Michael Sauga

G7-Treffen in Ise-Shima Herbst der Demokraten

Das G7-Treffen in Japan droht, in Routine zu ersticken. Dabei stehen die westlichen Industrieländer vor politischen Herausforderungen wie lange nicht.
Polizist in Ise-Shima

Polizist in Ise-Shima

Foto: Jeon Heon-Kyun/ dpa

Wenn sich die sieben mächtigsten Männer und Frauen der westlichen Welt im japanischen Ferienort Ise-Shima versammeln, um auf ihrem jährlichen Wirtschaftsgipfel freundlich in die Kameras zu winken, werden sie sich einmal mehr als informelle Weltregierung präsentieren. Sie werden über neue Initiativen zur Ankurbelung der globalen Konjunktur beraten, Milliardenbeträge für Flüchtlinge, Gesundheit und Umweltschutz ausloben und versprechen, dass sie auf den internationalen Krisenschauplätzen von der Ukraine über Syrien bis zum Südchinesischen Meer gemeinsam handeln. Die Botschaft lautet: Seht her, der Westen mag alt und müde wirken, aber er ist noch immer agil und handlungsfähig.

Die schönen Bilder, die in den nächsten Tagen um die Welt gehen werden, haben nur einen Makel: Sie stimmen nicht.

Tatsächlich war der Siebener-Klub wohl noch nie in so schlechter Verfassung, seit er vor gut vierzig Jahren vom damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt und dem französischen Präsident Valéry Giscard D'Estaing aus der Taufe gehoben wurde.

Der Industrieländerverbund hat erfolgreich gegen Inflation und Ölkrisen gekämpft, die Globalisierung vorangetrieben und den Sieg über den Kommunismus gefeiert. Heute aber wirkt der Westen ideenlos und ausgezehrt - und er sieht sich einer neuen Systemkonkurrenz ausgesetzt, die umso gefährlicher ist, als sie ihn gleich aus zwei Richtungen herausfordert.

Von außen wird der Verband der Industriestaaten durch autokratisch regierte Schwellenländer wie China oder Russland unter Druck gesetzt, die seine Vorherrschaft nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch infrage stellen. Im Inneren drängt der erstarkende Rechtspopulismus die etablierten Eliten des Westens in die Defensive.

In den USA greift der Brachial-Demagoge Donald Trump nach der Präsidentschaft, der sein Land wirtschaftlich abschotten will und damit droht, die Nato aufzulösen. In Frankreich könnte im nächsten Frühjahr die Front-National-Chefin Marine Le Pen die Macht erobern, die zurück will ins nationalstaatliche Europa der frühen Fünfzigerjahre. Und in Deutschland muss sich Kanzlerin Angela Merkel vorwerfen lassen, mit ihrer liberalen Flüchtlingspolitik jene autoritären Kräfte gefördert zu haben, die nun von Polen bis Österreich das politische Klima in Europa prägen.

Überall grassiert die Unzufriedenheit, und sie wird genährt durch die Tatsache, dass die Wirtschaft in den G7-Staaten seit der schweren Finanzkrise vor acht Jahren noch nicht wieder auf Touren gekommen ist. Das geringe Wachstum kommt nahezu ausschließlich einer kleinen Oberschicht an der Spitze der Einkommensskala zugute, während die Einkünfte der Durchschnittsverdiener stagnieren. Als Folge der weltweiten Niedrigzinspolitik schrumpfen die Vermögen der Kleinsparer.

Zugleich wachsen die staatlichen Schuldenberge, ohne dass es den Industrieländern gelingt, genügend Investitionsmöglichkeiten für die weiter um die Welt vagabundierenden Kapitalströme zu finden. Von "säkularer Stagnation" sprechen die Ökonomen, die ihre politische Entsprechung nun in jener seltsamen Sehnsucht nach dem starken Mann (oder der starken Frau) findet, von der sich der demokratische Westen doch schon vor Jahrzehnten endgültig befreit zu haben schien.

Kaum Zukunftsweisendes auf der Gipfelagenda

Nun aber bildet sich eine populistische Internationale heraus, die sich in ihrem plumpen Nationalismus ("America first") genauso einig ist wie in der Verachtung von offenen Märkten, liberaler Gesellschaftspolitik und Parlamentarismus. Und es passt ins Bild, dass die Protagonisten der Bewegung von Trump bis Le Pen aus ihrer Bewunderung für autokratische Herrscherfiguren vom Schlage Wladimir Putins keinen Hehl machen.

Noch immer sind die Demokratien des Westens ein Sehnsuchtsort für weite Teile der Weltbevölkerung. Noch immer wären sie stark genug, jene Defizite zu bekämpfen, aus denen sich die Wut ihrer Bürger speist: die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, die Auszehrung der Demokratie durch den Einfluss der Interessengruppen, das wachsende Gefühl ihrer Wähler, vor den Risiken der Globalisierung nicht mehr ausreichend gesichert zu sein.

Doch wer das Programm des bevorstehenden Gipfels studiert, wird wenig Zukunftsweisendes entdecken. Kein Signal des Aufbruchs ist von Ise-Shima zu erwarten, sondern das routinierte Abarbeiten der üblichen Gipfel-Rituale.

Das darf nicht weiter verwundern. Schließlich ist der Gastgeber des Treffens, der japanische Premier Shinzo Abe, selbst ein Verfechter des gemäßigten Nationalpopulismus: eine Art Trump in Seidenpapier gewissermaßen, dessen Programm im Wesentlichen darin besteht, die eigene Währung im Interesse der japanischen Exportindustrie zu manipulieren und seine Landsleute im Geist der shintoistischen Staatsreligion patriotisch aufzurüsten.

Wenn es schlecht läuft, könnte der bevorstehende Gipfel einmal als jenes Treffen in die Geschichte eingehen, an dem die G7-Staaten die Entwestlichung des Westens begonnen haben.

Fotostrecke

G7: Krisengipfel in Ise-Shima

Foto: HANNIBAL HANSCHKE/ AFP

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