Regierungbildung in Griechenland Fünf Szenarien für Athen

Flaggenreparatur auf dem Parlament in Athen: Ein Land am Rande des Abgrunds
Foto: YANNIS BEHRAKIS/ REUTERSAthen/Hamburg - Griechenland paradox: Zwei Drittel aller Einwohner wollen, dass ihr Land in der Europäischen Union (EU) bleibt. Den strikten Sparkurs, den Athen und Brüssel beschlossen haben, lehnen sie aber ab. Zwei Drittel der Griechen haben deshalb am Sonntag links- und rechtsextremistische Parteien, harte Spargegner, gewählt.
Das hochverschuldete Land ist seitdem politisch gelähmt. Die konservative Nea Dimokratia und die sozialistische Pasok haben zu wenig Sitze, um zu regieren. Der Sozialist Evangelos Venizelos versucht das Unmögliche möglich zu machen. Er will eine pro-europäische Regierung bilden. Die Konservativen würden mitmachen, die kleine Partei Demokratische Linke (Dimar) aber nun doch nicht. Diese findet es zwar gut, wenn Griechenland Euro-Land bleibt, will sich aber stufenweise vom Sparprogramm lösen.
Wie also soll es weitergehen? Das politische Worst-Case-Szenario für Griechenland in fünf Punkten:
1. Was passiert, wenn es keine neue Regierung gibt?
Dann muss Griechenland neu wählen. Wahltermin wäre wohl der 10. oder 17. Juni. Sollte es bei der zweiten Abstimmung keine klare Mehrheit für eine Koalition geben, ginge der Sondierungsmarathon von neuem los. Als erstes verhandelt die Partei, die über die meisten Stimmen verfügt. In Umfragen erhält mittlerweile das Bündnis der Radikalen Linken (Syriza) die größte Zustimmung. Dessen Chef Alexis Tsipras wettert gegen das "barbarische Spardiktat". Die "Vereinbarungen der Unterwürfigkeit" mit den internationalen Kreditgebern EU, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) will er kippen.
Möglich wäre aber auch, dass nach der ersten Protestwahl die Wut abgeklungen ist und im Juni Nea Dimokratia und Pasok wieder gestärkt werden. Dann gäbe es klare Mehrheitsverhältnisse. Die Zeit, eine funktionsfähige Koalition zu bilden, ist begrenzt: Bis Ende Juni muss Athen ein neues Sparprogramm in Höhe von 11,5 Milliarden Euro auflegen, sonst bekommt das hochverschuldete Land kein frisches Geld mehr. Es wäre also eine Regierungsbildung in letzter Minute.
2. Kann Athen auch ohne funktionierende Regierung die nächsten Hilfsmilliarden bekommen?
Nein. Die Troika aus EU, EZB und IWF fordert von der neuen Regierung eine Garantieerklärung, die Sparverpflichtungen des Kreditvertrags zu erfüllen. Ohne diese werden die Kreditgeber die nächste Milliarden-Euro-Tranche im Juni nicht anweisen. Für Griechenland würde das den Bankrott bedeuten. Spätestens im Herbst könnte die Regierung Beamtengehälter, Renten und Rechnungen nicht mehr bezahlen. Der Euro-Kurs würde abstürzen, ebenso die Aktienkurse.
Sparen oder raus, drohen EU-Spitzenpolitiker wie Wolfgang Schäuble oder Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn den Griechen. Der linksradikale Parteichef Tsipras hält dies für einen Bluff. Die Europäer würden die Zahlungen nicht aussetzen, glaubt er. Zu groß sei deren Angst vor einem Zusammenbruch des Euro. Das sieht Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik anders: "Nicht Athen entscheidet, ob Griechenland aus dem Euro fliegt, sondern die Troika." Und die werde nicht von ihrem Sparkurs abweichen, sonst würden auch andere Krisenländer anfangen, Ausnahmen für sich zu reklamieren.
3. Was sind die Folgen eines Euro-Austritts?
Die Lage in Griechenland würde sich dramatisch zuspitzen: Athen müsste wieder die Drachme einführen. Die Griechen würden sofort spüren, wie wenig diese Währung noch wert ist: Löhne und Renten würden dramatisch sinken, Lebensmittel, Benzin und Strom teurer werden. Als Folge ist eine Abwertung der Drachme von bis zu 70 Prozent zu erwarten. Die Griechen verarmen, die Schlangen vor den Suppenküchen und Sozialeinrichtungen würden immer länger. Die Menschen könnten zudem versuchen, die Banken zu stürmen, um an ihr Geld zu kommen, das noch nicht im Ausland ist. Die angeschlagenen griechischen Geldinstitute stünden vor dem Zusammenbruch - sie müssten geschlossen, die Bankguthaben gesperrt und die Freiheit des Kapitalverkehrs aufgehoben werden.
Andererseits würde die deutliche Abwertung der Drachme griechische Produkte für das Ausland billiger machen. Der Austritt aus dem Euro könnte der griechischen Wirtschaft so verhältnismäßig rasch das zurückgeben, was ihr derzeit am meisten fehlt: internationale Wettbewerbsfähigkeit.
4. Gibt es Krawalle?
Ja. Panik und Frust der Menschen würden sich wohl teilweise in Gewalt entladen. Schon jetzt ist die Unzufriedenheit der Griechen groß. Die Arbeitslosigkeit ist mittlerweile auf 21,7 Prozent gestiegen - ein neues Rekordhoch. Jeder fünfte Grieche, unter den Jugendlichen sogar jeder zweite, hat kein geregeltes Einkommen mehr. Viele junge Menschen leben wieder bei den Eltern, müssen als Tagelöhner arbeiten. Im Oktober 2011 kam es bereits bei einer Großdemonstration im Zentrum Athens zu schweren Ausschreitungen: Der straff organisierte Ordnerdienst von Pame, dem Gewerkschaftsflügel der orthodoxen Kommunistischen Partei, lieferte sich mit Gruppen von Sturzhelm tragenden Anarchisten einen Kampf mit Schlagstöcken und Molotow-Cocktails. Die Polizei ließ die Gruppierungen in ihrem Privatkrieg gewähren.
Auch die rechtsextremistische Partei "Goldene Morgenröte" ist an sogenannten Bürgerwehren beteiligt, die den Schutz von vernachlässigten Vierteln im Athener Zentrum übernommen haben. Schon jetzt machen Gruppen von vermummten Schlägern hier Jagd auf Ausländer, Dutzende Fälle von Verletzten wurden in den vergangenen Monaten gemeldet. Sollte sich das politische Klima und die wirtschaftliche Situation weiter verschärfen, ist die Sorge groß, dass Rechtsextreme paramilitärische Formationen gründen könnten.
5. Kann es zu einem Militärputsch kommen?
"Wenn Griechenland aus dem Euro raus ist, kann alles passieren - bis hin zur Militärdiktatur", warnt Wissenschaftler Heribert Dieter von der SWP. Allerdings wirkt das griechische Militär, das in Griechenland zwischen 1967 und 1974 eine Diktatur errichtet hatte, derzeit schwach. Erst Anfang November 2011 wechselte der damalige sozialistische Verteidigungsminister in einem Überraschungscoup die gesamte Heeresspitze aus. Sie hatte gegen die radikale Kürzung der Rüstungsprogramme aufbegehrt. Allerdings wäre es durchaus denkbar, dass das Militär bei längeren Unruhen eingreifen - und damit wieder zum Machtfaktor würde.