Frankreichs Schuldenkrise Steinmeier prophezeit Eiszeit zwischen Merkel und Hollande

Frankreichs Sozialisten fordern in einem Papier für ihre Parteikonferenz eine klare Abgrenzung von Bundeskanzlerin Merkel. SPD-Fraktionschef Steinmeier warnt davor, dass sich das Verhältnis beider Länder dem Gefrierpunkt annähert.
Regierungschefs Merkel und Hollande: "Von historischer Verantwortung nichts verstanden"

Regierungschefs Merkel und Hollande: "Von historischer Verantwortung nichts verstanden"

Foto: Yoan Valat/ dpa

Hamburg - Ein unbeliebter französischer Staatschef und eine Bundeskanzlerin auf Sparkurs, das ergibt: Eiszeit zwischen Frankreich und Deutschland. Ungefähr diese Gleichung stellt SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier auf und warnt die Bundesregierung davor, Frankreichs Kurs in der Schuldenkrise zu verurteilen. "Das könnte das deutsch-französische Verhältnis und damit den wesentlichen Stützpfeiler Europas nachhaltig beschädigen", sagte er der Nachrichtenagentur Reuters.

"Es ist ein vordergründiges Schauspiel, dass sich die Bundesregierung in Abgrenzung von Frankreich nun in den Folgen von Reformen sonnt, für die sie selbst keinen Finger krumm gemacht hat", kritisierte Steinmeier mit Hinweis darauf, dass Deutschland heute noch von den Agenda-2010-Reformen der rot-grünen Bundesregierung profitiere.

Mit Blick auf die drohende Verschlechterung der Beziehungen sagte Steinmeier: "Eine Bundeskanzlerin, die das in Kauf nimmt, hätte von ihrer historischen Verantwortung nichts verstanden." Zugleich warb Steinmeier um Verständnis für die Lage des sozialistischen Präsidenten Hollande. Der französische Präsident stehe vor ähnlich schwerwiegenden Entscheidungen wie die rot-grüne Bundesregierung vor zehn Jahren in Deutschland, allerdings unter ungleich schwierigeren Bedingungen.

In einem 21-seitigen Papier für die Parteikonferenz im Juni fordern die französischen Sozialisten eine klare Abgrenzung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die einseitig auf deutsche Interessen setze. Das Land solle sich dem Sparkurs stärker widersetzen. "Die Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland ist keine Freundschaft zwischen Frankreich und der Europapolitik von Kanzlerin Merkel", heißt es darin.

Auch ist von einer "unheiligen Allianz" zwischen dem Thatcherismus des britischen Premierministers David Cameron und der "selbstbezogenen Unnachgiebigkeit" Merkels die Rede. Die Autoren fordern, dass Frankreich gegen die europäische Sparpolitik klar Stellung bezieht. Die Bundesregierung verfolge ausschließlich die Interessen der deutschen Sparer, ihre eigene politische Zukunft und pflege den deutschen Handelsbilanzüberschuss.

"Politik muss unpopuläre Entscheidungen in die Hand nehmen"

Neben seiner Kritik an Merkel mahnte Steinmeier aber auch Reformen in Frankreich an: Mit Blick auf die Strukturreformen der Agenda 2010 der früheren rot-grünen Bundesregierung sagte er: "Am Ende mussten wir die Erfahrung machen, dass doch die Politik die Entscheidungen, gerade die unpopulären, in die Hand nehmen muss. Und deswegen wird es auch in Frankreich auf François Hollande ankommen", sagte er.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat die Sparpolitik in einzelnen EU-Ländern als "viel zu weitgehend" kritisiert. "Das Argument, dass mit der Reduzierung der öffentlichen Haushalte das Vertrauen der Investoren zurückkommt, ist falsch", sagte der SPD-Politiker der belgischen Zeitung "L'Echo". Keine nationale Wirtschaft erhole sich ohne eine neue Wirtschaftspolitik mit "strategischen Investitionen".

Schulz sagte, für das übermäßige Sparen sei nicht allein Bundeskanzlerin Merkel verantwortlich. Deutschland habe nur eine Stimme, und im Europäischen Rat säßen noch "26 andere Chefs mit am Tisch". Vor allem in den südeuropäischen Euro-Krisenstaaten wird Merkel für die drastischen Sparmaßnahmen verantwortlich gemacht.

Die Spannungen zwischen den regierenden Sozialisten in Frankreich und Union und FDP in Deutschland schwelen vor allem auf Ebene der Parlamentarier. Etliche CDU-Politiker hatten in dieser Woche Frankreichs Regierung aufgefordert, endlich mit Reformen und dem Sparen zu beginnen, nachdem die Regierung in Paris ein höheres Haushaltsdefizit als geplant verkündet hatte.

Bundeskanzlerin Merkel und Hollande haben bisher einen offenen Streit trotz deutlicher Meinungsverschiedenheiten in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik bewusst vermieden. Hollande spricht von einer Beziehung der "freundschaftlichen Spannungen". Allerdings gerät er innenpolitisch wegen der steigenden Arbeitslosenzahlen in Frankreich und der wesentlich besseren wirtschaftlichen Situation in Deutschland immer mehr unter Druck.

So hatte der sozialistische Präsident der Nationalversammlung, Claude Bartolone, zuletzt davon gesprochen, dass womöglich eine Konfrontation nötig sei: "Frankreich muss in der Lage sein, gegen den Standpunkt der europäischen Rechten zu kämpfen."

jjc/Reuters/AFP
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