S.P.O.N. - Im Zweifel links Friede, Freude, Eierkuchen
Stolz sein. Einfach so. Ungetrübt. Es gibt eine Sehnsucht danach. Einmal auf etwas stolz sein, das größer ist als man selbst. Dieses Bedürfnis ist vielen Menschen eingeschrieben. Ich bin stolz, Deutscher zu sein - dieser Satz ist immer noch eine Provokation. Auch wenn viele Leute sich Mühe geben, ihn alltäglich werden zu lassen. Ich bin stolz, Europäer zu sein - das klingt schon ganz anders. Den Deutschen dient der Stolz auf Europa als Prothese ihres amputierten Nationalgefühls. Aber auch damit hinkt es sich nur. Denn Europa ist eine Illusion - wenn auch eine kostbare. Dieser Nobelpreis kommt gerade rechtzeitig. Er kommt im Moment der Krise und stärkt die Moral der gebeutelten Europäer. Und er kommt im Moment des Niedergangs. Denn Europas heller Glanz ist verblasst. Europa steht für die Herrschaft des weißen Mannes. Und mit der ist es vorbei.
Die Leistung der Europäischen Union besteht in der Überwindung der europäischen Spaltung. Sie währte 1108 Jahre. So lange dauerte es von jenem Tag, als das Reich Karls des Großen im Vertrag von Verdun unter seinen Enkeln aufgeteilt wurde, bis zu jenem Tag, als die europäische Einigung mit der Montanunion einen neuen Anfang nahm. Es handelt sich da also um eine wahrhaft große Leistung - für die Betroffenen.
Die Entscheidung des Nobelpreiskomitees, der Europäischen Union den Friedensnobelpreis zu verleihen, hat den europäischen Stolz regelrecht zum Glühen gebracht. Alle sind sehr gerührt. In der Begründung heißt es: "Das Norwegische Nobelkomitee wünscht den Blick auf das zu lenken, was es als wichtigste Errungenschaft der EU sieht: den erfolgreichen Kampf für Frieden und Versöhnung und für Demokratie sowie die Menschenrechte."
Wir kommen mit den schlimmsten Schurkenstaaten klar
Von Europa aus betrachtet, trifft das zu. Für den Rest der Welt muss das wie eine Anmaßung klingen. Wie eine weitere westliche Anmaßung. In Afghanistan und im Irak werden nicht viele Menschen die Auffassung teilen, dass Europa ein Kontinent des Friedens ist. Und natürlich kommen wir mit den schlimmsten Schurkenstaaten der Erde bestens zurecht, solange es eben unsere Schurken sind. Es ist Teil der europäischen Illusion, von den Menschenrechten zu reden aber in Wahrheit das "Menschsein zu einer Frage der Kaufkraft" zu machen, wie Sloterdijk das formuliert hat.
Der amerikanische Philosoph Richard Rorty hat im Jahr 2001 gesagt: "Ich glaube nicht, dass der Westen von anderen Kulturen etwas zu lernen hat. Unser Ziel sollte es vielmehr sein, den Planeten zu verwestlichen." Selten ist das Programm des Westens so klar formuliert worden. Aber der Kontinent, vom dem die "Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte" ausgegangen ist, ist in Wahrheit nur ein Appendix Asiens, und wir wissen inzwischen, dass durchaus nicht die ganze Welt die parlamentarische Demokratie für das Ende der Geschichte hält. Im Gegenteil. Das Wort "Demokratie" wird in weiten Teilen der Welt als Umschreibung für militärische Intervention und gewaltsamen Regime-Umsturz verstanden.
Und sowieso hat sich das Kräftegleichgewicht verschoben. "Ich sage nur, China, China, China." Das ist der bleibende Satz des dritten Bundeskanzlers des westdeutschen Staates, Kurt Georg Kiesinger.
Der Rest der Welt braucht nicht unser Mitleid, sondern Respekt
Im besten Fall hat der Westen für den Rest der Welt Mitleid übrig. Und ist noch stolz darauf. Dabei braucht die Welt nicht das Mitleid des Westens, sondern seinen Respekt. Denn Mitleid ist etwas anderes als Nächstenliebe. In Wahrheit versteckt sich dahinter nichts als Egoismus. Auf die Idee ist schon der dänische Philosoph Sören Kierkegaard gekommen. Der eifrige Zeitungsleser, der die Zeitung verachtete, hielt Mitte des 19. Jahrhunderts eine Meldung fest: "Die sozialen Bestrebungen und die diese leitende schöne Sympathie verbreiten sich immer mehr. In Leipzig hat sich ein Komitee gebildet, welches aus Sympathie mit dem traurigen Ende alter Pferde beschlossen hat, diese zu fressen."
Das ist eine andere Variante der berüchtigten Ben-Tre-Ideologie, benannt nach einem Ort im Süden Vietnams, an dem ein US-Major jenen Satz sagte, der westliche Hybris und Irrsinn des Krieges zusammenfasst: "Wir mussten Ben Tre zerstören, um es zu retten."
Wir sollten uns selber ernster nehmen. Aber das würden wir gar nicht aushalten.