Fremdenhass No-Go-Areas in russischen Städten
Woronesch - Mit Metallknüppeln und Messern fielen sie über ihn her. Wenig später war Enrique Arturo Angeles Hurtado tot. Totgeprügelt. Seine gebräunte Haut und die fremden Gesichtszüge kosteten den Peruaner an einem Sonntagnachmittag im Herbst 2005 das Leben. Zwischen Eichen und Birken, am Rand der zentralrussischen Provinzstadt Woronesch, griff eine Horde russischer Jugendlicher den Studenten beim Spazieren an. Der Peruaner hatte keine Chance.
Ein Jahr vor dieser Tat hatten Rassisten einen 24 Jahre alten Medizinstudenten aus dem westafrikanischen Guinea-Bissau in der Innenstadt erstochen. Journalisten erklärten das fast 900.000 Einwohner zählende Woronesch vor zwei Jahren zur Hauptstadt des russischen Fremdenhasses. Auf die Morde folgten Versuche, die Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen.
Doch noch reichen die Bemühungen nicht aus. Rassismus ist weiterhin ein großes Problem nicht nur in Woronesch.
Das Moskauer Sowa-Zentrum, das Nationalismus und Rassismus untersucht, legte im August erschreckende Zahlen vor. Landesweit zählte Sowa mindestens 310 Opfer rassistischer Attacken und 37 Todesopfer in den ersten sieben Monaten dieses Jahres. Damit habe sich die Opferzahl im Vorjahresvergleich um 22 Prozent erhöht. Moskau führt die Statistik an, es folgen St. Petersburg und Nischni Nowgorod.
In Woronesch gebe es pro Jahr "50 bis 60 Angriffe" auf Ausländer, schätzt der Anti-Rassismus-Aktivist Alexej Koslow, der die Entwicklung seit zehn Jahren beobachtet. Die Darstellung als Hauptstadt des russischen Rassismus lehnt er hingegen ab: Das Problem sei in vielen großen Städten identisch.
An den Hochschulen der Großstadt, knapp 500 Kilometer südlich von Moskau, sind knapp 1600 Ausländer eingeschrieben. Gefährlich leben vor allem jene, denen ihre fremde Herkunft anzusehen ist: Afrikaner, Asiaten, Araber, Südamerikaner. Doch auch Hochschülern aus Deutschland raten die Universitäten zur Vorsicht, erzählt der angehende Mediziner Erwin Grußie aus Berlin: "Mir wurde empfohlen, nur in Gruppen unterwegs zu sein."
Abgeschottetes Leben wie auf einer Insel
Viele ausländische Studenten leben deshalb wie auf einer Insel: Sie bewegen sich zwischen Hörsälen, Campus und ihrem Zimmer im Studentenwohnheim. Zu dritt wohnen sie dort auf wenigen Quadratmetern Sowjet-Charme: Wuchtige, braune Cordsofas thronen auf dem ockerfarbenen Teppich mit Blumenmuster, hinter der Eingangstür brummt ein alter Kühlschrank.
Manche Orte im Zentrum hingegen meiden viele lieber besonders nachts. Sie gehen nicht ans Ufer des gestauten Flusses Woronesch, wo russische Jugendliche in ihren Ladas Bier trinken. Auch am zentralen Leninplatz sind keine Fremden zu sehen. Es gibt Clubs, Diskotheken oder das Kinotheater Spartak, in die Ausländer nicht gehen, weil es dort für sie zu gefährlich ist. In andere lassen sie die Türsteher erst gar nicht hinein. "Die Stadt ist schön", sagt Edgard Zeote aus der Zentralafrikanischen Republik, "aber die Atmosphäre ist unangenehm." Obwohl der 28-Jährige seit sieben Jahren hier lebt und einige Russen zu seinen Freunden zählt, fühlt er sich nicht integriert.
Cisse Mohamed aus Guinea sagt, für ihn und seine Studienkollegen bestehe "immer Gefahr". Die Studenten berichten von Schlägereien und Menschen, die ihnen auf der Straße "Affe" hinterher rufen. Jeffry Makumbe aus Simbabwe saß im Sommer mit seiner russischen Freundin zusammen, nicht weit von seinem Wohnheim entfernt, als sechs junge Russen dem 30-Jährigen plötzlich eine Flasche über den Hinterkopf schlugen und riefen: "Verschwinde! Das ist ein Land für Weiße!"
Was die Behörden tun, um den Rassismus einzudämmen
Nach dem Mord an Hurtado spielten die Behörden ein fremdenfeindliches Motiv zunächst herunter, um dem Image der Stadt nicht zu schaden. Auch heute noch werden rassistische Taten oft als Rowdytum verharmlost. Erst nach vehementem Protest der ausländischen Studierenden setzte die Verwaltung einen Rat zu ihrem Schutz ein. Es gab Konzerte sowie Fußballpartien für Toleranz und Vorlesungen darüber. Hochschulen und Polizei erarbeiteten eine Broschüre mit Sicherheitshinweisen. Heute wohnen sogar Milizionäre in den Studentenwohnheimen.
Insgesamt, so sagen die Bewohner, sei Woronesch für das Problem stärker sensibilisiert, Medien würden mittlerweile häufiger über rassistische Zwischenfälle berichten. Im Kampf gegen die Fremdenfeindlichkeit sei die Stadt schon "sehr viel weiter gekommen", findet auch Menschenrechtler Koslow. Die Gewalt habe in den vergangenen zwei Jahren abgenommen, rechtsextreme Gruppen seien allerdings noch immer sehr stark. Sofia Granowskaja, die Sprecherin der örtlichen Miliz, lobt die gute Zusammenarbeit mit Universitäten und Studenten. Sie merkt an: In den vergangenen Monaten habe es keine Vorfälle mit fremdenfeindlichem Hintergrund gegeben. Der Guineaner Mohamed klagt dagegen, die Stadtverwaltung benehme sich weiter schlecht gegenüber Ausländern und interessiere sich erst nach Prügeleien und Morden für sie.
Tief in der Mentalität verwurzelter Rassismus
Als "ineffektiv" kritisiert auch Anastassija Nikitina die Arbeit der Polizei. Zudem gebe es in der Bevölkerung eine Resignation, sagt die 24-jährige Programmdirektorin der Menschenrechtsorganisation Youth Human Rights Movement (YHRM). "Die Leute haben die Schnauze voll", sagt Nikitina, "sie sind desinteressiert." Seit Ende 2005 seien Universitäten, Behörden und Einwohner "müde, weil sich nichts verändert hat". Die fehlende Unterstützung in der Bevölkerung sei das größte Problem, erklärt Andrej Jurow, mit 39 Jahren YHRM-Ehrenpräsident: Rassismus sei tief in der Mentalität vieler Menschen verwurzelt, Gewaltverbrechen nur die Spitze des Eisberges.
Gewalttäter sind meist Jugendliche und junge Erwachsene. Oft leiden sie unter einer schlechten Ausbildung, Arbeitslosigkeit und Armut, nicht selten auch unter Alkoholproblemen. Ihnen fehle es an interkultureller Erfahrung, sagt Jurij Epifanzew, Direktor für internationale Kooperationen an der Staatlichen Universität. Getrieben von Perspektivlosigkeit und Sozialneid attackieren sie die Ausländer, analysiert YHRM-Ehrenpräsident Jurow: "Die Jugendlichen suchen nach einem Feind, dem sie die Schuld für ihre Probleme geben können."
Die Freiwilligenorganisation Passage Zebra will das Rassismusproblem mit internationalen Begegnungen bekämpfen: Mal wird Flamenco-Tanz unterrichtet, mal ein anderssprachiger Film gezeigt, mal ein Straßenfest mit unbekannter Musik organisiert. Vergangenen Sommer haben junge Erwachsene aus den USA, Frankreich, Spanien und Deutschland zwischen grauen Wohnburgen Sitzbänke zusammengeschraubt und bemalt: rot, gelb, grün, blau; mit Sternen und einer grinsenden Raupe. "Wir wollen so einen ersten Kontakt zwischen Ausländern und den Anwohnern herstellen", erklärt Direktorin Milana Fuhrmann. Viele hätten "noch nie eine fremde Sprache gehört". Nach und nach seien mehr Interessierte aus den Plattenbauten gekommen. Fuhrmann freut sich, dass Hochschulen und Stadtverwaltung ihre Aktionen zunehmend unterstützen allerdings erst nach den Morden der vergangenen Jahre. Zurücklehnen kann sich die 28-Jährige aber noch nicht: Es gebe "noch sehr sehr viel zu tun".
Mitarbeit: Christina Demenschina
Die Recherche wurde gefördert von der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft".