
Krieg in Gaza: Menschen in Trümmern
Krieg in Gaza "Sie haben mir alles genommen"
Ein verbogenes Spülbecken glänzt zwischen den Betonbrocken. Daneben ist ein halber Kühlschrank auszumachen. Das ist alles, was von Umm Mohammeds Küche übrig blieb. Am Samstagabend gegen halb zehn war sie im Wohnzimmer, als es plötzlich schwarz um sie herum wurde. Sie kam wieder zu sich in einem Bett im Krankenhaus.
"Es ist weg. Das Haus ist weg", sagt die schmale Frau leise. Sie steht seit der Explosion erstmals wieder in dem, was ihr Schlafzimmer war, gleich neben der zerbombten Küche.
Die Schlafzimmeraußenwand fehlt und gibt den Blick auf eine grelle Leere frei. Dort stand das dreistöckige Haus ihres Schwagers. Es scheint wie pulverisiert. Eine dicke Staubschicht zieht sich nun über Umm Mohammeds Schlafzimmerschränke.
Die Bombe hat Umm Mohammed 18 Familienangehörige genommen. Noch immer werden Körperteile von ihnen gefunden. Ihr 12-jähriger Sohn Kusai und ihr ältester, der 17-jährige Mohammed, wurden sofort getötet. Sie waren draußen im Hinterhof, den die vier Häuser der al-Batsch-Familie bildeten im Tuffach-Viertel, dem Apfelviertel, im Nordosten Gazas. Nun gleicht der Hinterhof einem Trümmerfeld. Es fehlt das Haus des 40-jährigen Madschid al-Batsch. Er, seine Frau und ihre sieben Kinder sind tot.
Die Batschs wurden schon öfter zum Ziel
Das israelische Militär hält Wohnhäuser für legitime Ziele, wenn darin Waffen vermutet werden oder ein Familienmitglied als hochrangiges Mitglied einer radikalen Gruppe gilt, das Terrorakte auf Israel plant. Die Batschs hält Israel offenbar für eine "Problemfamilie" voller potenzieller Attentäter. Es ist nicht das erste Mal, dass sie ins Visier geraten.
Der jüngste Beschuss soll nach Berichten israelischer Medien Teisir al-Batsch, dem Polizeichef von Gaza, gegolten haben. Er war gerade im Haus seines Cousin Madschids zu Besuch eingetroffen. Den Angriff hat er schwer verletzt überlebt.
Umm Mohammeds Mann ist seit zwei Jahren tot. Ihn traf eine israelische Rakete, als er mit seinem Neffen im Auto durch die Stadt fuhr. Nun strahlt er, ein Mann mit schwarzgrauem Haar, dessen Lachfalten von Weitem zu sehen sind, auf einem Hochglanzplakat in Umm Mohammeds Wohnzimmer. Auf dem Plakat steht das Logo des "Islamischen Dschihad", einer Miliz, die regelmäßig Raketen auf Israel abfeuert. "Der Märtyrer", heißt es unter seinem Bild.
Im Krankenhaus ringen einige ihrer Verwandten noch mit dem Tod
"Sie haben mir alles genommen", sagt Umm Mohammed. Keine Trauer und keine Wut liegen ihrer Stimme bei. Sie spricht wie betäubt. Ihr Mann, ihre Söhne, zehn Neffen und Nichten, zwei Schwager, die Schwägerin im fünften Monat schwanger - sie alle sind tot. 30 weitere Familienmitglieder liegen noch im Krankenhaus, einige davon mit schwersten Brandwunden. Die Opferzahl der Familie könnte noch weiter steigen. Schon jetzt ist es der bisher blutigste Einzelfall im jüngsten Gaza-Krieg.
Der Boden unter Umm Mohammeds Füßen knirscht, wenn sie einen Schritt macht. Überall liegen Glassplitter. Sie hat die Schuhe erstmals angelassen in ihrem Zuhause. Der Schlafzimmerschrank ist heil geblieben.
Ein regenbogenfarbenes Handtuch fällt ihr entgegen. Seine Farben leuchten inmitten des ganzen Staubes, doch Umm Mohammed beachtet es nicht. Sie gräbt weiter im Schlafzimmerschrank, bis sie ein weißes Blatt Papier mit dem Passfoto eines kleinen Jungen findet. "Das ist das Geburtszertifikat von Mohammed", sagt sie. Mit beiden Händen hält sie sich daran fest.