Frankreich Watergate an der Seine
Paris - Während am Mai-Wochenende Frankreichs Gewerkschafter zu den traditionellen Demonstrationen auf die Strasse gingen, rüstete sich Ministerpräsident Dominique de Villepin im Hotel Matignon für eine Woche der Dauerkonfrontationen, die zur schwersten Belastungsprobe seiner Polit-Karriere werden könnte. Der Premier, seit den Straßendemonstrationen gegen seinen gekippten "Erstanstellungsvertag" (CPE) bereits angeschlagen und in den Umfragen auf 20 Prozent positiver Bewertungen abgerutscht, droht jetzt auch noch über die neuen Enthüllungen in der juristischen Daueraffäre "Clearstream" zu stolpern.
Frankreichs Medien beschreiben die Kabale um Geheimkonten, Schwarzgelder und Korruption als "Skandal", "Abrechnung" oder "Krise des Regimes" und folgern: "Villepin sitzt auf der Anklagebank". Tatsächlich belasten Aussagen eines ehemaligen Geheimdienstoffiziers gegenüber zwei Pariser Untersuchungsrichtern direkt den Ministerpräsidenten. Nach Darstellung von Ex-General Philippe Rondot habe de Villepin ihn im Januar 2004 aufgefordert, Korruptionsvorwürfen gegen Innenminister Nicolas Sarkozy nachzugehen - offenbar auf "Anweisungen" von Staatschef Jacques Chirac.
Stimmt die Schilderung, wäre die "Affäre Clearstream" nicht nur ein ungeheuerlicher Polit-Skandal, sondern auch ein Szenario für einen Hollywood-Plot: Ein Minister benutzt die Geheimdienste, um möglichen Fehltritten eines Kabinettskollegen nachzuspüren - mit dem nahe liegenden Motiv, seinen schärfsten innerparteilichen Rivalen bei der Kandidatur für die Präsidentenwahlen im nächsten Jahr auszuschalten. Villepin hat die Einlassungen des mittlerweile pensionierten Geheimdienstlers umgehend zurückgewiesen; beinahe wortgleich dementierte auch der Élysée "kategorisch", dass Staatschef Chirac "die mindeste Untersuchung gegen politischen Persönlichkeiten" in Gang gesetzt habe. Allerdings räumte Premier Villepin erstmals ein, dass er Ex-General Rondot getroffen habe, um "Überprüfungen" im Zusammenhang mit Korruptionsgerüchten nachzugehen: Aber nein, Namen habe er nicht genannt, bekräftigt Villepin am Wochenende in einem Interview mit der Tageszeitung "Le Figaro".
Rondot erläutert in einem heute abgedruckten Interview mit demselben Blatt "der Name Nicolas Sarkozy ist durchaus während dieser Unterhaltung gefallen". Die seinerzeit notierten Stichworte "Fixierung Sarkozy. Argwohn", erklärt Rondot als "rein persönlichen Eindruck, aber keinen Befehl für eine Untersuchung". Trotz dieser entlastenden Bemerkung fordert die Opposition den Rücktritt de Villepins; mittlerweile wird selbst unter dessen Parteifreunden laut über einen Wechsel an der Regierungsspitze und sogar vorgezogene Präsidentenwahlen nachgedacht.
Geld, Lügen und Computertricks
Die Pariser Medien beschreiben die Affäre längst als französisches "Watergate". Die Geschichte um Geld, Lügen und Computertricks reicht mehr als eineinhalb Jahrzehnte zurück. 1991 verkauft Frankreich sechs moderne Fregatten an den Inselstaat Taiwan - trotz heftiger Proteste des kommunistischen Regimes in Peking. Um den Deal im Umfang von 2,5 Milliarden Dollar abzuwickeln, wurde offenbar reichlich geschmiert - Kommissionen und Handgelder in Millionenhöhe seien damals über undurchsichtige Umwege verschoben worden und angeblich am Ende auf Konten der Luxemburger Bank "Clearstream" gelandet - einem Finanzinstitut, das eigentlich als monetärerer Verschiebebahnhof für internationale Kreditanstalten dient.
Sicher ist: Die Gerüchte um bestechliche Beamte, illegale "kick-backs" und Schwarzgelder machen in Finanzkreisen bald die Runde und kommen nicht mehr zur Ruhe. Es dauert freilich noch bis zum Frühjahr 2001 ehe sich die französische Justiz endgültig der Korruptionsvorwürfe annimmt. Richtig ins Rollen kommt die Affäre aber erst im Juni 2004 - durch neue, brisante Mitteilungen eines anonymen Informanten.
Damals erhält einer der mit dem Fall "Clearstream" betrauten Pariser Ermittlungsrichter eine Liste mit Konten der Luxemburger Bank zugespielt. Auf einer CD-Rom sind mehr als 16.000 angebliche "Clearstream"-Konten aufgeführt und jetzt werden auf den Listen auch die Empfänger der Bestechungsgelder namentlich benannt, die über Jahre satte Summen aus schwarzen Kassen erhalten haben sollen: Ein Gotha aus Politik und Wirtschaft, Firmenchefs, Parteiführer von Opposition und Regierungslager; darunter als einer der wichtigsten Prominenten Nicolas Sarkozy.
An dieser Stelle wird der unappetittliche Bestechungsskandal zur aktuellen Staatsaffäre. Denn die Angaben auf den Konto-Tabellen waren durchweg manipuliert. Mittlerweile sind die Bestechlichkeitsklagen gegen die Promis allesamt niedergeschlagen.
"Frankreich macht sich zum Gespött"
Bleibt jetzt die zentrale Frage: Wer setzte den Namen des amtierenden Innenministers Sarkozy auf die Liste und übermittelte sie der Justiz? Wer hatte Interesse daran die Karriere des ehrgeizigen Polit-Stars zu torpedieren? Wer wusste von den Korruptionsvorwürfen und seit wann?
Das Verdikt der Medien seit dem Wochenende ist eindeutig: Dahinter steckt der Premier. "Wenn sich herausstellt, dass Dominique de Villepin Nachforschungen über Sarkozy anstellen ließ, muss er zurücktreten", fordert etwa die Zeitung "Sud-Ouest". "Villepin sollte aufgeben, sonst macht sich Frankreich als Bananenrepublik zum Gespött."
Denn auch wenn noch immer unklar ist, wer der geheimnisvolle Informant sein könnte, haben die Nachforschungen bei dem Ex-Geheimdienstgeneral Rondot wirkliche Sensationen zu Tage gefördert: Fast sechs Monate bevor die manipulierte Namensliste bei der Pariser Justiz eintraf, war de Villepin bereits über die Anschuldigungen im Bilde - dank der Hilfe eines alten Bekannten, Jean-Louis Gergorin, heute Vizechef des Luftfahrtkonzerns Eads.
Der habe ihm schon am 5. November 2003, so die Einlassung von Rondot, die die "Monde" zum Wochenende veröffentlichte, eine derartige Computerliste übergeben - mit dem Hinweis es handele sich bei den Angaben um Kontoverbindungen der "Clearstream"-Bank. Zehn Tage später erhält Rondot, seinerzeit als Berater für Spionageoperation beim Verteidigungsministerium tätig, von Ministerin Alliot-Marie den Auftrag, diese Namensliste genau durchzukämmen - mit Ausnahme der hier aufgeführten Politiker.
Am 9. Januar 2004 schaltet sich dann auch verblüffend Dominique de Villepin in den Fall ein. Der damalige Außenminister zitiert Rondot in sein Büro am Quai d'Orsay. Dort sieht sich der Geheimdienstmann nicht nur de Villepin gegenüber, sondern überraschenderweise einmal mehr auch Gergorin. Der Eads-Mann holt aus seiner Jackentasche noch einmal die inkriminierte Computerliste hervor; dann fordert de Villepin den Ex-General ausdrücklich auf zu überprüfen, ob die aufgeführten Politiker tatsächlich Konten bei "Clearstream" unterhielten. Und nebenbei erwähnt de Villepin auch noch, er handle auf Anweisung von Staatschef Chirac.
Dementis von allen Seiten
Der heute amtierende Ministerpräsident bestreitet diese Darstellung mit fein abgewogenen Dementis - genauso wie sein Präsident. Den Namen Sarkozy habe er nie in den Mund genommen, verteidigt sich de Villepin. Natürlich habe er die "Nachprüfungsmission" von Ex-General Rondot angeordnet, doch "zu keinem Moment habe die Frage bestanden, sich für irgendeine politische Persönlichkeit zu interessieren". Bei derart knappen Beteuerungen wird de Villepin es freilich nicht belassen können. Er bot mittlerweile an, bei der Justiz als Zeuge auszusagen. Und heute muß der Premier nicht nur vor den Abgeordneten der regierenden UMP-Partei Rede und Antwort stehen, sondern bei der Fragestunde im Parlament auch ins Feuer der Oppositionskritik geraten.
Präsident Chirac hält sich nach dem neuerlichen Fehltritt seines Ministerpräsidenten noch bedeckt - einzig Innenminister Sarkozy bekennt öffentlich seinen unerschütterlichen Glauben an die Arbeit der französischen Justiz und gibt sich Villepin gegenüber solidarisch: "Man arbeitet vertrauensvoll zusammen, das Geschäft der Justiz ist eine andere Sache." Der "bewaffnete Frieden" ("Le Monde") zwischen den beiden Rivalen dürfte nicht viel mehr als ein Zweckbündnis von kurzer Dauer sein.
De Villepin will die Krise einmal mehr mit Aussitzen bewältigen, für Sarkozy käme eine Kabinettsumbildung zum gegenwärtigen Zeitpunkt höchst ungelegen. Der will sich nicht als Ersatzpremier verschleißen, und aus der Regierung ausscheiden mag der Innenminister auch noch nicht - für den Wahlkampf ist es noch zu früh. "Wir müssen noch bis zum Juni durchhalten", erklärte ein Vertrauter Sarkozys die Strategie, "dann sind die Franzosen mit der Fußball-WM beschäftigt, es folgen die Ferien und nachher erst folgt der Auftakt zur Präsidentenkampagne."