Macrons Sieg in Frankreich Gewählt - aber noch nicht gewonnen

Macrons Wahl in Frankreich ist ein Bekenntnis für eine offene Gesellschaft und ein geeintes Europa. Am Ziel ist er damit aber noch nicht: Viele Wähler haben für ihn nur aus Mangel an Alternativen gestimmt.
Emmanuel Macron

Emmanuel Macron

Foto: LIONEL BONAVENTURE/ AFP

Trikoloren, Autohupen, Europafahnen: Am "Carousel du Louvre", dem Platz vor der Glaspyramide, fliegen um 20 Uhr die Sektkorken. Währenddessen drängen sich TV-Teams und Journalisten vor der Kulisse des Pariser Museums. "Das ist ein historischer Moment", jauchzt Gérard, 22, Wirtschaftsstudent aus Lyon und Anhänger von Emmanuel Macron.

Tatsächlich markiert der Sieg des sozialliberalen Politikers eine Zeitenwende. Mit 39 Jahren wird Macron der jüngste Präsident in der Geschichte der V. Republik.

Das Ergebnis, 65,8 Prozent für den Kopf der Bewegung "En Marche" (EM), ist ein eindeutiges Votum: für eine offene, für eine moderne Gesellschaft. Marine Le Pen, Kandidatin des rechtsextremen Front National (FN), erreicht 34,2 Prozent.

Das Resultat ist ein Bekenntnis zu einem geeinten, solidarischen Europa, das sich im globalen Wettbewerb zwischen den Weltmächten behaupten will. Zugleich ist es eine Abfuhr für Le Pen und ihre rechtsradikalen Forderungen: Sie wollte den Rückzug in ein protektionistisches, fremdenfeindliches Frankreich, ein Land, das sein Heil in der Abschottung und der Abkehr vom Euro sucht.

Abschied von etablierten Parteien

Macrons Wahl steht für Aufbruch und den Abschied von der Herrschaft der etablierten Parteien - den Sozialisten (PS) genauso wie den Republikanern (LR). Deren Kandidaten waren in der ersten Wahlrunde gescheitert. Frankreichs Wähler haben damit den Bruch mit einer erstarrten Politkaste vollzogen, die sich, vier Jahrzehnte lang - im Wechsel zwischen Rechts und Links - an den Schalthebeln der Macht ablöste.

Video: Paris-Korrespondent Stefan Simons mit einer Analyse aus Paris

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Der Erfolg ist umso bedeutender, als es dem Ex-Wirtschaftsminister gelang, "En Marche" binnen nur zwölf Monaten von einer Internet-Plattform zu einer machtvollen landesweiten Bewegung aufzubauen. Das beweist, dass viele Bürger zu Engagement im Rahmen der bestehenden politischen Ordnung bereit sind - bei allem Frust über die gebrochenen Wahlversprechen der traditionellen Parteien.

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Frankreich: Macron siegt bei Präsidentenwahl

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Dennoch darf das Wahlergebnis nicht darüber hinwegtäuschen, dass der frisch gewählte Präsident nur einen Teil seiner Landsleute hinter sich hat. Gerade ein Drittel seiner Wähler, so Demoskopen, haben sich für ihn und sein Programm entschieden; ein weiteres Drittel stimmte für Macron mangels Alternative, ein letztes Drittel aus Abneigung gegen Marine Le Pen. (Verfolgen Sie hier den Wahlabend im Newsblog.)

Macron braucht stabile Mehrheit in der Nationalversammlung

Mit dem Sieg Macrons ist daher noch nicht alles gewonnen: Für die Umsetzung seiner ambitionierten Pläne braucht der neue Präsident eine breite und stabile Mehrheit in der Nationalversammlung. Die Parlamentswahlen im Juni werden daher zu einer Abstimmung über die Pläne der Regierung.

Die nächsten sechs Wochen werden für Macron entscheidend: Damit die Dynamik seines Erfolgs in einer starken Fraktion von EM-Abgeordneten mündet, muss Macron mit seiner Regierungsmannschaft und ersten Entscheidungen seine Reformfreudigkeit unter Beweis stellen. Dabei könnte er wegen seiner neoliberalen Maßnahmen schon bald den beinharten Protest der Gewerkschaften provozieren.

Macrons Wahl bleibt also eine Wette auf die Zukunft: Entweder der politische Newcomer legt mit ebenso drastischen wie mutigen Reformen die Fundamente für den Umbau seines Landes zu einem modernen Staatswesen. Oder der Senkrechtstarter scheitert mit seinem gesellschaftlichen Experiment am zähen Widerstand der alten Strukturen.

Dieser Wechsel ist Frankreichs letzte Chance. Versagt Macron, hat Marine Le Pen in fünf Jahren die besten Aussichten auf den Einzug in den Élysée.

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