
G-8-Gipfel in Nordirland: Großes Polizeiaufgebot, wenig Demonstranten
Belfast vor dem G-8-Gipfel "Die Imperialisten kommen, und keiner macht was"
Er kennt hier fast jeden. Das ist das Erste, was David Ravine auffällt, als sich die Demonstranten in Bewegung setzen. Er sieht fast niemanden von auswärts.
Ravine ist 63, Englischlehrer im Ruhestand, und trägt eine lila Strickmütze. Ein Demo-Veteran. Er läuft in der Innenstadt von Belfast im hinteren Drittel des Protestzugs gegen den G-8-Gipfel mit, dort, wo die Jungsozialisten mit Megafonen gegen "das System" anbrüllen. Ravine winkt Bekannten zu. "Hier trifft sich die linke Familie von Belfast", sagt er fröhlich.
1500 Menschen sind an diesem Nachmittag gekommen, um gegen das Treffen der Staats- und Regierungschefs in Lough Erne zu protestieren. Es ist ein kleiner Haufen Überzeugter, der durch die Stadt trottet. Umweltaktivisten sind dabei, Gewerkschafter, Feministinnen, Pazifisten, Antimilitaristen. Die meisten stammen wie David Ravine aus Belfast und Umgebung. Eine Zeltstadt wie bei früheren G-8-Gipfeln gibt es bislang nicht. Vielleicht liegt es am Regen. Gut möglich, dass das hier der traurigste Aufruhr der jüngeren Protestgeschichte ist.
Drohnen über dem Golfhotel
Den Demonstranten steht eine hochgerüstete Sicherheitsmaschine gegenüber. Mehr als 8000 Polizisten und Soldaten wurden in den vergangenen Tagen aus dem gesamten Königreich in Nordirland zusammengezogen, um Lough Erne zu bewachen, zwei Stunden westlich von Belfast. Vier Drohnen fliegen über dem Hotelkomplex, Wasserwerfer stehen bereit, Gefangenentransporter. Der Zaun um das Golfhotel, in dem sich Obama, Merkel, Putin und die anderen Staatschefs treffen, ist sechseinhalb Kilometer lang. 16 Richter sind in Dauerbereitschaft, für den kurzen Prozess. Die Sicherheitslogistik kostet umgerechnet 60 Millionen Euro. Was fehlt, sind Demonstranten.
Der Protestmarsch ist jetzt vor dem Rathaus angekommen. David Ravines Strickmütze verschwindet unter den Menschen, die den Nachmittag zum Shoppen nutzen. Drei Griechen, die am Tag zuvor wegen der Proteste angereist sind, streichen sich Wasser von den Jackenärmeln. Sie sagen, sie wollen lieber nicht über ihre Stimmung reden. Dafür spricht Jay Magowan, ein junger Kommunist mit einer roten Fahne und einem DDR-Aufnäher auf dem Rucksack, über die Vorteile eines sozialistischen Staates. Er ist 18 und arbeitet als Tankwart.
Der letzte G-8-Gipfel, den die britische Regierung als Gastgeber ausrichtete, fand 2005 in Gleneagles (Schottland) statt. Dort war das Wetter auch nicht angenehm. Trotzdem kamen 200.000 Menschen, um in Edinburgh gegen Armut, Krieg und Hunger auf die Straße zu gehen. "Vielleicht sind die Leute hier schlechter gebildet", überlegt Jay Magowan.
"Am Wetter liegt's nicht"
Die Polizei hat es bislang erfolgreich geschafft, die radikaleren G-8-Gegner unter Kontrolle zu halten. Am vergangenen Mittwoch brachen Beamte ein Gebäude in der Londoner Innenstadt auf, das linke Aktivisten besetzt hatten. Einige der Aktivisten flohen aufs Dach, 57 wurden kurzzeitig festgenommen. Am Freitag versammelten sich etwa hundert Demonstranten im Finanzdistrikt Canary Wharf, darunter die Vereinigung der Londoner Pensionäre. Seitdem ist nicht viel passiert.
Die wenigen, die nach Nordirland gereist sind, ärgern sich über das Desinteresse am Gipfel. Am heutigen Sonntag sind in Belfast Podiumsdiskussionen über Drohnen, Venezuela und den "internationalen Widerstand" geplant. Es sieht nicht aus, als müssten die Tagungsräume wegen Überfüllung geschlossen werden.
Es ist nicht immer angenehm, wenn man sich auf der falschen Seite der Geschichte wiederfindet. Deshalb überlegen nach dem Protestmarsch am Samstag drei Dutzend Kommunisten in einem stickigen Konferenzraum, weshalb sie bislang unter sich geblieben sind.
"Belfast ist zu weit weg", überlegt Ricardo, der aus Portugal angereist ist. "Am Wetter liegt's nicht", sagt Bill. Er ist der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Englands. "Es regnet hier immer, also keine Überraschung." "Meine Tochter ist nicht gekommen, weil sie Angst vor der Polizei hatte", sagt Lynda, die Vorsitzende der irischen Kommunisten.
Andere machen das Bildungssystem oder "die Medien" verantwortlich, die angeblich nicht ausführlich genug über die Kundgebungen berichtet hätten. Jay Magowan, der junge Mann mit dem DDR-Aufnäher, verschränkt die Arme vor der Brust. Er hat seine Schuhe und Socken ausgezogen und sitzt barfuß auf einem Stuhl.
Er wirkt unzufrieden. "Die Imperialisten kommen, und keiner macht was", sagt er. Es gebe genug Gründe, gegen Obama, Merkel und Putin zu protestieren. Den NSA-Skandal, die soziale Kälte in Europa, den Krieg in Syrien. Wo ist die Wut geblieben? "Ich bin echt sauer", sagt Magowan.
Es muss nicht sein, dass es ruhig bleibt. Am Montagabend sind erneut Proteste angekündigt, diesmal nicht in Belfast, sondern in Enniskillen, näher am Ort des Tagungshotels. Einige Demonstranten wollen versuchen, bis zum Zaun vorzudringen. Ein junger Kommunist seufzt. "Wahrscheinlich fangen sie uns sowieso lange vorher ab, wie damals in Schottland."
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