

Krieg in der Ukraine, Krieg im Gaza-Streifen, Krieg in Syrien und im Irak. Dazu die längst vergessenen Konflikte im Südsudan und in Zentralafrika. Weltweit sind so viele Menschen auf der Flucht wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr: Das Jahr 2014 ist kein friedliches. Dem muss das Friedensnobelpreiskomitee an diesem Freitag Rechnung tragen.
Der Sprecher des Gremiums, Thorbjørn Jagland, sollte in Oslo vor die versammelten Journalisten treten und einfach sagen: "Das Komitee hat sich entschieden, den Friedensnobelpreis 2014 nicht zu vergeben." Das wäre ein starkes und angemessenes Zeichen in einem Jahr, in dem Russland in Europa mit Gewalt Grenzen verschoben hat, in dem die IS-Dschihadisten ein religiöses Terrorregime errichtet haben und in dem Israels Armee und die Hamas sich gegenseitig beschossen haben, mit verheerenden Folgen vor allem in Gaza.
Nötig wäre ein Signal wie 1972, als das Osloer Komitee wegen des Vietnamkriegs den Friedensnobelpreis nicht vergab.
Natürlich sind auch in diesem Jahr wieder ehrenhafte Persönlichkeiten und Organisationen nominiert. Zum Beispiel Papst Franziskus oder Helmut Kohl oder Malala Yousafzai (Sehen Sie hier die aussichtsreichsten Kandidaten). Sie alle haben ihre unbestrittenen Verdienste. Aber in den aktuellen Krisenherden Syrien, Ukraine und bei der Bekämpfung der Ebola-Epidemie ist vor allem Versagen auf allen Seiten zu erkennen.
Der Nobelpreis darf kein Feigenblatt sein
Hinzu kommt: Das Nobelpreiskomitee unter Thorbjørn Jagland hat in den vergangenen Jahren keine glückliche Hand bewiesen.
2009 gewann Barack Obama. Er hat sich als Friedensnobelpreisträger entpuppt, der Terrorverdächtige im Jemen, in Afghanistan und Pakistan mit Drohnen töten lässt und den Tod von Zivilisten billigend in Kauf nimmt. Der das Gefangenenlager in Guantanamo trotz aller Versprechen nicht schließt. Und der im Irak und in Syrien, wo militärische Gewalt zum Schutz von Millionen Menschen längst nötig gewesen wäre, viel zu halbherzig handelt.
2012 zeichnete das Nobelpreiskomitee die Europäische Union aus. Seither hat die EU mit ihrer Flüchtlingspolitik hinlänglich bewiesen, dass sie den Friedensnobelpreis nicht verdient hat. Europa lässt zu, dass jedes Jahr Tausende Migranten im Mittelmeer ertrinken. Die meisten von denen, die es auf den Kontinent schaffen, fristen ein Dasein in unwürdigen Bedingungen.
Fast schon vergessen sind die Preisträger des vergangenen Jahres: die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW). Das Komitee würdigte das Bemühen der Inspektoren um die Zerstörung des syrischen Giftgasarsenals - eine gefährliche und verdienstvolle Arbeit. Doch das politische Signal, das von der Auszeichnung ausging, war verheerend.
Ganz abgesehen davon, dass die Zweifel wachsen, ob Baschar al-Assad tatsächlich sämtliche Chemiewaffen abgegeben hat: Das Morden in Syrien ist unvermindert weitergegangen. Der Nobelpreis an die OPCW erscheint im Nachhinein wie ein Feigenblatt, mit dem der Westen seine Untätigkeit angesichts des Blutvergießens verdecken wollte.
In diesem Jahr sollte das Nobelpreiskomitee auf dieses Feigenblatt verzichten.
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Am Freitag verkündet das Komitee in Oslo den Träger des Friedensnobelpreises 2014. Am 10. Dezember wird die Medaille verliehen. Doch wegen der Kriege in der Welt sollte der Preis in diesem Jahr nicht vergeben werden.
Bei den Buchmachern ist Papst Franziskus mit einigem Abstand Top-Favorit auf den Friedensnobelpreis 2014. Argentinische Parlamentsabgeordnete haben ihren Landsmann nominiert, wegen seiner Bemühungen um Frieden in Syrien und anderen Konfliktregionen. Zudem hat Franziskus seit Beginn seines Pontifikats im März 2013 Hoffnungen auf Reformen und eine Öffnung der katholischen Kirche geweckt. Er wäre der erste Papst, der einen Friedensnobelpreis erhält.
Denis Mukwege ist weitgehend unbekannt, aber das kann sich am Freitag schlagartig ändern. Der Arzt aus der Demokratischen Republik Kongo hat mehr als 30.000 Frauen behandelt, die Opfer von Vergewaltigungen wurden. Wegen seiner Arbeit ist er in dem Bürgerkriegsland selbst angegriffen worden. 2012 versuchten bewaffnete Männer, sein Haus zu überfallen. Ein Mitarbeiter lenkte die Attentäter ab und wurde selbst erschossen. 2013 erhielt Mukwege den Alternativen Nobelpreis.
Edward Snowden werden Außenseiterchancen eingeräumt. Zwar hat der NSA-Whistleblower die Ausspähaktionen der Geheimdienste enthüllt - genau deshalb wäre er aber eine sehr kontroverse Wahl. Schließlich würden die USA äußerst verärgert auf die Wahl eines Mannes reagieren, den sie vor Gericht stellen wollen.
Uruguays Präsident José Mujica ist einer der ungewöhnlichsten Staatschefs der Welt. Er lebt höchst bescheiden und hat in einer bahnbrechenden Entscheidung den Anbau und Konsum von Marihuana vollständig legalisiert. Und er nimmt kein Blatt vor den Mund: Als der Fußballweltverband Uruguays Nationalstürmer Luis Suárez wegen seiner Bissattacke sperrte, beschimpfte Mujica die Fifa-Funktionäre als "Hurensöhne".
Malala Yousafzai wurde schon im vergangenen Jahr hoch gehandelt. 2012 wurde das damals 14 Jahre alte Mädchen in seiner pakistanischen Heimat von den Taliban angeschossen. Die radikalen Islamisten griffen sie an, weil sich Malala für das Recht der Mädchen auf Bildung eingesetzt hatte. Seither wird sie von der Uno zur Vorkämpferin für Frauenrechte in der islamischen Welt aufgebaut.
Gene Sharp ist einer der wichtigsten Theoretiker des gewaltfreien Widerstands. Deshalb hat der emeritierte Harvard-Professor auch den Beinamen "Clausewitz der gewaltlosen Kriegsführung". Seine Arbeiten beeinflussten unter anderem Widerstandsgruppen in Serbien, Georgien und Ägypten.
Die "Nowaja Gaseta" ist eine der wenigen verbliebenen oppositionellen Zeitungen in Russland. Acht Journalisten aus Reihen der Redaktion wurden in den vergangenen Jahren bei Attentaten getötet oder schwer verletzt. Die Bekannteste unter ihnen: Anna Politkowskaja. Sie wurde 2006 vor ihrem Wohnhaus in Moskau erschossen, weil sie Verbrechen während des Tschetschenienkriegs aufgedeckt hatte.
Helmut Kohl gilt seit einem guten Jahrzehnt als Kandidat für den Friedensnobelpreis. Als Bundeskanzler setzte er vor fast 25 Jahren die deutsche Einheit durch.
Auch Catherine Ashton steht auf der Liste der Nominierten: Die ehemalige EU-Außenbeauftragte könnte für ihre Verdienste um den Frieden zwischen Serbien und dem Kosovo geehrt werden.
Als Uno-Generalsekretär macht Ban Ki Moon nicht immer eine glückliche Figur. Trotzdem wird er als Friedensnobelpreisträger gehandelt. Der Chef der Vereinten Nationen hat sich dafür eingesetzt, das politische Gewicht der ärmeren Staaten zu stärken.
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