Friedensprozess in Nahost Netanjahus Rumpfstaat-Offerte verärgert Palästinenser
Orte sagen manchmal mehr über eine Rede als deren Inhalt. US-Präsident Barack Obama hatte sich die Universitäten von Kairo und die islamische Al-Azhar-Universität ausgesucht, um seine historische Versöhnungsrede an die Araber und Muslime zu halten. Israels Premier Benjamin Netanjahu hat die religiöse Bar-Ilan-Universität bei Tel Aviv gewählt, eine bevorzugte Lehrstätte der Siedlerbewegung, wo die Studenten laut Homepage "die Kompatibilität der Tora mit der Wissenschaft" demonstrieren sollen.

Benjamin Netanjahu an der Bar-Ilan-Universität: "Rede seines Lebens"
Foto: A2800 epa Baz Ratner/ dpaNetanjahu ging nicht auf den Rabin-Platz in Tel Aviv, wo er in die Fußstapfen des wegen seines Friedenskurses von einem national-religiösen Eiferer ermordeten Vorvorgängers hätte treten können. Er folgte vielmehr einer Einladung des rechten "Begin-Sadat-Instituts für Strategische Studien" (BESA), dessen Direktor erst vor kurzem die Zwei-Staaten-Lösung für "irrelevant" erklärt hatte.
Man hatte irgendwie gehofft, Netanjahu habe aus seiner ersten Amtszeit vor zehn Jahren gelernt. "Er hat sich verändert", flüsterten seine Leute den Journalisten in den letzten Monaten immer wieder zu und die Tageszeitung "Jediot Acharonot" kündigte am Morgen "die Rede seines Lebens" an. Aber Netanjahu ist kein Frederik Willem de Klerk wie in Südafrika, der seine alten Glaubenssätze über Bord warf. Er ist nicht einmal ein Ariel Scharon, der 2005 immerhin alle Siedler aus dem Gaza-Streifen abzog.
Er passt sich selbst dann nicht an, wenn es eine Bedrohung gibt, die viel größer ist als alle palästinensischen Raketen und Terroranschläge zusammen genommen: Iran. Anstatt den moderaten arabischen Regierungen und den Palästinensern deutlich entgegenzukommen, um die Front gegen das Machtstreben von Mahmud Ahmadinedschad zu einen, nimmt er die Bestätigung des iranischen Präsidenten in seinem Amt zum Anlass, den Palästinensern Grenzen zu setzen.
Nahost-Konflikt
Im Grunde dreht sich der Konflikt um das
Dem Staat
1947
1948
1947-49
1956
1967
1973
1978
1982
1987-1993
1993-1995
2000-2005
2005
2006
Sicher, Netanjahu hat die Existenz eines "palästinensischen Volkes" anerkannt. Er hat gesagt, man müsse die Tatsache akzeptieren, dass neben den Juden noch ein anderes Volk legitime Rechte auf einen Teil des Landes habe. Er hat sogar das Wort Palästinenserstaat dreimal in den Mund genommen und damit seine berühmte Rede von 2003 revidiert, wonach "ein Ja zum jüdischen Staat ein Nein zu einem palästinensischen Staat bedeutet".
Netanjahu hat allerdings die Bedingungen für einen Palästinenserstaat so hoch gelegt, dass die Gegenseite sie kaum erfüllen kann. Keine Armee, keine Kontrolle über die Außengrenzen, keine Lufthoheit, keine Bündnisfreiheit - ein souveräner Staat sieht anders aus. Zumal Netanjahu auch ausschloss, den Palästinensern das 1967 eroberte Ost-Jerusalem zur Hauptstadt zu geben. So hieß es denn auch prompt aus dem Büro des moderaten palästinensischen Autonomiepräsidenten Mahmud Abbas, Netanjahu habe "die Basis für Verhandlungen zerstört".
Das ist wie vieles, was aus Ramallah nach Jerusalem herüberschallt, übertrieben. Richtig aber ist, dass man auch in Washington mit Netanjahus Einlassungen nicht zufrieden sein kann. Entsprechend allgemein fiel die Reaktion des Weißen Hauses aus. Dort begrüßte man Netanjahu und sprach ohne weitere Einzelheiten zu nennen von einem wichtigen Schritt.
Denn auf die zweite große Forderung Obamas neben der Anerkennung eines Palästinenserstaates, dem totalen Baustopp in den Siedlungen des Westjordanlandes, antwortete Netanjahu mit einem klaren Nein. Den "Bürgern" in den Siedlungen müsse "ein normales Leben wie überall auf der Welt" garantiert sein. Damit meint Netanjahu, bestehende Siedlungen würden weiter ausgebaut.
Netanjahu spekuliert darauf, dass die Amerikaner im Gegenzug für sein grundsätzliches Bekenntnis zu einem Palästinenserstaat die Forderung nach einem vollständigen Siedlungsbaustopp fallenlassen. Aber da dürfte er sich zum zweiten Mal irren, nachdem er bereits die Ankündigung Obamas einer "aggressiven" Friedenspolitik nicht ernst genommen hatte. Laut einer Umfrage von Zogby International ist jeder zweite Amerikaner für ein hartes Vorgehen des US-Präsidenten in der Siedlungsfrage, unter den Obama-Wählern sind es 71 Prozent. "Wenn Netanjahu leere Versprechungen macht, riskiert er, nicht nur den amerikanischen Präsidenten zu beleidigen, sondern auch einen großen Teil des amerikanischen Volkes", warnt der Politikberater Dan Fleshler, PR-Berater und Autor des jüngst erschienen Buches "Transforming America's Israel Lobby" über die Grenzen des jüdischen Einflusses in den USA.
Tatsächlich versuchten Netanjahus Strippenzieher in den vergangenen Wochen, die Unterstützung von US-Senatoren zumindest für den Ausbau bestehender Siedlungen zu gewinnen. Doch sogar die wichtigste Lobbyistengruppe, das American Israel- Public Affairs Comittee (AIPAC), sprach sich klar für die Gründung eines palästinensischen Staates aus. "AIPAC hat Angst vor einer Konfrontation mit einem extrem populären demokratischen Präsidenten", sagt der Politikberater Fleshler.
Aber mit seinem vorsichtigen Bekenntnis zu einem entmilitarisierten Palästinenserstaat hat Israels Premier immerhin eines bewiesen: Wenn die Amerikaner Druck ausüben, bewegt er sich. Nicht gleich, aber irgendwann doch. Nicht viel, aber ein Stück.
Netanjahu erinnerte in seiner Rede an Menachem Begin und Anwar al-Sadat, die 1978 das Camp-David-Abkommen schlossen, in dessen Folge Israel die Sinai-Halbinsel aufgab. Begins Sohn Benni ist heute Minister in Netanjahus Regierungskoalition und gehört zu den größten Hardlinern in der Likud-Partei. In der vergangenen Woche versammelte Begin einige Likud-Veteranen. In einer Rede sagte er "Wenn ein Palästinenserstaat die einzige Lösung ist, dann gibt es keine Lösung."
Vor zehn Jahren war Benni Begin schon einmal Minister unter Netanjahu. Damals trat er zurück, als Netanjahu einen Teil Hebrons an die Palästinenser zurückgab. Erst wenn Begin sich erneut zum Rücktritt gezwungen sieht, hat Obama im Nahen Osten etwas erreicht.