
Gaza-Konflikt: Tödliche Grenzregion
Israelische Bodenoffensive "Wir müssen die Tunnel zerstören"
Der Krieg kann jeden Moment die israelische Schnellstraße 232 parallel zum Gazastreifen erfassen. Selbst gebastelte Raketen können einschlagen, nach wenigen Sekunden Vorwarnzeit. An der Ausfahrt zum Kibbuz Nahal Os sind die Autos sogar in Reichweite von gut gerüsteten Scharfschützen.
Die 76-jährige Tami Halevy wohnt in dieser Gefahrenzone seit rund 60 Jahren. Kibbuz Nahal Os wurde 1951 von der paramilitärischen Pionierjugend Nahal errichtet, Halevys Mann war einer der Gründer.
Nahal Os dient längst zivilen Zwecken, doch ein Frontposten ist der Kibbuz geblieben. Rund 270 der 350 Einwohner sind wegen des Kriegs geflüchtet. "Wir Älteren haben die Jungen fortgeschickt", sagt Tami Halevy. Sie ist noch da. "Einer muss sich doch um die Kartoffeln und Kühe kümmern, damit wir nicht alles verlieren."
Selbst auf den Äckern gibt es alle hundert Meter Luftschutzräume. Bewässert werden die Kartoffeln aus sicherer Entfernung per Computersteuerung. Wer zu den Kühen geht, trägt kugelsichere Weste und Helm. Dicht gepflanzte Bäume verbergen die Häuser, damit man sie von Gaza aus nicht sieht.
Am Samstag drang die Hamas zweimal nach Israel vor
Im Gazastreifen ist die Wahrscheinlichkeit viel höher als im israelischen Grenzgebiet, als Unbeteiligter im Krieg getötet zu werden. Doch die Furcht ist groß auf beiden Seiten, Angst ist menschlich.
Auf den Feldern entlang der Grenze zu Gaza sind inzwischen gepanzerte Fahrzeuge zwischen weißgelben Kürbissen postiert. In Nahal Os wurden Soldaten stationiert. Sie sollen die Bewohner schützen. Tami Halevy sperrt nachts ihre Haustür ab. "Die Tunnel sind jetzt unsere größte Angst", sagt die 76-Jährige.

Beschuss durch Israels Armee: Tausende Bewohner von Gaza auf der Flucht
Am Montag sind zum wiederholten Male Hamas-Kämpfer durch selbst gegrabene Tunnel nach Israel gelangt. Die Armee entdeckte die Angreifer und nahm die Gruppe unter Beschuss. Mindestens zehn Eindringlinge seien getötet worden, einer von ihnen soll einen Sprengstoffgürtel getragen haben.
Bereits am Samstag war es Hamas-Kämpfern offenbar gelungen, durch Tunnel aus dem Gazastreifen nach Israel zu kommen - obwohl das israelische Militär inzwischen eine Bodenoffensive gegen die Milizen gestartet hat und seit knapp zwei Wochen den Gazastreifen bombardiert.
Am Morgen hatten Hamas-Kämpfer, getarnt in israelischen Uniformen, zwei Soldaten auf israelischem Boden getötet. Am Abend drangen sie mit Beruhigungsmittel und Handschellen nach Israel vor. Offenbar war eine Entführung geplant wie die von Gilad Schalit 2006, die das Land erschütterte. Fünf Jahre war er in der Hand der Hamas, bevor er gegen 1027 palästinensische Häftlinge freigelassen wurde.
Das Militär versucht die unterirdische Gefahr zu bannen
"Wir müssen diese Tunnel zerstören. Das kann nur die Armee", sagt Tami Halevy, deren deutsche Eltern 1934 vor den Nazis ins damalige britische Mandat Palästina geflohen waren. "Mein Enkel ist einer der Soldaten, die jetzt in Gaza im Einsatz sind. Er versucht diese Tunnel zu schließen, damit seine Oma wieder in Sicherheit leben kann."
Israel hat die Bedrohung aus der Luft weitgehend gebannt durch ein teures Raketenabwehrsystem. Mit einer Ausweitung der Bodenoffensive in Gaza will die israelische Regierung nun die Gefahr aus den Tunneln in den Griff bekommen.

Reichweiten der Hamas-Raketen (Stand Juli 2014)
Foto: SPIEGEL ONLINEMehr als ein Dutzend Tunnel will die israelische Armee inzwischen zerstört haben. Im Fernsehen zeigt sie Bilder von betonierten, mannshohen Gängen. Zement ist wegen der strengen Einfuhrbeschränkungen auf den Gazastreifen für die Menschen dort ein Luxusgut. Doch die Hamas kann ihn sich offenbar leisten.
International wächst die Kritik an Israels Vorgehen. Vor allem Zivilisten und viele Kinder sind unter den Opfern. Doch viele Israelis stört das nicht. Mehr als zwei Drittel befürworten den Gazakrieg, die Zustimmung steige sogar noch weiter, sagt Meinungsforscher Camil Fuchs von der Tel-Aviv-Universität. Offenbar fühlt sich die Mehrheit der Israelis so, als lebe sie wie Tami Halevy direkt an der Front.
"Ich will nicht, dass sie mich umbringen"
"Ich möchte nicht, dass Unschuldige in Gaza sterben, vor allem Kinder nicht", sagt Tami Halevy. "Aber ich will nicht, dass sie mich umbringen." Wir oder sie. Vor 58 Jahren hat Halevy erlebt, wie Roi Rutenberg, ein Freund ihres Mannes, aus dem Kibbuz ritt, um an der Grenze zu patrouillieren. Die Stute kam allein zurück. Palästinensische Nationalisten hatten Rutenberg erschossen.
Zu seiner Beerdigung hielt der damalige Generalstabschef Moshe Dayan in Nahal Os eine bemerkenswerte Rede. Er ermahnte die Bürger des jungen Staats Israel, dass ihre Generation, die Gründerzeit, niemals auf Palästinenser schwach wirken dürfe.
"Seit acht Jahren sitzen sie in den Flüchtlingslagern von Gaza und vor ihren Augen verändern wir das Land und die Dörfer, in denen sie und ihre Väter lebten", sagte Dayan 1956 über die Palästinenser im Gazastreifen. "Wir sind die Generation, die das Land besiedelt, und ohne einen Stahlhelm und Kanonenfeuer werden wir nicht einen Baum pflanzen und nicht ein Haus bauen können."
Zwei Generationen später ist es in Israel kaum vorstellbar, dass ein Generalstabschef die Vertreibung von Palästinensern ansprechen könnte, ohne als Sympathisant von Terroristen oder Leugner des Existenzrechts Israels verunglimpft zu werden, glaubt die liberale israelische Zeitung "Haaretz" . Dayans Doktrin der Härte dagegen scheint noch immer von Bestand.
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