
Gaza-Flottille "Wer hat das getan, wenn nicht der Mossad?"
Als die irische Crew die Motoryacht "Saoirse" im türkischen Hafen Göcek aus dem Wasser holte, da ahnte sie schon, dass etwas nicht in Ordnung war. An Land ließ sich der Schaden leicht erkennen: Die Achse am Steuerbord-Propeller war angesägt oder angefeilt.
Die MV "Saoirse" ist bereits das zweite Schiff, das an der Flottille nach Gaza teilnehmen wollte - und auf wundersame Weise plötzlich einen Propellerschaden erlitt. Ganz ähnlich erging es am Montag dem in Piräus ankernden Schiff "Juliano", auf dem Griechen, Schweden und Norweger nach Gaza fahren wollen. Auch hier war ein Teil des Propellers vermutlich von Tauchern abgesägt worden.
"Das ist eine chirurgische Operation von Fachleuten", sagte einer der Sprecher der Flottille. "Wer könnte das getan haben, wenn nicht der Mossad?"
"Hätten wir nicht eine kurze Fahrt durch die Bucht gemacht, dann wären wir mit einer so gefährlich beschädigten Propellerachse aufs Meer gefahren, und das Boot hätte sinken können, wenn der Rumpf durchgebrochen wäre", erklärte Fintan Lane, der Koordinator des irischen Schiffs, in einer Stellungnahme. Er beschuldigt Israel der Sabotage. "Das war ein potentiell mörderischer Akt." Auch der Kapitän des Bootes ist sich sicher: "Die arglistige Beschädigung war derart, dass das Schiff unter normalen Bedingungen auf dem Meer gesunken wäre."
Noch ist die Flottille, die die israelische Blockade des Gaza-Streifens durchbrechen will, tausend Kilometer entfernt von ihrem Ziel. Doch der Krieg der Propaganda, der gegenseitigen Beschuldigungen und der Sabotage hat bereits begonnen.
Alarmierendes Gruppenbriefing für die israelische Presse
Die Passagiere der MV "Saoirse" werfen Israel internationalen Terrorismus vor - mit der Sabotage des irischen Schiffs sei der Tod von Menschen riskiert worden. Sie berichten von Überfällen in den Straßen von Piräus, Mobiltelefone seien gestohlen worden. Und im Hafen sollen merkwürdige Fischer aufgetaucht sein, die ihre Angeln ohne Köder im verdreckten Hafenbecken auswerfen.
Israel dagegen versucht, die Aktivisten als gewaltbereite Extremisten zu dämonisieren. Von einer "Hass-Flottille" spricht Armeechef Benny Gantz. Die Aktivisten wollten "Konfrontation und Blut", sagt Außenminister Avigdor Lieberman, an Bord befinde sich ein "harter Kern von Terroraktivisten".
Am Dienstag machten die drei großen israelischen Zeitungen mit der Schlagzeile auf, die Flottillen-Passagiere hätten das Ziel, Soldaten zu töten. Sie berufen sich auf "hochrangige Offizielle" als Quelle. Der schwerwiegendste Vorwurf: Einige Aktivisten planten, "Säcke mit Schwefel" an Bord zu bringen. "Das ist eine chemische Waffe, wenn der Schwefel auf einen Soldaten geschüttet wird, kann ihn das lähmen", schreibt die "Jerusalem Post". "Wenn der Schwefel dann angezündet wird, dann leuchtet der Soldat hell wie eine Lampe." Und auch die eher linke "Haaretz" zitiert einen anonymen Vertreter der Armee mit den Worten: "Das sich abzeichnende Bild ist, dass einige Teilnehmer an der Flottille es klar auf eine Konfrontation anlegen."
Es scheint, als hätte die Armee ein alarmierendes Gruppenbriefing für die israelische Presse abgehalten. Zwei Tage dauert es, bis einige der Journalisten beginnen, diese Warnungen in Frage zu stellen. Bei den "Säcken von Schwefel" handele es sich um Dünger, schreibt "Jedioth Achronoth". Israel hat die Einfuhr von Dünger in den Gaza-Streifen verboten, weil Dünger auch zur Herstellung von Raketen und Bomben genutzt werden kann - was allerdings kaum nötig ist, denn inzwischen gelangt genug Sprengstoff durch die Tunnel nach Gaza.
Die Flottille will 3000 Tonnen verbotene Güter nach Gaza bringen, unter anderem Zement, Medizin und eben Dünger. Dass dieser als Waffe gegen Soldaten eingesetzt werden kann, ist zweifelhaft. Dafür müssten die Passagiere einen Sack über einem Soldaten auskippen und dann anzünden - unwahrscheinlich bei schwer bewaffneten Soldaten, die schießen würden, sobald sich ihnen einer der Aktivisten nähert. Selbst wenn es tatsächlich gewaltbereite Radikale an Bord geben sollte - Dünger wäre wohl kaum ihre bevorzugte Waffe.
Hat die Armee Journalisten wissentlich falsch informiert?
"Es gibt keine Information, dass eine Gruppe Radikaler an Bord einen harten Kern von gewaltsamem Widerstand gegen die israelischen Soldaten formen wird", schreibt "Jedioth Achronoth". Deutlicher geht es nicht: "Es gibt keine klare Information, dass sich scharfe Waffen an Bord befinden werden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass das eine Annahme ist, neben vielen anderen Szenarien."
Auch die Zeitung "Maariv" vermeldet zwei Tage nach dem Schwefel-Vorwurf, die angebliche Geheimdienstinformation seien wohl aufgebauscht worden. Ein israelischer Minister hat der Zeitung gesagt, es handele sich um einen "Media Spin", um eine absichtliche Übertreibung. Andere Regierungsmitglieder sind sauer über die Fehlinformation gegenüber den Medien, sie sagen: In internen Briefings habe es geheißen, es gebe keine Sicherheitsrisiken.
Hat die Armee also Journalisten wissentlich falsch informiert, um sich eine Rechtfertigung für ein gewaltsames Eingreifen zu schaffen? Viel spricht dafür. Taucht der Verdacht möglicher Gewalt im Vorfeld auf, kann die Armee später argumentieren, sie hätte eben jedes Restrisiko ausschließen müssen. Die meisten Israelis müssen ohnehin nicht mehr überzeugt werden, sie haben sich schon ein Bild von den Teilnehmern gemacht: Naive Friedensaktivisten, Antisemiten und Terroristen, das ist die ziemlich einhellige Meinung.
Angesichts der Verdächtigungen haben einige Aktivisten eine Transparenzkampagne gestartet. Gestern durften etwa Journalisten das US-Schiff "Audacity for Hope" inspizieren und sich alles ansehen, vom Bordessen bis zu den tausend Briefen, die die 50 Aktivisten und Journalisten an Bord nach Gaza bringen wollen. Jeder soll sich überzeugen können, dass weder Waffen noch Chemikalien an Bord sind. Außerdem hat jedes Schiff eine Internetseite, auf der die Teilnehmer sich vorstellen - Holocaustüberlebende, Schriftsteller und Parlamentarier aus 22 Ländern sind darunter.
Und auch einige Israelis, etwa Jonathan Schapira. Der 39-Jährige flog einst mit einem Kampfhubschrauber Angriffe gegen Palästinenser, bis er vor acht Jahren zusammen mit einigen anderen Piloten Befehle verweigerte, bei denen Palästinenser getötet werden. Auch jetzt appelliert er an Piloten und Soldaten, den unmoralischen Befehl zur Aufbringung der Flottille zu verweigern - und an die Welt, die "blinde Unterstützung für Israel" einzustellen. "Der beste Weg, um dem jüdischen Volk zu helfen, ist gegen diese Regierung aufzustehen", sagt er.
Die Verzögerungsstrategie beginnt zu wirken
Entsetzt ist Schapira vor allem über die Vorwürfe israelischer Politiker. "Außenminister Lieberman hat gesagt, dass wir Blut sehen wollen. Das ist unglaublich. Ausgerechnet der Mann, der die Siedlungen und die Ermordung von palästinensischen Zivilisten unterstützt, wirft uns vor, wir wollten Blut." Der Israeli fährt als Crewmitglied auf der "Audacity of Hope" mit, es ist bereits seine zweite Flottillen-Fahrt. "Beim letzten Mal hat Israel die Flottille in internationalen Gewässern kurz vor Gaza geentert. Diesmal hat sich die israelische Besatzung bis zur griechischen Küste ausgedehnt", sagt er.
Schapira ist sich sicher, dass die Sabotage durch israelische Geheimdienste ausgeübt wurde. "Wer sonst sollte davon profitieren? Das ist für mich eine kriminelle Aktion." Die Crew der "Audacity for Hope" bewacht ihr Schiff jetzt rund um die Uhr, ab und zu taucht jemand unter das Boot, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist. Aber ihr Boot hat auch ein anderes Problem: Die griechische Küstenwache hat es bisher noch nicht als seetüchtig freigegeben. Solange dürfen sie nicht auslaufen.
Am Freitagnachmittag probierten sie es trotzdem - und wurden kurz nach dem Verlassen des Hafens von der Küstenwache aufgebracht. Das Schiff wurde offenbar in einen Hafen der Küstenwache bei Athen eskortiert. Die Passagiere twitterten, die Griechen würden sie mit "Gewehren bedrohen" und wollen sich nun weigern, das Schiff zu verlassen. Zuvor war bekannt geworden, dass die Griechen nun gar keine Schiffe mehr Richtung Gaza aufbrechen lassen wollen. Das bestätigt für die Aktivisten nur, dass Griechenland auf israelischen Druck handele. Nicht umsonst hatte Premier Benjamin Netanjahu am Donnerstag seinem griechischen Amtskollegen ausdrücklich für seine Hilfe beim Stoppen der Flotilla gedankt.
Ein Tag im Hafen kostet Tausende Euro
Noch bis zu fünf Tage könnte es dauern, bis die "Juliano" repariert ist und die anderen Boote von den Griechen die Genehmigung zum Auslaufen bekommen. Die MV "Saoirse" hat ihre Teilnahme bereits abgesagt, die Reparatur würde zu lange dauern. Die Verzögerungsstrategie beginnt zu wirken. Jeder weitere Tag im Hafen kostet Tausende Euro, die Aktivisten geraten unter Zeitdruck und müssen weitere Nächte in Hotelzimmern zahlen. Von ursprünglich 15 Schiffen mit 1500 Passagieren sind nach der Absage der türkischen Organisation IHH und dem Ausfall der MV Saoirse nur noch vermutlich neun Schiffe mit etwa 350 Passagieren dabei. Das neueste Datum für die Abfahrt: der kommende Dienstag.
Doch selbst wenn die Flottille bald Richtung Gaza in See stechen sollte, haben die Aktivisten es damit noch längst nicht geschafft: Die Armee hat deutlich gemacht, dass sie kein Schiff die Blockade durchbrechen lassen werde. Die Schiffe der Aktivisten sollen in das ägyptische Arisch umgeleitet werden - oder, wenn die Schiffe diesen Befehl verweigern, mit Gewalt ins israelische Aschdod gebracht werden.
Auch an Land droht Israel mit harscher Behandlung: Die Boote könnten konfisziert werden, womit es den Aktivisten künftig sehr schwer fallen würde, Schiffe anzumieten oder zu versichern. Und Passagiere, die Gewalt gegen israelische Soldaten einsetzen, sollen diesmal nicht so schnell freikommen.