Krieg im Nahen Osten Israel fordert Zivilisten in Gaza zur Flucht auf

Keine Aussicht auf eine Waffenruhe im Nahen Osten: Israel plant offenbar neue massive Luftschläge gegen die Hamas. Premier Netanjahu bereitet seine Bürger auf einen langwierigen Konflikt vor.
Trauer nach Explosion im Schati-Flüchtlingslager: Hamas und Israel beschuldigen sich gegenseitig

Trauer nach Explosion im Schati-Flüchtlingslager: Hamas und Israel beschuldigen sich gegenseitig

Foto: Oliver Weiken/ dpa

Tel Aviv/Gaza - Es ist ein untrügliches Zeichen, dass massive Angriffe bevorstehen: Das israelische Militär hat die Zivilbevölkerung in mehreren Vororten Gazas zur sofortigen Flucht aufgefordert. In einer am Montag veröffentlichten Erklärung des Militärs hieß es, dass die Einwohner von Schedschaija, Seitun und dem östlichen von Dschabalija in Telefonanrufen und per SMS aufgerufen worden seien, sich "unverzüglich" in Sicherheit zu bringen. Die Zivilisten sollten sich in das Zentrum der Stadt Gaza begeben, hieß es in den Botschaften.

Wenig später sprach der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in einer Fernsehansprache zu seinen Bürgern. Er nahm ihnen die Hoffnung, die Kämpfe könnten bald ein Ende finden. Sein Land müsse sich auf einen langwierigen Konflikt im Gazastreifen vorbereiten, sagte der Regierungschef. Eine Lösung könne es nur mit einer Entmilitarisierung des Palästinensergebietes geben.

Bei einem Mörsergranatenangriff militanter Palästinenser waren wenige Stunden zuvor mindestens vier Israelis getötet worden. Es war der Angriff mit den meisten Opfern in Israel seit Beginn der Militäroffensive im Gazastreifen vor drei Wochen. Israelische Medien berichteten, es habe auch Verletzte gegeben, als das Geschoss im Grenzgebiet zum Gazastreifen eingeschlagen sei. Das israelische Fernsehen berichtete nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters zudem, dass Hamas-Kämpfer vom Gazastreifen aus in den grenznahen Kibbuz Nahal Os eingedrungen seien. Die Islamistengruppe behauptete demnach, zehn Soldaten getötet zu haben. Im israelischen Bericht war dagegen von fünf getöteten Hamas-Leuten die Rede.

Die Palästinenser warfen Israel indes vor, eine Klinik und ein Flüchtlingslager im Gazastreifen bombardiert zu haben. Dabei wurden nach palästinensischen Angaben bis zu zehn Menschen getötet und 40 weitere verletzt. Die meisten Opfer seien Kinder gewesen, teilte der Leiter der Rettungsdienste in Gaza, Aschraf al-Kidra, mit. Sie sollen auf einem Spielplatz des Schati-Flüchtlingslagers gestorben sein, hieß es von palästinensischer Seite. Auch ein Gebäude des nahe gelegenen Al-Schifa-Krankenhauses sei getroffen worden. Ob es hier Opfer gab, darüber kursieren in den Nachrichtenagenturen unterschiedliche Angaben. Augenzeugen wollen gesehen haben, wie eine israelische Drohne auf die Klinik gefeuert habe.

Das Al-Schifa-Krankenhaus ist die größte medizinische Einrichtung im Gazastreifen. Dort werden die meisten Menschen behandelt, die im Krieg zwischen Israel und militanten Palästinensern verwundet worden sind. Das israelische Militär wies jedoch umgehend jede Verantwortung für die Zwischenfälle zurück. Es habe sich um Einschläge fehlgeleiteter Raketen gehandelt, die militante Palästinenser im Gazastreifen abgeschossen hätten.

Uno fordert Waffenruhe

Am Montag waren die Kämpfe zunächst abgeflaut, wohl auch wegen des Fests des Fastenbrechens (Eid al-Fitr), das die Palästinenser im Gazastreifen wie die Muslime in aller Welt jetzt begehen. Nach einer ersten Weigerung hatte die Hamas am Sonntagnachmittag eine 24-stündige Waffenruhe erklärt, die Israel jedoch nicht offiziell akzeptierte.

Der internationale Druck, das Blutvergießen endlich zu beenden, wird indes immer stärker. Nach US-Präsident Barack Obama forderte auch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine "sofortige und bedingungslose humanitäre Waffenruhe" zwischen Israel und der im Gazastreifen herrschenden Hamas. Die Konfliktparteien sollten die Kampfhandlungen einstellen, um Hilfe möglich zu machen, hieß es in einer Erklärung des Uno-Gremiums.

Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon stellte die Härte des Waffeneinsatzes infrage. "Die Höhe der zivilen Verluste bringt die Frage der Verhältnismäßigkeit auf den Tisch", sagte Ban in New York. "Alle Seiten haben die Verantwortungen, die Feindseligkeiten zu beenden. Wenn die Kämpfe weitergehen, leiden zuallererst die Zivilisten. Seine Botschaft lautete: "Hört auf zu kämpfen! Und dann setzt euch zusammen und bringt alle Konflikte auf den Tisch."

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bemängelte bei einem Telefonat mit Ban, die Erklärung des Sicherheitsrates befasse sich nur "mit den Bedürfnissen einer mörderischen Terrororganisation, die israelische Zivilisten angreift, und nicht mit Israels Sicherheitsbedürfnissen". Offenbar will Israel seine Offensive im Gazastreifen ungeachtet der Forderungen nach einer Waffenruhe vorerst fortsetzen. "Wir werden in den kommenden Tagen weitermachen, bis wir alle Tunnel zerstört haben", sagte der israelische Geheimdienstminister Juval Steinitz am Montag in Jerusalem. Wichtigstes längerfristiges Ziel sei eine Entmilitarisierung des Küstenstreifens am Mittelmeer.

Seit Beginn der Offensive vor drei Wochen sind mehr als 1000 Palästinenser getötet und mehr als 6000 weitere verletzt worden. Auf israelischer Seite kamen 43 Soldaten und drei Zivilisten um. Der Sicherheitsrat rief alle Seiten auf, an einer dauerhaften Waffenruhe zu arbeiten. Und er forderte, zivile Einrichtungen, auch die der Vereinten Nationen, zu respektieren und zu schützen. Der Rat sei "tief besorgt" wegen der Verschärfung der Lage und des Todes von Zivilisten.

phw/dpa/Reuters/AP
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