Friedensnobelpreis für Liu Nobelpreiskomitee ruft China zur Umkehr auf

Bewegende Szenen in Oslo - erstmals seit sieben Jahrzehnten konnte der Friedensnobelpreis nicht übergeben werden, weil China den Dissidenten Liu Xiaobo im Gefängnis hält. Komiteechef Jagland rief das Regime unter Beifall auf, sich zu öffnen: "China trägt unser aller Schicksal auf seinen Schultern."
Friedensnobelpreis für Liu: Nobelpreiskomitee ruft China zur Umkehr auf

Friedensnobelpreis für Liu: Nobelpreiskomitee ruft China zur Umkehr auf

Foto: JOHN MCCONNICO/ AP

Liu Xiaobo

Oslo - Auf der Bühne hängt ein Porträt des lächelnden . Der Preisträger selbst durfte nicht zu der feierlichen Zeremonie im Osloer Rathaus kommen - er sitzt viele tausend Kilometer entfernt in China in Haft. Der Stuhl auf der Bühne für den Geehrten bleibt leer.

Carl von Ossietzky

Lech Walesa

Andrej Sacharow

Als Thorbjörn Jagland, Leiter des Nobelkomitees, in seiner Laudatio dem Preisträger gratuliert, brandet Applaus auf. Die Gäste im Festsaal erheben sich spontan. Jagland erinnert daran, dass in der Vergangenheit mehrmals die Preisträger daran gehindert wurden, nach Oslo zu reisen. So bei , , .

Jagland appelliert an die chinesische Regierung: "Liu muss freigelassen werden." Er habe nichts anderes getan, als die ihm in der chinesischen Verfassung zugestandenen Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit wahrzunehmen. "Er hat nichts Falsches getan." Erneut erhebt sich das Publikum zu einem lang anhaltenden Applaus.

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Friedensnobelpreis-Zeremonie in Oslo: Der Stuhl des Preisträgers blieb leer

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"Wir können zu einem gewissen Grad behaupten, dass China mit seinen 1,3 Milliarden Menschen das Schicksal der Menschheit auf seinen Schultern trägt", sagt Jagland noch. Wenn es das Land schaffe, sich in eine soziale Marktwirtschaft "mit allen Bürgerrechten zu entwickeln, wird das einen massiven positiven Einfluss auf die Welt haben. Wenn nicht, gibt es die Gefahr sozialer und ökonomischer Krisen in dem Land, mit negativen Folgen für uns alle".

Lesung aus einem Text Lius

Unter dem Applaus der Gäste legte Jagland nach seiner Laudatio die goldene Medaille mit dem Konterfei Alfred Nobels und die Urkunde für Liu auf den leeren Stuhl. Wo sonst üblicherweise die Rede des Geehrten folgt, las die norwegische Schauspielerin Liv Ullmann aus einem Text von Liu vor. "Ich habe keine Feinde und keinen Hass. Keiner der Polizisten, die mich beobachtet, verhaftet und verhört haben, keiner der Staatsanwälte, die mich angeklagt haben, und keiner der Richter, die mich verurteilt haben, sind meine Feinde", heißt es darin. Und weiter schrieb Liu: "Es gibt keine Macht, die das Streben der Menschen nach Freiheit stoppen kann, und China wird letztendlich eine Nation werden, wo das Recht herrscht, wo Menschenrechte an höchster Stelle herrschen."

Auf Wunsch des Preisträgers sang während der Feier ein Kinderchor. Liu hatte dies über seine Frau ausrichten lassen.

Der Nobelpreisträger verbüßt zurzeit eine elfjährige Haftstrafe und darf nicht ausreisen. Die chinesischen Behörden haben seine Anhänger und auch seine Ehefrau Liu Xia unter Hausarrest gestellt, damit niemand den Preis für ihn entgegennehmen kann. Die chinesische Polizei hat seit Donnerstag das Haus des Ehepaars in Peking umstellt. Die Beamten kontrollierten die Ausweise von allen, die die Wohnanlage betreten wollten.

Friedensnobelpreis

Der Sekretär des Nobelkomitees, Geir Lundestad, sagte, der leere Stuhl symbolisiere, wofür Liu den Preis erhalte. Es ist das erste Mal seit 1935, als Nazi-Deutschland Carl von Ossietzky eine Reise zur Entgegennahme des Preises verweigerte, dass der nicht übergeben werden kann. In späteren Fällen, bei denen die Preisträger selbst nicht anreisen durften, konnten sie zumindest Vertraute als Stellvertreter schicken.

China hat außerdem Druck auf ausländische Diplomaten gemacht, nicht an der Zeremonie für den "Kriminellen" Liu in Oslo teilzunehmen. Mindestens 15 Staaten würden fehlen, gab das norwegische Nobelinstitut unmittelbar vor der Feier im Osloer Rathaus bekannt. Zunächst hatten 19 ihre Teilnahme abgesagt.

Obama fordert Lius Freilassung

Der Friedensnobelpreisträger des vergangenen Jahres, US-Präsident Barack Obama, bedauerte, dass Liu seine Auszeichnung nicht persönlich entgegennehmen konnte. Amerika respektiere die Traditionen anderer Länder und Chinas Entwicklung der vergangenen Jahre, sagte Obama. "Aber Liu erinnert uns daran, dass Menschenwürde auch mit demokratischem Fortschritt, einer offenen Gesellschaft und rechtsstaatlichen Grundsätzen zusammenhängt." Liu trete für universelle Werte ein und sein Kampf sei friedlich, sagte Obama. "Er sollte so bald wie möglich freigelassen werden."

Am Vorabend der Verleihung des Friedensnobelpreises kam es in Oslo zu Protesten gegen das chinesische Regime. Etwa 100 Demonstranten zogen in Richtung der Botschaft des Landes und forderten die Freilassung des Regierungskritikers. Sie wollten in der Botschaft eine Petition mit mehr als 100.000 Überschriften für Liu überreichen - wurden von der Polizei aber abgedrängt.

ler/dapd/dpa
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