Friedensnobelpreis für Obama Falscher Preis zur falschen Zeit

Selten hat ein Staatsmann so klug über Krieg und Frieden gesprochen wie Barack Obama in Oslo. Die Verleihung des Friedensnobelpreises an den US-Präsidenten könnte sich dennoch als Fehler erweisen. Verdient haben die Auszeichnung in Wahrheit andere - vorneweg ein deutscher Kanzler.
Von Gabor Steingart
Friedensnobelpreis für Obama: Falscher Preis zur falschen Zeit

Friedensnobelpreis für Obama: Falscher Preis zur falschen Zeit

Foto: KEVIN LAMARQUE/ REUTERS

Barack Obama

Die Sängerin Joan Baez hatte zwei große Tage in jüngster Zeit. Einer war der Tag, an dem zum Präsidenten gewählt wurde.

Sie war zufällig in einem Hotel Washington und saß im Bademantel mit Zebraaufdruck vor dem Fernseher. Ich weiß es deswegen so genau, weil sie es nach Bekanntgabe des Wahlsiegers nicht mehr in ihrem Zimmer aushielt und plötzlich vorm Weißen Haus auftauchte. Dort begann das Zebra alle zu umarmen, die nicht schnell genug ausweichen konnten.

Oh, deep in my heart, we shall overcome, we shall overcome, some day.
Joan Baez, "We Shall Overcome", Protestlied der US-Bürgerrechtsbewegung

Friedensnobelpreis

An diesem Donnerstag war ihr zweiter großer Tag. Denn ihr Präsident bekam in Oslo den ausgehändigt. Er sprach streckenweise so, wie sie singt.

Es sei die Aufgabe aller freien Menschen, den Unfreien und Bedrückten zu versichern: "Hope and history are on your side", Hoffnung und Geschichte sind auf eurer Seite, sagte er. Auch wenn die Menschheit mit sich selbst oft im Streit liege, es gebe da "the law of love", das Gesetz der Liebe.

Dann allerdings ging er weit über Joan Baez hinaus. Er sprach von den Bürgerrechten, ohne die ein Frieden kein richtiger Friede sei. "Just peace" sei nicht genug. Um den wahren, den richtigen Frieden zu erreichen, sei zuweilen auch Gewaltanwendung nötig. Er vergaß nicht zu erwähnen, das er als oberster Feldherr der USA gerade Zehntausende von Soldaten in eine neue Phase des Krieges führe. "Einige werden töten, einige werden getötet", stellte Obama in seiner Rede nüchtern fest.

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Friedensnobelpreis: Obamas großer Tag in Oslo

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Wenn der Friedensnobelpreis für außergewöhnliche Reden verliehen würde, Barack Obama hätte ein Dutzend davon verdient. Auch seine Ansprache in Oslo war über jeden Zweifel erhaben. So feinfühlig und klug hat schon lange kein Staatsmann mehr über Krieg und Frieden gesprochen.

Der Nobelpreis ist keine Auszeichnung fürs Redenhalten

Doch der Nobelpreis war bisher kein Preis fürs Redenhalten, auch keine Auszeichnung fürs Ankündigen. Nicht das Wort, auch nicht das geistreiche, das geschliffene Wort, sondern die Tat wurde bisher geehrt.

US-Präsident Woodrow Wilson bekam den Preis, weil er die Gründung des Völkerbunds anregte, den Vorläufer der Vereinten Nationen. Martin Luther King wurde geehrt, weil er für die Rechte der Schwarzen kämpfte, so wie Gewerkschaftsführer Lech Walesa für jene der unterdrückten Arbeiter im Kommunismus. Nobelpreisträger Henry Kissinger beendete als US-Außenminister den Vietnam-Krieg (den er zuvor geführt hatte), der deutsche Kanzler Willy Brandt entspannte das Verhältnis zu den Russen. Seine wichtigsten Verträge - der Moskauer Vertrag, der Warschauer Vertrag, das Transitabkommen - waren unter Dach und Fach, als er nach Oslo reiste.

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Obamas erstes Jahr: Klima, Krieg und Krisen

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Obama passt nicht in diese Reihe, aus zwei Gründen. Erstens hat er bisher keine handfesten außenpolitischen Erfolge vorzuweisen. Wie soll er auch? Er sitzt noch kein Jahr im Sattel. "Ich beginne ja gerade erst meine Arbeit auf der Weltbühne", hat er selbst dazu heute gesagt.

Der zweite Grund wiegt schwerer: Zum ersten Mal wird ein Mann ausgezeichnet, der den Frieden zwar will, aber den Krieg vorbereitet.

15.000 zusätzliche Soldaten der US-Armee erhalten in diesen Tagen ihren Marschbefehl, 15.000 weitere und voraussichtlich 7000 Europäer werden bald folgen. Falls das Nobelpreiskomitee geglaubt hatte, mit seiner Preisvergabe werde es die USA zum Rückzug aus Afghanistan ermuntern, ist diese Rechnung nicht aufgegangen. Die USA werden nicht aus Oslo regiert.

Andere hätten den Preis eher verdient

Kampfstärke in Afghanistan

Nun also wird die gegenüber der Zeit von Obamas Vorgänger George W. Bush verdreifacht. Mit den weit mehr als hunderttausend Soldaten aus den USA und den verbündeten Staaten wird dann sogar jene magische Zahl überschritten, bei der die Sowjets seinerzeit aufgaben.

Die neue Strategie muss nicht falsch sein, aber friedlich ist sie auch nicht. Ob sie am Ende Frieden bringt oder nur mehr Leid, mehr Tote, womöglich eine weitere Zerrüttung in den US-islamischen Beziehungen wird sich zeigen. Aber der Nobelpreis, und nur darauf kommt es hier an, ist eben kein Wettpokal.

Gerhard Schröder

Wladimir Putin

Jacques Chirac

Irak-Krieg

Andere hätten den Preis eher verdient, vorneweg das ungleiche Trio , und . Der sozialdemokratische Kanzler, der konservative französische Staatspräsident und Russlands neuer Zar Putin bildeten im Jahr 2003 eine vielfach belächelte Ein-Punkt-Koalition. Sie waren gegen den . Sie lehnten ihn ab aus Mangel an Beweisen. Kein Krieg ohne Kriegsgrund, das war ihre Prämisse.

Putin widersprach Bush und dem US-Geheimdienst CIA, der die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak für erwiesen hielt. Putins Geheimdienste hatten andere, heute muss man sagen: bessere Erkenntnisse. Er wisse, wer mit den Terroristen zusammen kämpfe und wer ihre Aktivitäten finanziere - und "Irak ist nicht auf der Liste", sagte er in jenen dramatischen Wochen.

Bush schwieg, Vize Dick Cheney tobte, Tony Blair stand mit den beiden auf der falschen Barrikade.

Und er war nicht der einzige. Die Barrikade war gut besetzt. Briten, Italiener, Polen, Portugiesen, Ungarn, Dänen, Spanier, Tschechen und Slowaken distanzierten sich in einem öffentlichen Brief demonstrativ von Chirac, Putin und Schröder. Die CDU folgte ihnen.

Selbst Schröders engster politischer Partner, Außenminister und Vizekanzler Joschka Fischer, ließ den Chef im Stich. Er war mit dem aggressiven Ton des Kanzlers nicht einverstanden. Und so dachte er in diesen Tagen der transatlantischen Zerrüttung sogar an "Rücktritt", wie er damals im vertraulichen Gespräch berichtete. Natürlich blieb er dann doch auf dem Posten. Aber, sagte Fischer: "Allein der Gedanke hat gutgetan."

Schröder hielt seinen Kurs eisern durch

Gerhard Schröder hielt seinen Kurs eisern durch. Nie war er klarer (und international einsamer) als in diesen Vorkriegsmonaten. "Unter meiner Führung wird sich Deutschland an einer Intervention im Irak nicht beteiligen," sagte er.

Die Begründung liest sich sechs Jahre und 106.000 Kriegstote später prophetisch: "Ich kann nur davor warnen, ohne an die politischen Folgen zu denken und ohne eine politische Konzeption für den gesamten Nahen Osten zu haben, jetzt über Krieg im Irak zu diskutieren. Derjenige, der irgendwo reingeht, muss sehr genau wissen, was er dort will - und wie er wieder rauskommt."

Der Irak-Krieg belastet das Verhältnis des Westens zur islamischen Welt bis heute. Seine giftige Hinterlassenschaft strahlt auch nach Afghanistan und Pakistan hinein. Obamas Aufmarsch steht auch deshalb unter keinem günstigen Stern.

Die Anti-Kriegs-Politik des Trios Chirac, Putin, Schröder konnte sich damals nicht durchsetzen. Sie schien aussichtslos. Sie war hochriskant. Aber sie war, wie die Nachbeleuchtung zeigt, trotzdem richtig. Kriegspräsident Bush selbst musste noch den Rückzug aus Irak befehligen.

Der Nobelpreis war in seinen besseren Zeiten immer auch das: eine Medaille für Unbequeme.

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