

Die Worte sind hart, und sie sind bewusst gewählt. Als sich am Dienstagmorgen Demonstranten und Polizisten vor einer Raffinerie bei Marseille bekämpfen, sprechen Gewerkschafter von "Szenen wie im Krieg". Premierminister Manuel Valls wettert, die Gewerkschafter nähmen Verbraucher und Industrie als "Geiseln" - andere blockierte Treibstoffdepots würden demnächst "befreit". Die Beschuldigten kontern, der Regierungschef spiele ein gefährliches Spiel.
Es geht um die Arbeitsmarktreform in Frankreich, die eine ähnliche Dimension hat wie einst die "Agenda 2010" des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Aus Protest dagegen blockieren Gewerkschafter seit Tagen Raffinerien und Treibstofflager. Der Ton in diesem Streit wird täglich schärfer, die Form der Auseinandersetzung härter. Denn hinter der Konfrontation stehen zwei Akteure, die gleichermaßen angeschlagen sind.
Auf der einen Seite die sozialistische Regierung. Staatschef François Hollande, zusammen mit seinem Premier auf ein neues Popularitätstief abgerutscht, steht ein Jahr vor der nächsten Präsidentschaftswahl unter Druck. Er bezeichnet die Reform als Kernstück seiner Amtszeit, das er bis zum Ende durchziehen werde. Das Gesetz soll betriebsbedingte Kündigungen erleichtern, Abfindungen deckeln und die Arbeitszeit, also die geltende 35-Stunden-Woche, flexibler gestalten. Würde Hollande bei diesem Projekt einknicken, wäre das ein Desaster für ihn.
Auf der anderen Seite die Gewerkschaften, die nun die Blockaden initiiert haben. Sechs der acht Raffinerien des Landes stehen wegen der Proteste still oder arbeiten nur mit verminderter Leistung. Auch für die Gewerkschaften steht viel auf dem Spiel: Zwar konnten sie über Wochen Hunderttausende von Sympathisanten auf die Straße bringen, doch die Proteste ebben langsam ab. Obendrein leiden Frankreichs Arbeitnehmerorganisationen durchweg unter grassierendem Mitgliederschwund.
Kerosin am Pariser Flughafen droht knapp zu werden
Die medienwirksamen Blockaden wirken daher wie ihr letztes Gefecht. Der Widerstand gegen das Gesetz, abgelehnt von rund zwei Drittel der Bevölkerung, bietet gerade der kommunistischen CGT die Gelegenheit, sich als Gegenmacht zur Regierung zu inszenieren.
"Mit dieser Form der Proteste will die CGT beweisen, dass gewerkschaftlicher Kampf wirksamer ist als jede gewerkschaftliche Verhandlung", sagt der Historiker Stéphane Sirot zum kalkulierten Konfrontationskurs der Kommunisten. Und folgert: "Damit haben sich beide in eine Sackgasse manövriert, denn auch die Regierung hat nichts mehr zu verhandeln."
Bereits 20 Prozent der rund 12.000 Tankstellen in Frankreich sind geschlossen oder in großen Schwierigkeiten. Zwar versicherte die Regierung, angesichts der strategischen Reserven gebe es keinen Grund zur Panik, doch wo die Zapfsäulen noch funktionieren, bilden sich bisweilen kilometerlange Schlangen. Auf Dauer droht gar das Kerosin für Flugzeuge am Flughafen Paris-Charles-de-Gaulles knapp zu werden.
Die Gewerkschaften wollen aber nicht weichen. Ab Mittwoch planen die Eisenbahner Streiks bei der Staatsbahn SNCF, am Donnerstag folgt ein neuer landesweiter Protesttag. Bei den Pariser Verkehrsbetrieben soll am 2. Juni - und damit eine Woche vor Beginn der Fußball-EM - ein unbefristeter Streik beginnen.
Video aus Paris: Angriff auf Polizisten
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Streikende Gewerkschafter blockieren die Einfahrt zum Hafen von Saint-Nazaire im Westen Frankreichs. Sie protestieren damit gegen die umstrittene Arbeitsmarktreform.
Staatschef François Hollande beharrt auf seiner Arbeitsmarktreform. Er bezeichnet das Gesetz als Kernstück seiner Amtszeit, das er bis zum Ende durchziehen werde.
Ihm gegenüber stehen die Gewerkschaften, etwa die kommunistische CGT (hier ein Mitglied beim Protest in Douchy-les-Mines im Norden Frankreichs). Die CGT nutzt die Gelegenheit, sich als Gegenmacht zur Regierung in Szene zu setzen.
Nahe der Raffinerie bei Fos-sur-Mer gab es am Dienstag heftige Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei. Die Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein, Gewerkschafter sprachen von "Szenen wie im Krieg".
Auch in Donges gibt es Proteste: Arbeiter und Demonstranten stehen neben einer brennenden Barrikade.
"Es lebe der Widerstand der Arbeiter", steht auf dem Boden nahe der Ölraffinerie von Donges. Der Betrieb dort wird nach Aussage des Betreibers Total heruntergefahren.
Sechs der acht Raffinerien des Landes stehen wegen der Proteste still oder arbeiten nur mit verminderter Leistung.
Tanklaster warten darauf, in La Rochelle befüllt zu werden. Bereits 20 Prozent der rund 12.000 Tankstellen sind geschlossen oder in großen Schwierigkeiten.
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