Europäische Piraten "Der Hype hat uns ausgebrannt"
Die Euphorie der Piraten-Wahlerfolge in Deutschland, sie ist an diesem Wochenende auch in Prag spürbar, wo sich Piraten aus mehr als 20 Ländern zum großen Vernetzungs-Happening treffen. Kletternde Umfragewerte in Österreich, Neugründungen in Griechenland und Osteuropa, eine ausgelassene Stimmung und die Aufmerksamkeit der Medien - die internationale Freibeuter-Bewegung hofft auf Rückenwind. Aber ist die Hoffnung berechtigt? Wie schnell ein Hype vorbei sein kann, das haben die Ur-Piraten in Schweden erlebt, auch sind die Voraussetzungen für Kleinparteien regional unterschiedlich.
Wie ticken die Piraten in Europa , was eint sie, und welche Erfolgschancen haben sie? SPIEGEL ONLINE stellt fünf europäische Piraten vor.
Schweden - Comeback-Versuch aus der Versenkung

Schweden-Piratin Troberg: "Nach dem Hype ausgebrannt"
Foto: Piratenpartei SchwedenSie haben den Höhenflug, wie ihn die deutschen Piraten derzeit erleben, schon einmal durchlebt: Im Juni 2009 zog die schwedische Piratpartiet mit sieben Prozent ins Europaparlament ein. Doch bei der anschließenden Reichstagswahl floppte die Partei kolossal. Von 50.000 auf 8500 Mitglieder ist die Mitgliederzahl eingebrochen, bei den Umfragen laufen die Schweden-Piraten längst wieder unter ferner liefen. Frauenpower und eine Erweiterung des Programms sollen den Erfolg nun zurückbringen. Die 37-jährige Anna Troberg führt die Partei seit 2011. "Der Hype hat uns ausgebrannt", sagt die ehemalige Buchverlegerin, die von sich sagt, sie sei "alles andere als ein Technikfreak".
Beim Piraten-Treffen in Prag trägt sie Hosenanzug und Bob, und passt damit kaum ins Klischee des bärtigen Nerds. Troberg sieht die Chancen für ein Comeback realistisch: "Hier ins Schweden sind wir keine Überraschung mehr, hier müssen wir den Leuten klarmachen, dass wir auch langfristig eine Alternative sind." 2014 wolle man mit einem Programm antreten, das Familien-, Sozial- und Rentenpolitik in den Mittelpunkt rückt - ohne sich von den Gründungsthemen Informationsfreiheit und Datenschutz abzurücken. Trobergs Zwischenbilanz: "Wir sind in einem zweiten Findungsprozess."
Griechenland - Die enttäuschten Revoluzzer

Deutsch-Grieche Amanatides: Wahlerfolg der Bundes-Piraten kopieren
Foto: Tobias M. EckrichDie griechischen Piraten sind ganz frisch: Im Februar haben sie sich als Partei registrieren lassen, vor ein paar Tagen gingen die Gründer zur Bank, um ein offizielles Konto zu eröffnen. Viel zu verbuchen gibt es nicht, die Mitgliederzahl von 800 Piraten-Anhängern ist überschaubar. Trotzdem wollen sie bei den nächsten Parlamentswahlen antreten, die wahrscheinlich im Mai abgehalten werden. Das größte Problem: Geld. "Wir müssen die Wahlzettel selbst drucken", sagt Mitgründer Fotios Amanatides, das koste zwischen 10.000 und 20.000 Euro.
Der 42-jährige Deutsch-Grieche hilft beim Mitaufbau der hellenischen Piraten, organisiert das meiste vom Heimcomputer in Köln aus. Die Schuldenkrise habe die Griechen für das "verkorkste politische System" sensibilisiert, meint er. "Korruption ist ein Riesenproblem, die Frustration wächst, ebenso das Bedürfnis nach einer transparenten Politik." Bei der Frage "Drachme oder Euro" bleibt der Pirat vorsichtig: "Dazu gibt es noch keinen Beschluss", sagt er, "aber die erste Arbeitsgruppe, die wir gegründet haben, widmet sich der Finanzpolitik".
Luxemburg - Die Youngster-Piraten

Luxemburger Piraten Clement (l.), Weyer: "Politik kann auch Spaß machen"
Foto: Steffen OrtmannSitzt man ihnen gegenüber, erinnern sie an Lausbuben im Studentenalter: Jerry Weyer und Sven Clement, 27 und 23 Jahre alt, bilden seit 2009 die junge Doppelspitze der luxemburgischen Piraten. Die Mini-Partei hat gerade einmal 240 Mitglieder. Gegründet haben sie die Piratepartei Lëtzebuerg "aus Notwehr", sagen beide. Bei den Jusos war es "schwer reinzukommen", außerdem "sehen wir keine sozial-liberale Alternative zu den konservativen Parteien, die die Bedürfnisse der Jungen versteht. Und es macht Spaß. Wir sind eine Community, jeder kennt jeden."
Kürzlich beschlagnahmten Polizisten Clements Computer, Smartphones und sein iPad bei einer Hausdurchsuchung. Der Pirat hatte einen lokalen Datenklau gemeldet und war selbst in den Fokus der Ermittlungen geraten. Sorgen vor Konsequenzen hat er nicht, "aber ich war offline, das ist das Schlimmste!"
Tschechien - Charmante Underdogs

Tschechischer Pirat Bartos: "Ich arbeite zuviel, ich rauche zuviel"
Foto: Ivan BartosWo er auftaucht, herrscht Stimmung: Der Vorsitzende der tschechischen Piraten, Ivan Bartos, fährt schon einmal spontan zur Wahlparty der Berliner Piraten, um dort mit seiner Akkordeon-Combo aufzuspielen. Ansonsten findet man den Dreadlock-Träger auf Anti-Acta-Protesten oder sonstigen Demos, die der Piratenbewegung nahe stehen. Im echten Leben arbeitet der 32-Jährige für einen Telekommunikationskonzern. "Ich arbeite zu viel, ich rauche zu viel", sagt er in Prag müde. Von einem Erfolg wie in Deutschland können die Tschechen-Piraten derzeit nur träumen. 200 Mitglieder gibt es, bei Neuwahlen würden sie derzeit nicht mal ein Prozent bekommen.
"Viele junge Leute hier haben keinen Bock auf Politik", sagt Bartos, "das jetzige System ist abschreckend, Politiker haben einen unterirdischen Ruf." Ein erster Schritt, das Vertrauen wieder herzustellen, wäre laut Bartos die maximale Transparenz für alle staatlichen Ausgaben. "Die Geldflüsse müssen für jeden nachvollziehbar sein." Trotz chronischem Underdog-Status soll es weiter gehen. Bis zu den National- und Europawahlen 2014 wollen sie zumindest so weit sein, "dass wir eine Liste mit engagierten Piraten füllen können".
Österreich - Nachbar-Piraten im Aufwind
Dass die österreichischen Piraten schneller waren, darauf legt Vorstandsmitglied Patryk Kopaczynski größten Wert. Im Juli 2006 gründeten sie ihre eigene Partei, acht Wochen vor den Piraten in Deutschland. Dafür geben derzeit die Wahlergebnisse in Berlin und im Saarland Rückenwind, in Umfragen liegt die PPÖ bei gut sieben Prozent. Lange interessierte sich kaum einer für die Randpartei, mittlerweile haben die österreichischen Piraten etwa tausend Mitglieder - 2013 wollen sie den Einzug in den Nationalrat schaffen.
Kurioserweise haben sie die größte Konkurrenz allerdings in der eigenen Nische: Die Forderungen der jüngst gegründeten Online Partei Österreichs (OPÖ) nach "absoluter direkter Demokratie" klingen verdächtig ähnlich. Außerdem könnten bürokratische Hürden den Erfolg der Wiener Piraten hemmen: Beim Eintreiben von Unterstützer-Unterschriften haben es gerade kleine Parteien in Österreich schwer. Eine Straßen-Sammelaktion genügt nicht, jeder einzelne Anhänger muss sich zum Unterschreiben zum Gemeindeamt bewegen.