, René Goscinny. Asterix ist der hochintelligente, mit viel Gerechtigkeitsempfinden ausgestattete, gegenüber jeder Autorität widerspenstige Gallier. Nick übernimmt diese Rolle im Schulalltag. Das ganze Land aber spielt diese unausgesprochene Rolle seit der französischen Revolution im Konzert der Nationen und Völker. Man mag die Franzosen nämlich unerträglich und arrogant finden, aber im Zweifel traut man ihnen dann doch mehr Intelligenz und demokratische Freiheitsliebe als fast allen anderen zu. Genau deshalb ist ja Macron heute dieser globale Superstar.

"Präsident der Reichen", ätzt das Volk in den Cafés und auf Märkten

Die Sache hat nur einen Haken: Asterix war nie Häuptling. In seinem gallischen Dorf regiert ein gemächlicher Typ namens Majestix. Und der verkörpert genau jene Figuren, die Frankreich in den letzten Jahrzehnten anführten: Mitterrand, Chirac und Hollande muteten ihren Franzosen immer nur so viel zu, dass sich von Grund auf nichts änderte.

Sarkozy scheiterte schnell, als er es anders versuchte. Denn er hatte dabei wenig Gerechtigkeitsempfinden. Und genau das werfen die Franzosen heute auch Macron vor: "Präsident der Reichen", ätzt das Volk in den Cafés, auf den Märkten und in den sozialen Medien.

Schon ist Macron laut manchen Umfragen unpopulärer als sein verhasster Vorgänger Francois Hollande. Sogar sein Innenminister rät ihm, bescheidener zu sein. Und sein Premierminister meint, er zeige zu viel Hochmut. Trump wird für solche Kritik kein Verständnis zeigen, insofern ist Macron heute gut bei ihm aufgehoben. Aber haben die Kritiker deshalb Recht?

Asterix ist ja manchmal unter seinesgleichen auch allein. Immer dann, wenn es für seine Gallier unangenehm wird oder sie auf etwas verzichten müssen. Dann zeigt sich nämlich auch, wie dumm die Gallier im Comic sind.

Dieses Narrativ aus den Sechzigerjahren hat bis ins heutige Digitalzeitalter nichts von seiner Glaubwürdigkeit eingebüßt. Der letzte Asterix, der im Oktober 2017 erschien, hatte eine weltweite Startauflage von 5 Millionen, 1,7 Millionen Hefte davon allein in Deutschland. Ein Beweis, dass die Deutschen die Widerspenstigkeit der Franzosen immer noch schätzen und über ihre Dummheit weiterhin gerne lachen.

Macron regt sich über die französische Bequemlichkeit auf

Genau auf diese "widerspenstigen Gallier" aber schimpft Macron ganz offen. Weil sie nämlich aus seiner Sicht seine Reformen verschmähen und ihre Erfolge ignorieren. Einem arbeitslosen Gärtner empfahl dieser Präsident deshalb, "über die Straße zu gehen" und sich einen Job als Kellner im Pariser Montparnasse-Viertel zu besorgen. Also herrscht unter den Widerspenstigen Aufruhr: Wer wagt es, ihnen zu sagen, wo sie zur Arbeit zu gehen hätten? Ein Majestix hätte das nie getan.

Im Umkehrschluss aber zeigt der neue Ärger über Macron sehr genau, was die Franzosen an ihm haben: Asterix ist jetzt Häuptling. Was Goscinny und seine heutigen Erben ihrem Millionenpublikum bisher nie zumuten wollten, ist eingetreten: Der Widerspenstige ist in Amt und Würden. Und er benimmt sich immer noch nicht wie seine Vorgänger. Er regt sich über die französische Bequemlichkeit auf. Er schimpft auf den, gemessen am Anteil vom Sozialprodukt, teuersten Sozialstaat der Welt. Er sagt jedem Franzosen, der es hören will, seine harte Wahrheit, die er auch schon im Wahlkampf vor sich her trug: Frankreich muss sich ändern, eine gemeinsame Kraftanstrengung unternehmen, wenn es weiterhin Fortschritt statt Rückschritt verkörpern will.

Dafür hat Macron in seinem ersten Amtsjahr 250 Reden gehalten. Viele von ihnen sind rhetorische Kunstwerke zur Wiederbelebung der Demokratie. Anmaßend und unbescheiden. Sogar der deutsche Philosoph Jürgen Habermas empfahl ihr Studium. Weil in ihnen so viel tieferer Sinn steckt - wie in jedem Asterix!

Insofern sollte Macron weitermachen, so wie er ist, und seine Kritik an den französischen Zuständen nicht zurücknehmen. Ihn zeichnet aus, so widerspenstig zu sein, wie es seine Landsleute zum Wohle Frankreichs in der Geschichte nicht selten gewesen sind. Auf die Dauer könnten viele Franzosen dann doch verstehen, wie sehr er ihnen ähnelt. Und Europa behielte seinen so dringend benötigten Asterix-Helden, der es weiter mit Trump aufnehmen kann.

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