
Hamas-Tunnel nach Israel: Die Gefahr aus dem Untergrund
Unterirdische Gänge der Hamas Israels Hightech-Armee verzweifelt an Lowtech-Tunneln
Die Angreifer kamen aus dem Untergrund. Sie waren schwer bewaffnet und feuerten mindestens eine Panzerabwehrrakete auf einen israelischen Wachtturm. Fünf Soldaten wurden bei dem Überfall getötet. Ein Eindringling wurde bei dem Versuch erschossen, die Leiche eines Israelis zu verschleppen. Die anderen verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren. In den Untergrund. Durch einen Tunnel zurück in den Gaza-Streifen.
Der Überfall am Montagabend in der Nähe des Kibbuz Nahal Os, nur wenige Hundert Meter von der Grenze zum Gaza-Streifen entfernt, war der sechste seit Beginn der jüngsten Eskalationsrunde zwischen Israel und der Hamas. Dabei sind elf Soldaten und mehr als 20 militante Palästinenser getötet worden. Die Attacken aus den Angriffstunneln sind derzeit die größte Bedrohung für Israels Sicherheit - und die Öffentlichkeit ist überrascht, was für ein gewaltiges unterirdisches System die Hamas hat aufbauen können.
Deshalb werden in Israel Stimmen laut, die den Geheimdiensten und dem Militär vorwerfen, die Gefahr über Jahre unterschätzt zu haben. Kabinettsmitglieder sprechen bereits von einem "umfassenden Versagen" des Sicherheitsapparats.
Eine mittelalterliche Taktik überrascht Israels Armee
"Niemand schien in der Lage zu sein, die Dimension des Tunnelnetzwerks zu überblicken und die Möglichkeit eines massiven Überraschungsangriffs gegen die Menschen an der israelischen Grenze zu erkennen", kritisiert Yossi Alpher, der selbst jahrelang als Geheimdienstoffizier in der Armee und beim Auslandsgeheimdienst Mossad tätig war. "Tunnel sind eine mittelalterliche Taktik. Das ist so 'lowtech', dass wir das im wahrsten Sinne des Wortes nicht auf dem Radar hatten", sagt Michael Oren, Israels Ex-Botschafter in Washington und ebenfalls ehemaliger Geheimdienstler.
Dabei sind Tunnel zwischen Israel und Gaza keine neue Erfindung. Schon vor der Abriegelung des Gaza-Streifens wurden durch diese Gänge Waren von und nach Israel geschmuggelt. 2006 drangen Hamas-Kämpfer durch einen unterirdischen Gang auf die israelische Seite der Grenze vor und entführten den Soldaten Gilad Schalit. Nur waren all diese Tunnel relativ einfach gebaut und reichten nur wenige Meter hinter den Grenzzaun.
Der israelische Geheimdienst wusste, dass die Hamas nach der letzten Militäroperation in Gaza vor knapp zwei Jahren den Bau von Angriffstunneln verstärkt hatte. Der renommierte Journalist Ben Caspit berichtet, dass Israel vor Ausbruch der aktuellen Eskalation davon ausgegangen sei, dass es drei dieser unterirdischen Gänge auf israelisches Gebiet gebe. Inzwischen hat das Militär 45 Tunnel entdeckt, US-Geheimdienste wollen mithilfe von Satellitenaufnahmen sogar 60 Gänge entdeckt haben.
Hamas-Kämpfer konnten tagelang unter der Erde ausharren
Israels Armee hat Bilder von entdeckten Tunneln veröffentlicht. Sie zeigen Gänge, die mit Beton verstärkt sind, es gibt Strom und eine funktionierende Belüftung. Sie verlaufen fast 15 Meter unter der Erde, sind etwa 75 Zentimeter breit, circa 1,70 Meter hoch und haben bis zu siebzig Nebenschächte. "Das ist wie eine U-Bahn unter Gaza", sagte Oberst Oshik Azulai der "New York Times" . Die Israelis entdeckten Nahrungsmittelvorräte, israelische Uniformen, Kabelbinder und Narkotika. Offenbar sollten Hamas-Kommandos hier tagelang unter der Erde ausharren, um dann auf israelischer Seite zuzuschlagen und Soldaten zu entführen.
Mit technischen Hilfsmitteln sind die Schächte von der Erdoberfläche aus kaum zu entdecken. Zwar wird der Gaza-Streifen permanent von Drohnen aus der Luft überwacht - dennoch ist den Geheimdiensten die rege Bautätigkeit unter Tage verborgen geblieben. Das liegt auch daran, dass viele Tunnel in Gaza ihren Eingang in Wohnhäusern oder Moscheen haben. Hier fällt es nicht auf, wenn viele Leute ein- und ausgehen, auch der Erdaushub kann in Kellern und Innenhöfen verborgen werden.
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu wiederholt immer wieder, dass er seiner Armee erst dann den Rückzug befehlen werde, wenn alle Tunnel zerstört seien. Doch das halten Experten für unrealistisch. "Wir werden nicht alle Tunnel finden", sagte Atai Schelach, israelischer Oberst im Ruhestand, der "Times of Israel" . "Und in dem Moment, in dem wir den Gaza-Streifen verlassen, werden sie wieder anfangen zu graben."