Israelische Offensive in Gaza "Immer schlimmer und schlimmer"

Sanitäter in Schedschaija: Häuser dem Erdboden gleichgemacht
Foto: AP/dpaHamburg - An diesem Sonntag ist Schedschaija kaum wiederzuerkennen: Ganze Straßenzüge in dem Stadtviertel von Gaza-Stadt liegen in Trümmern. Die Straßen wirken verlassen, fast jeder, der hier wohnte, ist geflohen - oft ohne Schuhe oder noch im Schlafanzug. Tausende Menschen gingen zu Fuß, andere quetschten sich auf die Ladeflächen von Trucks.
Am Samstagabend hatte Israel seine Bodenoffensive gegen die radikalislamische Hamas im Gazastreifen ausgeweitet. Schedschaija, das unweit der israelischen Grenze liegt, war dabei das Ziel, das offenbar am stärksten beschossen wurde. Ein israelischer Militärsprecher bezeichnete das Viertel als "Hochburg der Hamas". Die israelischen Truppen seien beim Vorrücken von allen Seiten mit Maschinengewehren und Panzerfäusten beschossen worden, sagte er.

Beschuss durch Israels Armee: Tausende Bewohner von Gaza auf der Flucht
Die Bilanz des Wochenendes ist schrecklich: Mindestens 87 Palästinenser sollen ums Leben gekommen sein, darunter viele Frauen und Kinder. Hunderte Menschen wurden verletzt. In Gaza-Stadt schleppten sich scharenweise Verletzte ins Schifa-Krankenhaus, mit Ruß im Gesicht und blutgetränkter Kleidung. Die meisten wurden von Granatsplittern getroffen.
Auch das israelische Militär hatte erstmals größere Verluste zu beklagen. 13 Soldaten der Brigade Golani seien bei den Gefechten in der Nacht getötet worden, teilte die Armee mit.

Rauch über Gazas Osten: "Überall um uns herum gab es Angriffe"
Foto: MOHAMMED SALEM/ REUTERS"Der Beschuss hat gestern Abend angefangen, so gegen 21 Uhr, und es wurde immer schlimmer und schlimmer", erzählt Ahmed, der in Schedschaija lebt. "Überall um uns herum gab es Angriffe, wir hatten kein Licht und kein Wasser, wir wussten nicht, was wir tun sollen." Seine Familie habe die Notdienste gerufen, doch diese konnten nicht helfen. Sie sagten, dass die Rettungskräfte wegen des Bombenhagels nicht vordringen könnten. Also liefen Ahmed und seine Frau einfach los, mit den Schwägerinnen und deren müden Kindern. Hauptsache weg aus Schedschaija.
"Wer ankommt, wurde vor Stunden verletzt"
Der Arzt Said Hassan kümmert sich am Sonntag um die Verletzten, die es bis zum Krankenhaus geschafft haben, zum Teil sogar mit Lastwagen. "Die Rettungswagen kommen einfach nicht überall hin. Wer jetzt hier ankommt, wurde schon vor Stunden verletzt", sagt er. "Das ist das Schlimmste, was ich je gesehen habe."
In der Nähe desinfiziert Rettungswagenfahrer Alaa nach einem Einsatz sein Fahrzeug. "Wir hatten eine verletzte Schwangere an Bord, und auf dem Weg haben wir noch einen Mann mit seiner Tochter mitgenommen", erzählt er. Zwischendurch wurde Alaa von verzweifelten Bewohnern angebettelt und angeschrien. "In unserem Haus sind Tote, warum kommen Sie nicht?", zitiert er. Auf dem Weg nach Schedschaija seien die Sanitäter mehrfach selbst beschossen worden. Erst am Mittag sei es einem Konvoi aus 15 Rettungswagen gelungen, nach Schedschaija vorzudringen.
Gegen Mittag hatte es in Schedschaija kurz nach einer Entschärfung der Situation ausgesehen, das Rote Kreuz hatte eine zweistündige Waffenruhe zwischen der israelischen Armee und der Hamas vermittelt. Die Zeit sollte unter anderem für den Abtransport der zahlreichen Leichen und Verletzten genutzt werden. Doch schon nach weniger als einer Stunde fielen wieder Schüsse - die Feuerpause hielt nicht.
Mehr Tote als bei den Attacken zuvor
Endgültige Opferzahlen gibt es noch nicht, doch Israels Angriff auf Schedschaija gilt schon jetzt als ungewöhnlich massiv. In einem Krankenhaus im Gazastreifen sagten ältere Männer, solch schwere Angriffe hätten sie seit dem Sechstagekrieg von 1967 nicht mehr erlebt.
Der blutige Angriff schlug international hohe Wellen. US-Außenminister John Kerry forderte einen Waffenstillstand. Die palästinensische Politikerin Hanan Aschrawi warf Israel vor, in Gaza ein "Massaker" anzurichten: Israel übe mit seiner Offensive im Gazastreifen "Staatsterrorismus" aus. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hatte zuvor eine dreitägige Staatstrauer angeordnet. Nabil Elaraby, der Generalsekretär der Arabischen Liga bezeichnete die israelischen Angriffe als "Kriegsverbrechen".
Israels Premier Netanjahu zeigte sich unbeeindruckt. Er sagte in einem CNN-Interview, man werde die gegen Israel gerichteten Raketenattacken aus Gaza stoppen, unabhängig davon, welches Vorgehen dafür nötig sei. Der Hamas warf Netanjahu vor, Bewohner von Gaza als "menschliche Schutzschilde" einzusetzen. Israel ziele auf Militärstandorte, manchmal gebe es dabei bedauerlicherweise Zivilopfer.