
Frankreich im Rentenstreik Sarkozy taucht ab
Aussitzen. Das ist das Geheimnis der Strategie von Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy. Landauf, landab demonstrieren Millionen Franzosen gegen die Rentenreform - derweil hat sich der Staatschef im Élysée eingeigelt. Draußen sind Eisenbahner und Fluglotsen , Postler und Seeleute auf der Straße. Vollbeladene Schiffe auf Reede, blockierte Raffinerien, trockene Pumpen an den Tankstellen. Der Präsident wartet ab. Die Zeit wird die Macht der Straße brechen, irgendwann, das haben ihm seine Berater eingeflüstert.
Der Plan seiner Strategen geht so: Mit der Zeit wird die Wut der Demonstranten abebben, auch wenn die Massen jetzt noch in Bordeaux, Toulouse, Marseille und Paris protestieren. Irgendwann soll die Stimmung kippen, die Bürger sollen sich gegen die Streikenden wenden, weil der Ärger über eine blockierte Republik größer wird als der über die Regierung. Und in der Zwischenzeit soll die konservative Mehrheit die Rentenreform im Eiltempo über die letzten gesetzgeberischen Hürden hieven. Es wäre das politische Meisterstück des . Soweit die Theorie.
Das Kalkül ist einfach, denn zumindest strategisch sitzt Sarkozy am längeren Hebel. Die Opposition? Noch immer zerstritten, mit welchen Vorschlägen sie auf das Reformvorhaben reagieren soll. Die Gewerkschaften? Gerade fünf Prozent der Arbeitnehmer im privaten Sektor sind organisiert - eine "quantité négligable", das kann man vernachlässigen.
Wie Sarkozy an Glaubwürdigkeit gewinnen könnte
Bis zu den Wahlen 2012 dauert es noch lange. Auf dem Weg dorthin könnte der Staatschef sogar an Glaubwürdigkeit gewinnen, ja, sich präsentieren als "verantwortungsbewusster Präsident, dem es gelang, eine unpopuläre Reform durchzusetzen". So jedenfalls hätte es Sarkozy gern: "Wenn die Reform erst einmal durch ist, werden die Franzosen sagen: Wir brauchen uns keine Sorgen mehr um die Renten zu machen."
Wenn alles gutgeht, könnte er dann vors Volk treten und endlich die Kabinettsumbildung verkünden, die er ursprünglich für den September versprochen hatte. Das Signal: Sarkozy geht mit einer frischen, verkleinerten Mannschaft in den Wahlkampf, den Blick nach vorn. Proteste, Bettencourt-Affäre, miese Umfragewerte? All das soll vergessen sein.
Und möglicherweise kommt dem Präsidenten auch noch der Aufschwung zur Hilfe, den er bereits vor Jahren angekündigt hatte. Die Verheißung einer besseren Zukunft verhalf dem Politiker 2007 zum höchsten Amt der Republik. Was macht sich beim Wähler besser, als das Ende einer Krise verkünden zu können?
Doch der Plan könnte auch schiefgehen.
Möglicherweise verlässt Sarkozy sein politischer Instinkt. Vielleicht genügt es nicht mehr, mit rechten Parolen Stimmung gegen Minderheiten zu machen. Vielleicht haben die Debatten um Burka-Verbot und Kriminalität an Zugkraft verloren. Selbst Sarkozys Anhänger in der Regierungspartei UMP beginnen, am politischen Genie des Präsidenten und seiner Berater zu zweifeln.
Unterstützung des Widerstands in der Bevölkerung
Die Kraftprobe, zu der Sarkozy das Gesetz um die Renten erhoben hat, läuft jedenfalls anders ab, als es die Kommunikationsregie im Élysée geplant hatte. Nach den ersten Streiks im Juni, an denen laut Gewerkschaften 2,5 Millionen Menschen teilnahmen, verpuffte die Protestwut nämlich nicht, wie geplant, im Sommerloch. Nach der Sommerpause Anfang September demonstrierten 2,7 Millionen, vorletzte Woche waren es schon 3 Millionen. Schätzungen zufolge ist die aktuelle Protestwelle noch einmal größer.
Die Umkehrbewegung, die Sarkozys Berater prophezeien, ist bisher nicht eingetreten. Immer mehr Menschen unterstützen den Protest gegen die Rentenreform - trotz Behinderungen im Flug- und Eisenbahnverkehr, trotz Stau bei Metro, Bussen und Tram. 71 Prozent der Franzosen befürworten die laufenden Aktionen, 61 Prozent unterstützen sogar eine permanente Streikbewegung.
Viele sehen zwar ein, dass Veränderungen nötig sind, um das Pensionssystem finanzieren zu können. Aber es bleibt in der Bevölkerung das Gefühl, dass es sozial ungerecht dabei zugeht. So sollen zum Beispiel ausgerechnet jene am meisten berappen, die zuerst ins Arbeitsleben eintreten.
Hinzu kommt, dass sich jetzt auch noch Studenten und Schüler der Bewegung angeschlossen haben. Mit dem Schulterschluss zwischen künftigen Beitragszahlern und angehenden Pensionären könnte die Bewegung gefährlich eskalieren - so zuletzt geschehen 2006, als der Zwist um den Arbeitsvertrag für Berufseinsteiger (CPE) Lehrlinge, Gymnasiasten und Hochschüler mobilisierte.
Strategie mit wachsendem Risiko
Sollte das Spielen auf Zeit nicht bald aufgehen, schwinden die Optionen für Sarkozy. Denn vor allem im eigenen Lager wächst der Unmut. Die Hardliner der Konservativen werfen dem Staatschef allzu große Kompromissbereitschaft vor. Unter Wirtschaftsführern wächst die Sorge vor einer andauernden Streikwelle, die die Industrie täglich rund 100 Millionen Euro kostet. Und dann sind da noch die internationalen Finanzinstitute, die angesichts von Frankreichs Schuldenberg damit drohen, die Bonität des Landes herabzustufen. Das hätte weitreichende Folgen für die Liquidität und Stärke der Nation.
Sarkozys hat viel zu verlieren. Geht der Plan nicht auf, wird der Kampf um seine Rentenreform wohl den Anfang vom Ende seiner präsidialen Zukunft einläuten.