Frankreich Hunderttausende protestieren gegen Sarkozys Krisenpolitik

Die Wut über die Krisenpolitik von Nicolas Sarkozy hat über eine Million Menschen auf die Straßen französischer Städte getrieben. Die Demonstranten fordern neue Sozialmaßnahmen, viele wollten einfach ihrem Zorn Luft machen.

Paris - Es waren die größten Massenkundgebungen und Streiks seit der Wahl von Präsident Nicolas Sarkozy im Mai 2007. Nach Polizeiangaben gingen 1,2 Millionen Menschen bei landesweit rund 220 Kundgebungen auf die Straße. Die Gewerkschaften sprachen von 3 Millionen. In Paris kam es am Abend zu Ausschreitungen, bei denen bis zu 600 Jugendliche Mülltonnen in Brand steckten und die Polizei mit Flaschen bewarfen. Die Beamten setzten Tränengas ein und nahmen einige Demonstranten fest.

Demonstration in Paris: Die soziale Stimmung hat sich in den vergangenen Wochen deutlich verschlechtert

Demonstration in Paris: Die soziale Stimmung hat sich in den vergangenen Wochen deutlich verschlechtert

Foto: AP

Zentrale Forderungen waren mehr Kaufkraft und Schutz der Arbeitsplätze. Parallel liefen Streiks im öffentlichen Dienst, denen sich auch die Beschäftigen vieler Privatunternehmen der Auto-, Elektro- und Energiewirtschaft anschlossen. "Der Protesttag ist ein Erfolg", sagte CFDT-Gewerkschaftsführer François Chérèque. Jetzt müsse die Regierung handeln. "Völlige Stille ist keine Antwort."

Premierminister François Fillon verzichtete wegen des Streiks auf seine Teilnahme an der Eröffnung des EU-Gipfels in Brüssel. Mit Hinweis auf das ausufernde Staatsdefizit lehnte Fillon weitere Maßnahmen zur Konjunkturankurbelung oder zur sozialen Absicherung ab. Nach ähnlichen Protesten am 29. Januar hatte Sarkozy den Gewerkschaften 2,6 Milliarden Euro für soziale Maßnahmen zugesagt.

Zu den Protestmärschen kamen nach Gewerkschafts- wie nach Polizeiangaben rund ein Viertel mehr Teilnehmer als am 29. Januar. Damals waren laut Polizei eine Million, nach Gewerkschaftsangaben 2,5 Millionen Menschen auf die Straße gegangen. Wie üblich gingen die einzelnen Angaben teilweise weit auseinander. So sprach die Gewerkschaft CGT allein in Paris von 350.000 Demonstranten, während die Polizei nur 85.000 zählte. Beide lagen damit aber deutlich über den Angaben vom Januar. In Marseille sprach die Gewerkschaft von 330.000, die Polizei nur von 30.000 Teilnehmern.

Keine Angaben gab es zunächst über die Gesamtzahl der Streikenden. In der Industrie und den Medien war die Beteiligung deutlich höher und im Bahnverkehr (mit 36 Prozent) ähnlich hoch wie im Januar. Dagegen legten in den Behörden nach Regierungsangaben nur 19,5 statt 25,2 Prozent die Arbeit nieder. In zahlreichen Schulen und Hochschulen fiel der Unterricht aus. Auf dem Pariser Flughafen Orly wurden 30 Prozent der Flüge gestrichen, in Paris-Roissy fiel jeder zehnte Flug aus. Gut die Hälfe der Regional- und Fernzüge fuhr nicht. Der Schnellverkehr nach Deutschland lief aber normal, und die Pariser Metro fuhr ebenfalls.

Der Unternehmerverband MEDEF verurteilte den Streik als "demagogisch" und teuer. CGT-Chef Bernard Thibault warf dem MEDEF dafür Rückständigkeit vor. Bildungsgewerkschaften kündigten bereits weitere Streiktage für März und April an.

Seit dem ersten großen Protesttag Ende Januar hat sich die soziale Stimmung in Frankreich weiter verschlechtert. Dazu trugen ein Hochschnellen der Arbeitslosenzahlen und Meldungen über hohe Unternehmensgewinne und Dividenden bei, die sich allerdings auf die Gewinne 2008 beziehen. Die wochenlangen Streiks und Proteste in den Überseegebieten heizten zusätzlich die Atmosphäre an. Die Regierung sieht sich allerdings bei der EU und Deutschland im Wort, das Defizit nicht ungehemmt weiter ausufern zu lassen.

ler/fsc/dpa/Reuters
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