Frankreich Sarkozy schasst die Gratisfliegerin

Klarer Fall von Notbremse: Angesichts mieser Umfragewerte plant Frankreichs Präsident Sarkozy drei Wochen vor den Kantonswahlen einen Befreiungsschlag - Außenministerin Alliot-Marie soll gehen. Sie hatte mit ihrem Gratisurlaub in Tunesien für Empörung gesorgt. Ihr Nachfolger steht schon bereit.
Frankreichs Außenministerin Michèle Alliot-Marie: Peinliche Nähe zum tunesischen Regime

Frankreichs Außenministerin Michèle Alliot-Marie: Peinliche Nähe zum tunesischen Regime

Foto: BERTRAND GUAY/ AFP

Nicolas Sarkozy

Michèle Alliot-Marie

Am Ende überwiegt das Machtkalkül: Zum Wochenende, spätestens aber bis zum Montag, so meldet es die Internetseite der Pariser Zeitung "Le Monde", will Frankreichs Präsident seine umstrittene Außenministerin entlassen. Der angeschlagene Staatschef zieht damit die Konsequenzen aus einer seit Wochen schwelenden Affäre: Denn die Chefdiplomatin - derzeit zu Besuch in Kuwait - hatte während der Weihnachtspause in Tunesien Urlaub gemacht und dabei peinliche Nähe zum von Aufständen erschütterten Regime gepflegt.

"Der Präsident hat mir gesagt, dass er sich von ihr trennen wolle", zitiert "Le Monde" einen Minister. "Die Umfragen sind furchtbar, das ist der Beweis, dass sie das Problem ist", so die Erklärung einer anderen Quelle. Der Élysée gab zunächst keine Stellungnahme. Doch schon seit längerem wird deutlich, dass Sarkozy, in der Öffentlichkeit auf einem Popularitätstief von historischen Dimensionen, die Ministerin vor den Kantonswahlen am 20. und 27. März entsorgen will.

Ansehen der Regierung beschädigt

Zunächst hatte sich Sarkozy mit reflexartiger Wagenburgmentalität vor die blamierte Ministerin gestellt und ihr Handeln verteidigt. Da der Staatschef jedoch selbst, 14 Monate von den Präsidentenwahlen, in der Bredouille steckt, entschied sich Sarkozy nun für den Abwurf von personellem Ballast: Denn die Fehltritte und Enthüllungen um den Weihnachtsurlaub von Michèle Alliot-Marie (kurz: MAM) haben nicht nur den Ruf der Außenministerin beschädigt, sondern auch das Ansehen der Regierung insgesamt.

Ben Ali

Frankreich

Erst hatte die Diplomatin Tunesiens angezähltem Diktator offiziell das "Know-how" der französischen Sicherheitskräfte angeboten - und damit angesichts der Revolte in für einen Sturm der Entrüstung gesorgt. Dann kamen häppchenweise die Umstände ihrer Urlaubsreise ans Licht - begleitet von ungeschickten Dementis, nachgeschobenen Erklärungen und indigniertem Erstaunen der Ministerin. Doch Ende Januar musste Alliot-Marie schließlich einräumen, sie habe - just als die Unruhen in dem nordafrikanischen Land eskalierten - Tunesien besucht. Kontakte zum Staatschef Ben Ali habe es aber nicht gegeben, versicherte sie.

Zwei Tage später berichtete das Wochenblatt "Canard Enchaîné", Frankreichs Chefdiplomatin habe zu Abstechern im Land das Privatflugzeug des tunesischen Geschäftsmanns Aziz Miled benutzt - seines Zeichens ein enger Vertrauter des mittlerweile geschassten Herrschers. Seither wurde MAM als "Gratis-Ministerin" verhöhnt. Zu guter Letzt fand das Magazin "Le Nouvel Observateur" noch heraus, dass Alliot-Marie sich während ihres Aufenthalts immerhin telefonisch mit Ben Ali ausgetauscht hatte.

Die Ministerin versuchte es mit forscher Vorneverteidigung: In den Ferien sei sie Privatperson und nicht Außenministerin, so ihre blauäugige Einlassung; tags drauf bestand sie freilich darauf, "24 Stunden pro Tag" und 365 Tage im Jahr im Dienst der Republik zu stehen. Die Nutzung des Privatjets sei einer "glücklichen" Fügung auf dem Flughafen zu verdanken auf dem Weg zum Badeort Tabarka. Schon zwei Tage später musste Alliot-Marie dann nachschieben, dass auch ein Besuch im Landesinneren dank des Miled-Jets zustande kam.

Demontage auf Raten

Es blieb nicht die einzige Enthüllung. Wenig später stellte sich heraus, dass ihre Eltern den Weihnachtsurlaub genutzt hatten, um mit dem zuvorkommenden "Freund" Miled ein Immobiliengeschäft abzuschließen. In Tabarka übernahm das greise, aber durchaus geschäftstüchtige Ehepaar (94 und 92 Jahre alt) Mileds Anteile an einem gemeinsam verwalteten Hotelkomplex. Die Tochter, so wollten Bedienstete wissen, war bei der Überschreibung nicht zugegen, sondern saß derweil angeblich beim Friseur. "Ich habe nichts Illegales getan", betonte Alliot-Marie: "Man attackiert das Privatleben meiner Eltern, um mich politisch zu schädigen", ereiferte sich die Ministerin gar und fügte hinzu: "Meine Eltern machen mit ihrer Zeit und ihrem Geld, was sie wollen."

Seither war die Ministerin auf Tauchstation.

Zu Hilfe kam der Diplomatin, dass auch Premier François Fillon wegen eines ähnlichen Fauxpas ins Gerede kam: Der Regierungschef hatte zur gleichen Zeit in Ägypten Mubaraks Flugbereitschaft zu einem Privatausflug genutzt. "Gerüchte interessieren mich nicht", sagte Alliot-Marie verbissen und ließ keine Nachfragen zu dem Tunesien-Abstecher mehr zu. "Ich arbeite im Quai d'Orsay, und meine Verantwortung ist es, das Haus in Ordnung zu halten", teilte sie mit und gab ihre Agenda für die nächsten Tage bekannt, darunter ein Treffen mit US-Kollegin Hillary Clinton in Genf.

Indes wurde die außenpolitische Verantwortung der Ministerin schon teilweise entzogen. Beim ersten Tunesienbesuch nach dem Sturz Ben Alis am 14. Januar waren es Wirtschaftsministerin Christine Lagarde und der Kollege für Europäische Angelegenheiten, die Frankreichs Delegation anführten. Und innerhalb der Regierungspartei UMP zeigten sich zugleich Zeichen bröckelnder Solidarität. Jean-Pierre Raffarin empfahl eine Regierungsumbildung spätestens nach den Kantonswahlen, um der Politik "neuen Schwung" zu bescheren.

Offenbar ist Sarkozy jetzt bereit den Rat des erfahrenen ehemaligen Regierungschefs zu beherzigen. Anwärter für die Nachfolge werden schon gehandelt: Verteidigungsminister Alain Juppé oder Landwirtschaftsminister Bruno LeMaire.

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