G-20-Gipfel Warum Schuldenkönig Obama bald sparen muss

Barack Obama (r), David Cameron (l.): Charmeoffensive des US-Präsidenten
Foto: Facundo Arrizabalaga/ dpaDer Präsident gibt sich alle Mühe. Barack Obama sitzt neben dem neuen britischen Premier David Cameron in einem Hotel in Toronto, er strahlt seinen Kollegen an, er möchte ihn mit Charme umgarnen. Man habe exzellente Gespräche über die Bedeutung von "Wirtschaftswachstum" für die globale Konjunktur geführt, lobt Obama - und gibt damit einen direkten Hinweis auf den Streit zwischen Europa und Amerika über die Zukunft der weltweiten Konjunkturpolitik.
Schließlich wollen die Europäer lieber sparen als wachsen, und gerade die Briten werden Europas Sparmeister: Camerons Regierung hat gerade angekündigt, das britische Haushaltsdefizit von derzeit zehn Prozent binnen fünf Jahren auf ein Prozent zusammenstreichen zu wollen. Die Budgets der Ministerien sollen um sage und schreibe 25 Prozent sinken.
Die Amerikaner hingegen wollen weiter viel Staatsgeld ausgeben, um den zarten globalen Aufschwung nicht vorschnell abzuwürgen. "Dieser Gipfel muss sich fundamental um Wachstum drehen", betont Obamas Finanzminister Timothy Geithner unermüdlich am Freitag.
Auch Obama tut alles, um Cameron doch noch auf seinen Kurs einzuschwören. Er lässt den Briten in seinem Helikopter "Marine One" von Huntsville - wo der G-8-Gipfel stattfand - zum G-20-Austragungsort Toronto mitfliegen. Denn dessen Flieger konnte wegen Nebels nicht abheben. Als Einstandsgeschenk hat der Präsident Cameron Bier aus seiner Heimat Chicago mitgebracht. Cameron strahlt zurück, auch er zaubert Bier für Obama hervor, britisches natürlich.
Mammutgipfel dreht sich nicht um Wachstum
Doch alle Nettigkeiten können die tiefe Kluft nicht überbrücken: An seinem Sparkurs will Cameron unbeirrt festhalten. Der Brite scherzt sogar, für den Helikopterflug könne er leider nichts zahlen. Die Zeiten seien halt hart in Großbritannien.
"Es wird wegen unserer unterschiedlichen Positionen verschiedene Antworten geben - aber wir zielen in dieselbe Richtung, langfristiges nachhaltiges Wachstum", resümiert Obama. Zu Beginn des Arbeitsabendessens der Staats- und Regierungschefs lobt er ausdrücklich die Sparbemühungen der Europäer. Es klingt fast ein wenig resigniert.
Der Amerikaner kann bei diesem Gipfel mit seinem Schuldenkurs nicht punkten. Das steht schon vor der G-20-Arbeitssitzung am Sonntag fest. Die Teilnehmerstaaten, so viel wird bekannt, wollen sich wohl darauf einigen, ihre Haushaltsdefizite bis zum Jahr 2013 zu halbieren. Zwar wird es keine Verpflichtung geben. Doch fest steht: Der Mammutgipfel wird nicht um Wachstum kreisen - sondern ums Sparen.
Es nützt nichts, dass Obamas Wirtschaftsberater auch in Kanada ihre Argumente wiederholen. "Ohne Wachstum jetzt werden die Defizite weiter wachsen und das Wachstum in der Zukunft behindern", so Geithners Mantra. Die Europäer bleiben skeptisch, weil sie vor Inflation bangen und weil die Euro-Krise die Furcht vor neuen Schulden verschärft hat. Sie fürchten, ihre alternden Bevölkerungen mit Schulden zu überlasten.
Doch oft übersehen wird ein weiterer wichtiger Punkt: Obamas Glaubwürdigkeit ist in Finanzfragen schwer angeschlagen. Denn auch die Amerikaner zweifeln längst an seinem Schuldenkurs. "Keynes ist tot in Washington", sagt Tim Adams, Ex-Spitzenbeamter im US-Finanzministerium. Die Angst vor dem Defizit beherrscht immer stärker die politischen Debatten in der US-Hauptstadt.
Zwar hat Obama von George W. Bush ein sattes Defizit geerbt. Doch unter seiner Herrschaft ist es weiter gestiegen, Für das laufende Fiskaljahr geht die Regierung in Washington von einem Minus von 1,56 Billionen Dollar aus, 150 Milliarden mehr als im Krisenjahr 2009. Das entspricht mehr als zehn Prozent der Wirtschaftsleistung. Zum Vergleich: Der gesamte deutsche Staatshaushalt 2010 sieht Ausgaben von 325 Milliarden Dollar vor.
Auch Demokraten fürchten Staatsschulden-GAU
Zwar hat der Demokrat versprochen, den Abbau einzuleiten. Aber seine Strategie verfolgt weiterhin das Wirtschaftswachstum. Dabei stützen sich seine Prognosen auf Vorhersagen, die viele Experten für illusorisch halten. Lange war dieser Ausgabekurs unumstritten. Er schien als einzige Lösung aus der Weltfinanzkrise, zumal so viele andere Regierungen mitzogen. Die internationale Koordination nach der Finanzkrise feiert die Obama-Regierung gerne als Erfolg. Außerdem glaubte Obama, nur so die Arbeitslosigkeit senken zu können.
Aber die Stimmung hat sich gedreht. Die erstarkte Tea-Party-Bewegung, ein loser Zusammenschluss rechter Protestgruppen, hat in den USA die Sorge vor dem Defizit auf die Tagesordnung gehievt. Politiker sollten kein Geld ausgeben, das sie nicht haben, lautet einer ihrer populärsten Slogans. Er zieht beim Wähler.
Damit beeinflussen die Protestler auch die Republikaner - von denen viele schon gegen Bushs Ausgabenpolitik meuterten. Doch selbst Obamas Parteifreunde, die Demokraten, fürchten längst den Staatsschulden-GAU. Unterstützung erhalten sie von Experten wie Generalstabschef Mike Mullen. Der Top-Militär sagte gerade, das Haushaltsdefizit sei die größte Bedrohung der nationalen Sicherheit - noch vor Terroristen oder Massenvernichtungswaffen.
All das zeigt Wirkung: Der US-Kongress hat diese Woche nicht einmal mehr die Haushaltsnothilfe für notleidende Bundesstaaten und Arbeitslose verlängert. Die Abgeordneten halten das Geld zusammen. Außerdem kündigte Peter Orszag, Obamas Haushaltschef, seinen Abschied an. Orszag sollte als Obamas Sparkommissar über das Budget wachen, er galt als enger Vertrauter des Präsidenten.
Doch zuletzt verstrickte sich der Sparfuchs immer häufiger in Debatten mit Obamas Wahlstrategen. Die wollen unbedingt Steuersenkungen durchsetzen, welche der Präsident Bürgern unter 250.000 Dollar versprochen hat. Rund 98 Prozent der Amerikaner würden davon profitieren. Aber Orszag hielt die nicht mehr für finanzierbar. Der Top-Beamte beharrt, er trete zurück, weil er ausgebrannt sei und bald heirate. Aber viele glauben, dass er aus Frust über Obamas Schuldenkurs geht.
Obama muss Jobs schaffen - koste es, was es wolle
Obama gerät auch in die Kritik, weil die US-Wachstumszahlen enttäuschen. Gerade wurden sie auf 2,7 Prozent fürs erste Quartal reduziert. Die Arbeitslosigkeit verharrt bei fast zehn Prozent, allen Konjunkturprogrammen zum Trotz. Was nützten also die vielen Staatsmilliarden, fragen sich immer mehr US-Bürger. Laut einer AP-Umfrage sind weniger als die Hälfte der Amerikaner zufrieden mit Obamas Wirtschaftspolitik.
Der Präsident steht vor einem Dilemma. Reduziert er das Defizit nicht, kann es ihn die Wiederwahl 2012 kosten. Er könnte Bill Clintons Beispiel folgen, der sich in seiner zweiten Amtszeit erfolgreich aufs Sparen konzentrierte. Das bescherte Clinton damals gute Umfragewerte, trotz aller Skandale. Andererseits kann Obama auch nicht mit dem Rasenmäher das Budget stutzen. Der linke Flügel der Demokraten würde rebellieren. Und er muss vor den Kongresswahlen im November dringend Jobs schaffen, koste es, was es wolle.
Außerdem glauben seine Berater - das machen sie in Hintergrundgesprächen deutlich - wirklich an die Notwendigkeit weiterer Staatsausgaben für den weltweiten Aufschwung.
Sie stehen damit nicht allein: Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman fordert noch radikalere Konjunkturprogramme. Laut dem Chef des Internationalen Währungsfonds, Dominique Strauss-Kahn, könnte ein zu schneller Tritt auf die Ausgabengrenze bis zu 60 Millionen Jobs kosten. Europas harter Sparkurs sei "völlig" falsch, schimpft Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner in Toronto.
Doch Obamas Überzeugungskraft hilft das wenig. Dessen Ermahnungen seien "ironisch", höhnt das "Wall Street Journal". Die skeptischen Europäer schließlich wissen: Auch Obama wird bald anfangen müssen zu sparen. Es geht nur um das Wann - nicht um das Ob.