Frankreich Villepin zieht Konsequenzen aus Reformdebakel
Paris - Villepin galt bisher als aussichtsreicher Kandidat für den Élysée-Palast und als Favorit des amtierenden Staatspräsidenten Jacques Chirac. Im Interview mit dem französischen Fernsehsender TF1 sagte er nun: "Ich habe immer gesagt, dass ich nicht Präsident werden will." In Umfragewerten ist der Premier seit den Protesten gegen seine Arbeitsmarktreform abgestürzt - die Chancen für einen Sieg bei den Wahlen im Frühjahr 2007 schienen ehedem dahin geschmolzen.
Villepins öffentlicher Rückzug macht die Bahn nun ausgerechnet für seinem innerparteilichen Rivalen Nicolas Sarkozy frei. Der Innenminister mit Ambitionen aufs Präsidentenamt, wurde auf dem Höhepunkt der Demonstrationen von Chirac als Krisenmanager berufen und steht jetzt als kommunikationsfreudiger Vermittler zwischen Gewerkschaften und Regierung da.
Jeglichen Gerüchten um einen Rücktritt vom Amt des Premierministers trat Villepin am Montagabend allerdings vehement entgegen. Er werde "weiterhin kämpfen, weiterhin Antworten geben, weiterhin seine Lektionen lernen und dann vielleicht mit mehr Erfahrung herauskommen". Das konservative Lager sei nach der Krise weder zerstritten, noch habe er die Unterstützung des Staatspräsidenten Jacques Chirac verloren.
Die Entscheidung Chiracs war mit der wachsenden Ungeduld einer Papstwahl erwartet worden. Am Ende hatten die Zuschauer des zunehmend absurden Schauspiels nur noch einen Wunsch: den Schluss des quälenden, dreimonatigen Dauerdramas zu erleben.
Massendemonstrationen von Gewerkschaftern, Studenten und Schülern sowie wachsender Unmut innerhalb des Kabinetts, öffentliche Kritik von führenden Politikern der regierenden UMP und die harsche Abmahnung des früheren Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing: All das brachte Jacques Chirac gestern zum Einlenken. Und auch sein Regierungschef Dominique de Villepin, der noch tags zuvor mit einer neuerlichen Rücktrittsdrohung den Kompromissvorschlag der UMP-Fraktionschefs abgeblockt hatte, gab schließlich auf.
Heute Morgen verkündete Chirac dann die lange überfällige Entscheidung. Nach einem Vier-Augen-Gespräch mit seinem Premier, der ihm einen neuen Gesetzesvorschlag in den Élysée-Palast gebracht hatte, lud der Staatschef die Parlamentarier und Innenminister Nicolas Sarkozy zum medienwirksamen Schulterschluss. Villepin durfte in seinem Amtssitz im Hôtel Matignon so tun, als habe er das umstrittene Gesetz mit ein paar kleinen Änderungen erst recht zum durchschlagenden Coup gemacht.
Kein Wort der Selbstkritik
Die Geste Chiracs, die das Gesicht seines Premiers wahren sollte, geriet freilich zum durchsichtigen Manöver: Im tiefblauen Anzug und im selbstgerechten Ton eines gekränkten Oberlehrers verkündete Villepin die "Auswechselung" des Artikels zum "Erstvertrag für Berufsanfänger" (Contrat première embauche, CPE). Kein Wort zur Kritik an einem Arbeitsvertrag für Jugendliche bis 26 Jahre mit zweijähriger Probezeit und jederzeit grundloser Kündbarkeit. Stattdessen äußerte er staatsmännische Sorge über "Unordnung an den Universitäten und Schulen", die den Lehr- und Prüfungsbetrieb stören könnte.
Villepin findet kein Wort der Selbstkritik an einer Blockadehaltung, mit der der Premier das ganze Land zur Geisel seiner persönlichen Ambitionen gemacht hatte, stattdessen herablassende Anteilnahme für die "Sicherheit der Jugendlichen" bei "öffentlichen Kundgebungen". Selbst das Eingeständnis seines Scheiterns klingt bei dem wortgewaltigen Ministerpräsidenten noch wie ein Vorwurf: "Weil die notwendigen Voraussetzungen an Vertrauen und Abgeklärtheit bei Jugend wie Arbeitgebern nicht zusammentrafen", sei der CPE nicht durchsetzbar. "Ich wollte schnell agieren, weil die dramatische Situation und die Hoffnungslosigkeit vieler Jugendlicher es erfordern", tönte Villepin und klagte: "Das ist nicht von allen verstanden worden - das bedauere ich."
Trübe Aussichten für Villepin
Dann wechselte der eben noch desavouierte Ministerpräsident schon wieder auf die politische Überholspur. Motto: Hauptsache handeln! So soll schon heute die Ersatzklausel für den CPE-Missgriff in der Nationalversammlung eingebracht werden: ein finanzielles Hilfsprogramm für Unternehmen, die schlecht oder wenig qualifizierte Jugendliche zwischen 16 und 26 Jahren einstellen. Der Vorschlag erweitert ein bestehendes Gesetzesvorhaben. Neu ist dies nicht, für die rechte Regierungsmannschaft allerdings ein dramatischer Kurswechsel: Statt Erleichterungen für die Arbeitgeber werden die Jugend-Jobs über Subventionen gefördert.
Aber auch Chiracs Renommee hat nach dem langwierigen Gezerre um das Gesetz Schaden genommen. Statt das letzte Jahr seiner zweiten Amtszeit mit Vision und Verve zu beschließen, hat er an Autorität und Ansehen eingebüßt. Seine Rolle als Schiedsrichter jenseits der Parteiquerelen ließ Chirac schleifen.
Schlimmer noch: Er unterwarf sich den Erpressungsversuchen seines Premiers, unterzeichnete das umstrittene Gesetz und befahl dann, es nicht anzuwenden: Eine Order, politisch sinnlos und verfassungsrechtlich anfechtbar, die den ersten Mann des Staates als entscheidungsschwachen Polit-Rentier vorführte. Überdies beauftragte Chirac Sarkozy und die Fraktionsspitzen der Regierungspartei mit der Ausarbeitung eines neuen Gesetzes und entmündigte damit die Befugnisse des Regierungschefs. Kein Wunder, dass alle nun von Chiracs "fin de règne", dem Ende seiner Regentschaft, reden.
Gewerkschaften und Opposition feiern unterdessen die Rücknahme des CPE. Ein Teil der Studentenorganisationen will ihren Druck aber aufrechterhalten und am Dienstag erneut demonstrieren: Erst müsse klar sein, wie die Neufassung des CPE ausfällt, hieß es bei Verbänden von Schülern und Studenten. Ein weiterer Unterrichtsausfall droht jedoch nicht - erst einmal sind Osterferien angesagt.